
Große Klassik im kleinen Otterndorf: Junges Philharmonisches Orchester begeistert
OTTERNDORF. Endlich wieder große Klassik: Das Junge Philharmonische Orchester Niedersachsen begeisterte am Donnerstag in Otterndorf sein Publikum.
Nach zwei Jahren coronabedingter "Abstinenz" endlich wieder große sinfonische Musik von großem Orchester. Welchen ungeheuren Reichtum an Orchesterfarben es da "live" zu erleben gibt - das drohte schon fast in Vergessenheit zu geraten. Am Donnerstagabend brachte das Junge Philharmonische Orchester Niedersachsen (JPON) unter seinem neuen, sehr profilierten Dirigenten Gábor Hontvári all das in der Reithalle am Funkturm Otterndorf wieder in Erinnerung. Und zwar mitreißend-vital und mit Leidenschaft für geradezu expressives Musizieren in großer Instrumentalbesetzung.
Otterndorfs Reithallen-Konzerte sind längst Tradition. Zu "normalen" Zeiten überrascht JPON sein Publikum alljährlich mit einem besonderen Programm und mit jungen Musikerinnen und Musikern von ausgesuchter Qualität. Es mag an der oben zitierten "Abstinenz" liegen, aber fast schien es, als sei das Orchester noch nie so gut gewesen wie bei seinem Konzert am Donnerstag. Ganz erstaunliche Bläser (ob Holzbläser oder Blechbläser), exzellente Streicher und ein beeindruckendes Schlagwerk. Das für dieses jüngste Konzert ausgewählte Programm - Zoltán Kodálys "Variationen über das ungarische Volkslied 'Der Pfau'", Paul Dukas' sinfonisches Gedicht "Der Zauberlehrling" und Dmitri Schostakowitschs "Zehnte" - war absolut prädestiniert dafür, all diese Qualitäten der jungen Instrumentalisten unter Beweis zu stellen. Und wie!
"Farben der Freiheit" - ein Konzert-Titel, der in der Tat vielfältig ausgelegt werden dürfte. Für Kodálys Volkslied-Variationen gilt er ebenso wie für den "Zauberlehrling" des Franzosen Dukas und erst recht natürlich für Schostakowitschs "10. Sinfonie g-moll op. 93". Komponiert 1953, im Jahr von Josef Stalins Tod, gilt die Symphonie des damals 47-Jährigen inzwischen als Abrechnung mit dem Diktator und seiner Schreckensherrschaft.
Brutale Dissonanzen
Für Schostakowitsch selbst aber ist das Werk auch ein Neuanfang: Er komponiert als Erstes nach Jahren ohne Aufführungen wieder eine Symphonie und zwar eine gewaltige. Die ist, mehr als das, fast schon gewalttätig in ihrem Allegro mit seinen brutalen Dissonanzen. Vorangegangen war ein langes, ungemein grüblerisches Moderato (mit fast 25 Minuten der längste Satz des Werkes), in dem der Komponist die Wirkungen der Stalinschen Schreckensherrschaft auf das Volk und das eigene Leidens in Musik fasst.
Für die Bläser des Orchester, für den Klangkörper insgesamt eine Aufgabe von allerhöchsten Ansprüchen. Und wie die Musikerinnen und Musiker des Jungen Philharmonischen Orchesters Niedersachsen die lösen, ist in der Tat bewundernswert. Ihr junger Dirigent, der Ungar Gábor Hontvári, Erster Kapellmeister und stellvertretender Generalmusikdirektor in Würzburg, hat mit ihnen das Werk so genau wie umfassend erarbeitet. Hontvári hat hörbar ganz große Linie ebenso im Blick wie das kleinste Detail. Und er ist ein Orchesterleiter von größtmöglicher Präzision und beeindruckender Präsenz.
Welchen Reichtum an Farben und an Aussagekraft er seinem jungen Orchester zu entlocken versteht, zeigte er schon mit Paul Dukas' Orchesterscherzo "Der Zauberlehrling". Ein geniales Werk, 1897 vom Komponisten selbst in Paris uraufgeführt, wird es heute viel zu wenig in Konzerten gespielt. Ungemein plastisch, von irisierend bis grotesk verlangt diese raffiniert instrumentierte sinfonische Dichtung einen auf äußerste Prägnanz ausgerichteten Klangkörper und genau den erlebte man am Donnerstag in der Reithalle.
Frenetischer Applaus
Die allererste Probe aufs Exempel in Sachen Prägnanz und rhythmischer Präzision hatten die jungen Instrumentalisten an diesem Abend schon mit Zoltán Kodálys "Variationen über das ungarische Volkslied Der Pfau" geliefert. In Musik gegossene Gestaltung war hier Trumpf. Schon die bewog das Publikum, das dieses Mal hätte zahlreicher sein können, zu nachdrücklichem Beifall. Dass der sich am Ende des Konzertes dann zu frenetischem Applaus entwickelte, war bei diesem Orchester und diesem Dirigenten kein Wunder.
Für 2023 bleibt zu hoffen, dass JPON wieder in Otterndorf zu erleben ist und die von Bürgermeister Claus Johannßen bei seiner Begrüßung erwähnten Sponsoren wie die zahlreichen Mithelfenden auch wieder mit dabei sind.
Von Ilse Cordes

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