
Wie der Jude Arthur Samuel die NS-Zeit in Cadenberge überlebte
Drei ältere Herren haben ein Stück Regionalgeschichte aus Cadenberge zusammengetragen und stellen im Internet dar, wie der Jude Arthur Samuel und seine Frau die NS-Zeit in Cadenberge überstehen konnten. Erheblichen Anteil daran hatten die Einwohner.
Dietmar und Rudi Zimmeck - heute 73 und 69 Jahre alt - hatten als Kinder in Cadenberge in den 1960er Jahren einen jüdischen Nachbarn. Vor drei Jahren begannen sie, intensiv über das Schicksal von Arthur Samuel und seiner nicht jüdischen Frau Eugenie zu recherchieren (unser Medienhaus berichtete).
Jetzt haben sie das umfangreiche Material ihrer Spurensuche in zwölf Kapiteln auf einer anschaulichen Homepage (arthur-samuel.de) mit Texten, Fotos und Dokumenten im Internet veröffentlicht. Sie verstehen es als regionalgeschichtliches Projekt gegen Diskriminierung, Hass und Antisemitismus. Damit entreißen sie das Schicksal der Samuels dem Vergessen und erinnern gleichwohl daran, wie die Dorfbevölkerung in der finsteren NS-Zeit das Ehepaar unterstützt und damit beispielhaft den Geboten der Zeit getrotzt haben.
Die Zimmecks fanden heraus, dass der Viehhändler Artur Samuel der einzige jüdische Schützenkönig in Niedersachsen. Sogar zweimal errang er diesen Titel: 1925 und 1961. Und sie erhielten bei ihren Nachforschungen unverhofft Hilfe aus der Verwandtschaft ihres früheren Nachbarn.
Überraschende Mithilfe aus den USA
Im Sommer 2021 googelte Henry Irwig (79), der in der Nähe von Boston (USA) lebt, den Namen seines Großonkels. Erst bei den Suchbegriffen "Arthur Samuel Schützenkönig" landete er dezidierte Treffer und stieß er auf die Recherchen von Dietmar und Rudi Zimmeck sowie einen NDR-Fernsehbeitrag in "Hallo Niedersachsen". Henry Irwig nahm Kontakt zu den in Hannover lebenden Brüdern auf.
Fortan recherchierten die drei Männer gemeinsam und hielten via Videokonferenzen Kontakt. "Wir legen keine streng wissenschaftliche Arbeit vor, sondern eine Sammlung von Fakten, zeithistorischen Momentaufnahmen, Erinnerungen, familiären Aspekten und persönlichen Interpretationen über das Leben der Samuels in der Hitler-Diktatur", teilen die Autoren dazu mit.
Henry Irwig konnte Licht in die Familiengeschichte bringen, die sich als traurig erwies. Aus der Familie Samuel haben nur Artur und eine Schwester überlebt. Sechs der sieben Geschwister sind in der Nazi-Zeit ums Leben gekommen oder wurden umgebracht. Seine Schwester Emilie, die einzige andere Überlebende, war die Großmutter von Henry Irwig.
Den drei Rechercheuren ging es um die zentralen Fragen: Wie konnte es gelingen, als Jude die grausame Zeit des Hitlerfaschismus in einem Dorf an der Niederelbe zu überleben? Gab es Lücken in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis, konnte man sich dem Kontrollsystem von Gestapo und SS entziehen, wie wirkungsvoll waren die Hilfsaktionen von Freunden und in der Nachbarschaft oder hatte das Ehepaar "einfach nur Glück gehabt"?
Das Leben von Arthur Samuel und seiner Frau nicht jüdischen Eugenie muss zur Zeit des Nationalsozialismus hart gewesen sein. Ihm wurde 1937 die Lizenz als Viehhändler entzogen. Die Samuels waren ab diesem Zeitpunkt bis zum Frühjahr 1939 ohne Einkünfte.
Ab 1939 musste Arthur Samuel Zwangsarbeit im Straßenbau bei der Cadenberger Firma Wehmeyer leisten. Von Januar 1944 bis Mai 1945 wurde die Zwangsarbeit im Sägewerk Vagts in Wingst-Voigtding fortgesetzt. Zeitgleich wies man seiner Frau Eugenie körperlich schwere Arbeit in der Fischindustrie in Cuxhaven zu.
In Cadenberge erlebten die Samuels in dieser düsteren Zeit einen Akt der Mitmenschlichkeit inform heimlicher Unterstützung aus den Reihen der Bevölkerung und durch Geschäftsleute. Arthur hatte durch seinen Beruf einen großen Kontaktkreis zu einer Vielzahl von Bauern, Händlern, Kaufleuten und Bürgern aufgebaut. Alle schätzten sein freundliches Wesen, erinnerten sich wohl an seine fairen Handelsgeschäfte, Wohltaten für die Dorfjugend oder Gastfreundschaft.
Wenn das Leben perfide Witze schreibt
Am 28. Juni 1945 fand nach Kriegsende die erste Sitzung des von den Engländern eingesetzten Gemeinderates statt. Unter den neun Mitgliedern war Artur Samuel . Anderthalb Jahre später wurde, er Mitglied im Arbeitsausschuss der Wirtschaftskammer der neu gebildeten Bezirksregierung Stade. Und ein ganz perfider Witz der Geschichte kam im Zuge der Recherchen zutage. Um arbeiten zu dürfen, musste er als einer der wenigen Juden, die in Deutschland die NS-Zeit überlebt hatten, den Anhörungsbogen zur Entnazifizierung ausfüllen. Er konnte dann seine Tätigkeit als selbstständiger Viehkaufmann und Vermittler aufnehmen. Seine Frau Eugenie verstarb 1956. 1961 wurde Arthur - zum zweiten Mal nach 1925) - Schützenkönig. 1971 verstarb er im Alter von 91 Jahren im Altersheim in Ihlienworth. Die Grabstelle von Arthur und Eugenie Samuel befindet sich bis heute auf dem Friedhof in Cadenberge. Das ist einem frühen Beschluss des Gemeinderates zu verdanken. Das Internetprojekt soll in Cadenberge fortgeschrieben werden; besonders auch in Zusammenarbeit mit der Gemeinde, in der die Ehrung von Arthur Samuel durch eine Straßenbenennung geplant ist; und in Zusammenarbeit mit der Schule am Dobrock.