
Vereine | 23
Nordleda
Kreis Neuhaus/Oste im Spiegel der Presse vor 100 Jahren
Zwischen Mangel und Aufbruch
Der Autor dieser Geschichte staunt nicht schlecht, als er bei Umbauarbeiten
in seinem Hauses auf dem Speicher hinter einer
Wand aus Spinnweben einen Stapel alter Zeitungen findet.
Es handelt sich um Ausgaben der Neuhaus-Ostener Zeitung vom
März und April 1921. Die Neuhaus-Ostener ist der Vorläufer der heutigen
Niederelbe-Zeitung. Die gefundenen Ausgaben geben Auskunft
über die Stimmungslage in der Hadelner Region und erzählen von
den Lebensbedingungen und Problemen im Altkreis Neuhaus vor genau
einhundert Jahren. Werfen wir also einen Blick zurück auf diese
spannende Zeit und lassen uns überraschen. Was war los bei unseren
Groß- und Urgroßeltern in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts?
1921 - Es ist ein Jahr zwischen Hoffen und Bangen. Die Deutschen
suchen auf dem Weg in die Demokratie eine neue Identität. Kriegsende
und Spanische Grippe liegen erst drei Jahren zurück. Millionen
von Toten sind zu beklagen gewesen, Cadenberge trauert um seine
55 gefallenen Bürger. Es sind unruhige Zeiten. Die Zeitung berichtet
über kommunistische Aufstände und Terrorakte im Land.
Die wirtschaftliche Lage unserer Vorfahren ist durch Mangel und
Entbehrungen gekennzeichnet. Vor allem sind Lebensmittel knapp.
Grundnahrungsmittel erhält man nur gegen Bezugsscheine. Im amtlichen
Teil der Zeitung werden die Ausgabetermine von Lebensmittelmarken
bekannt gegeben. So steht am 31. März in Neuhaus die
Ausgabe von Butter-, Zucker- und Brotkarten an. Wegen der schlechten
Ernte muss teures Getreide aus dem Ausland beschafft werden.
Sparsamkeit wird verordnet. So dürfen zum Beispiel Backwaren laut
Anordnung höchstens 30 Prozent Mehl enthalten.
Eine Tafel Schokolade umsonst
Aber es wird besser. Die „Goldenen Zwanziger“ lassen zwar noch auf
sich warten, aber die Wirtschaft kommt langsam wieder in Schwung.
Produkte wie Waschmittel sind wieder erhältlich. „Persil in Friedensqualität
ersetzt die Rasenbleiche und spart Zeit, Seife und Kohlen“
verspricht die Zeitungswerbung.
Das Geschäft mit Kühen und Kälbern boomt. Nicht nur, weil Deutschland
in diesen Tagen eine Lieferung von 750 amerikanischen Milchkühen
aus Galveston erwartet. Täglich schalten Bauern Kleinanzeigen in
der Zeitung. „Kleine flotte Queene“, „hornlose Ziege“, „fettes Schwein“,
„bedeckte Schafe“, „kalbende Kühe“ stehen zum Verkauf. Viehhändler
können gutes Geld verdienen. Geflügelbauern inserieren jeden Tag
neue Angebote. Gleich daneben macht der Schmiedemeister Heinrich
Wist deutlich, was er von der Freilandhaltung von Hühnern hält:
„Warne hiermit meine Nachbarn, ihr Federvieh auf meine Ländereien
kommen zu lassen, da ich Gift auslegen werde.“
Cadenberge scheint sich zum Zentrum der Region zu entwickeln. Der
Gemischtwarenhändler C. C. Rieper will ein Geschäft eröffnen und erklärt:
Es soll „mein Bestreben sein, durch Verkauf von nur prima Ware
zu äußerst billigen Preisen mir eine dauerhafte Kundschaft zu erwerben.“
Beim Einkauf über 50 Mark gibt es eine Tafel Schokolade umsonst.
Im Gasthaus von Wilhelm Rieper am Cadenberger Bahnhof gibt
es neben Schnaps und Tabakwaren auch Honig aus eigener Produktion.
Die dazugehörigen Bienenstände kann man körbeweise gleich
mit kaufen. Auch der Geschäftsmann Ernst Langner erweitert sein Warenangebot
um einen Posten neuer Gardinen und Rouleaustoffe, Und
wenn es um steuerliche und rechtliche Fragen geht, steht „Mandatar“
Rudolf Wöst gerne mit Rat und Tat zur Verfügung. Mit dem Beginn der Zwanziger Jahre erfährt das Land einen
Modernisierungsschub. Bei der Stromversorgung geht es
deutlich voran, der Ausbau von Telefonleitung macht Fortschritte
und die Erfindung des Radios steht vor der Tür. Im Jahr 1921
wird Otterndorf an das elektrische Stromnetz angeschlossen.
Über die Elektrifizierung und den Stromtrassenbau im Kreis Neuhaus/
Oste wird ausführlich berichtet. Das Vorhaben lohnt sich erst ab einer
Mindestmenge von Abnahmezusagen, deshalb muss man für
die „Lichtversorgung“ tüchtig die Werbetrommel rühren. Auf einer
Versammlung des Landbundes im Schoofschen Saal in Bülkau kann
sich jeder über die Vorteile von elektrischem Licht informieren. Es ist
besser und billiger. Kostet Petroleum für eine Lampe 60 Pfennig in der
Stunde, so beträgt der Strompreis für Licht nur 10 Pfennig.
Niedrige Lebenserwartung
Aus Familienanzeigen geht hervor, dass die Menschen damals etwa
zehn Jahre früher sterben als heute. Ein Grund dafür ist die harte
körperliche Arbeit. Das Leben auf den Bauernhöfen verlangt den
Menschen viel ab, maschinelle Unterstützung gibt es kaum. Erste
Melkmaschinen und Mähdrescher kommen erst 1930 zum Einsatz.
Die Cuxhavener Firma Senftleben wendet sich in einem ungewöhnlich
großen Inserat an die Landwirte: „Sparsam wirtschaften muß der
Grundsatz eines jeden in der heutigen teuren Zeit sein. Maschinen
stehen im Preise sehr hoch, daher zerbrochene Maschinenteile nicht
wegwerfen! Wir sind in der Lage, Brüche an Dampfmaschinen und
Kesseln sowie Metalle jeder Art elektrisch zu schweißen“
Auf den Anzeigenseiten preist die örtliche Geschäftswelt ihre Sonderangebote
an. Emil Carstens gibt an Landwirte verbilligten Mais
gegen Bezugsscheine ab. Otto Borgstädt versteigert in Belum Stellmacher
Handwerksgeschirr. Dachdeckermeister Heinrich Macke in
Otterndorf liefert „1a-Steinkohlenteer zu billigsten Preisen“. Wenn es
um Herrenoberbekleidung geht, ist man bei Heinrich Brüning in Odisheim
an der richtigen Adresse. Hier gibt es Oberhemden, Hosenträger
und Hüte aller Art. Bei Katt in Höftgrube sind Zigarren eingetroffen.
Schmiedemeister von Ancken aus Lamstedt will seine „besten Torfspaten“
loswerden.
Die Nachfrage nach Arbeitskräften beschränkt sich auf wenige Berufe.
In erster Linie braucht man auf den Höfen natürlich Knechte. Auch
Schlosser und Maurergesellen finden schnell einen Job. Gesucht werDer
Cadenberge
"Schlachterei / Wurstmacherei" Foto: B. Musa
Der Autor Bernd
Musa fand in seinem
Haus wertvolle Zeitdokumente
aus dem
Kreis Neuhaus/
Oste
vor 100 Jahren
Verei1n1e 11