"Keiner will sie":

Eltern behinderter Kinder kommen an Grenzen

05.05.2016

CUXHAVEN. 14 Wochen Ferien ohne die Möglichkeit, ihre behinderten Kinder in eine Betreuung geben zu können - das bringt Familien an die Grenzen, warnen betroffene Eltern. Von Maren Reese-Winne 

CUXHAVEN. Der tag nach Himmelfahrt ist wieder ein beliebter Brückentag – die Schulen haben zu. Für Eltern behinderter Schulkinder einer von vielen Tagen, die sie im Laufe eines Schuljahres überbrücken müssen. Vor das größte Problem stellen sie die Ferien: 14 Wochen Urlaub bekommt kein Berufstätiger zusammen. Doch eine Ferienbetreuung gibt es nicht: „Keiner will unsere Kinder“, beklagt die Elternvertretung der Schule am Meer, der Förderschule für geistige Entwicklung in Döse.

„Wenn die Betreuungsintensität zu hoch wird, sind sie bei allen Angeboten raus“, beschreibt eine Mutter (alle Namen der Redaktion bekannt) die Situation. Doch Betreuungsmöglichkeiten sind nicht nur rar, sondern auch teuer.

Die Eltern sind wahre Künstler im Hin- und Herjonglieren der Fördertöpfe: Sie müssen den Überblick behalten zwischen Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege, Verhinderungspflege, Kurzzeitpflege, Persönlichem Budget, das alles bei unterschiedlichen Pflegestufen und Zuständigkeiten (Jugendamt, Gesundheitsamt, Pflegekasse...) und kombiniert mit immer wieder neuen Anträgen, Überprüfungen und Wartezeiten auf Erstattung von Vorleistungen.

Alle Konten offenlegen

Die meisten Hilfen sind abhängig von Einkommen und Vermögen der Eltern. „Das ist ein finanzieller Striptease inklusive Freilegung der Konten der für das Studium angelegten nicht behinderten Geschwisterkinder.“

Dass mit 2500 Euro für drei Wochen Betreuung mal eben das Gehalt von zwei Monaten weg sei, falle nicht ins Gewicht: „Das Geld könnten wir doch aufs Jahr umrechnen, das seien dann eben ungefähr 250 Euro im Monat.“ Allerdings sei es mit der Summe ja nicht getan: „Es gibt ja noch viel mehr Ferien als nur drei Wochen“, stöhnt eine Mutter.

Lieber doch Hartz IV?

Familien mit Hartz IV hingegen stehe ein Hortplatz zu. Das finden die Berufstätigen nicht gerecht. Ungewollt würden Menschen vor ein existenzielles und persönliches Problem gestellt, was außerdem nicht zielführend sei: „Wenn Eltern aus diesem Grund nicht arbeiten gehen, entgehen dem Staat ja auch Steuergelder.“

„Das wertvolle flexible Geld für die Verhinderungspflege (Abwendung einer Heimunterbringung) brauchen wir, um die Betreuung während eigener Arztbesuche, Friseurtermine und Termine mit anderen Kindern bezahlen zu können“, erklären die Eltern.

Zu strenge Regeln

Betreuungsdienstleistungen dürfen nur von zugelassenen Betrieben erbracht werden, „im besten Fall doppelt so teuer wie ein Babysitter, Pflegedienste noch sehr viel mehr.“ Andere Bundesländer verführen da flexibler.

Die Eltern sind das alles leid. „Wir wollen einfach, dass eine Ferienbetreuung geschaffen wird. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die Lösung hierfür zu finden. Wir wollen ja dafür bezahlen – genauso wie Familien mit nicht behinderten Kindern.“

Das Ganze sei nichts anderes als die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die für alle Menschen ein Recht auf Teilhabe vorsieht. „Es muss mal aus den Gedanken weg, dass es als erstes ums Geld geht. Wo ist der Inklusionsgedanke nach dem Kindergarten? Wo ist die Zeit für Eltern, Zeit mit ihren nicht behinderten Kindern zu verbringen? Wo ist das Recht der Kinder, unter Gleichaltrige zu kommen?“

Diese Kinder fallen aus jedem Raster

Die Eltern schildern auch ihre Grenzen: „Wir können unsere Kinder ja nicht mal alleine in den Garten lassen.“ Der Alltag gehe über alle Kräfte. „Das sind Kinder, die aus jedem Raster fallen.“ Die Familienentlastung sei dringend erforderlich, um die Kinder in der Familie zu halten. „Wenn die Konsequenz wäre, dass wir sie ins Heim geben müssten, wäre das noch viel teuer.“

Schon die halben Ferien wären eine Erleichterung, wenn nur Bewegung in die Sache käme. „Selbst wenn Vater und Mutter keinen einzigen Urlaubstag zusammen nehmen würden, würde die Zeit nicht ausreichen, um die Ferienzeiten zu überbrücken.“

Die Eltern fühlen die Notlage bislang nicht ausreichend anerkannt, fühlen sich dargestellt, als stellten sie überzogene Forderungen. „Wenn wir es nicht so bräuchten, würden wir nicht so darum kämpfen.“ In der Schule am Meer hat ihre Umfrage ergeben, dass die Eltern von 13 Kindern dringend Unterstützung bräuchten.

Santjer will Lösung herbeiführen

Beim SPD-Landtagsabgeordneten Uwe Santjer sind die Elternvertreter allerdings auf offene Ohren gestoßen. „Ich finde es grundsätzlich richtig, dass es eine Ferienbetreuung für Kinder gibt, ohne Unterscheidung“, stellt er fest. „Ich sehe keinen Grund, warum wir Kindern mit Behinderung dies verwehren dürften. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um den Eltern entgegen zu kommen.“ Die Ferienbetreuung sei gewinnbringend für Kinder und Eltern und habe nicht nur mit Entlastung zu tun.

Uwe Santjer hat ein Gespräch mit dem Sozialdezernenten des Landkreises Friedhelm Ottens und den Eltern initiiert, in dem kurzfristig die Lage besprochen und mögliche Wege durchdacht werden sollen.

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