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Journal_März_2016

10 Ringelnatz und Käthe Hyan Titelblatt zur Ausgabe „Hans Hyan’s Chansons/ Musik von Käthe Hyan“. Ganz so biedermeierlich war’s nicht Die Notiz in den autobiografischen Aufzeichnungen Leutnant Hans Böttichers, die er später unter dem Pseudonym Gustav Hester und dem Titel „Als Mariner im Krieg“ veröffentlichen sollte, ist eher sparsam. Gleichwohl birgt sie etliches aus dem Leben jenes Hans Bötticher „vor dem Kriege“, wo er als „Hausdichter“ des berühmten Münchner „Simpl“ mit seinen kabarettistischen Auftritten und Versen das Publikum angelockt hatte. In dem mit „Kommandant und Leutnant“ überschriebenen Kapitel der Erinnerungen findet sich folgende Eintragung: „Käthe Hyan sang in Cuxhaven geschmackvoll Lieder zur Laute. Sie war mir von München her bekannt. Nach ihrem Vortrag durchbummelte ich mit ihr und Bobby die Nacht, eine schöne, kalte Nacht mit dem Lichtzauber einer großen Scheinwerferübung. Ich konnte Frau Hyan einige neue Soldatenlieder mitteilen.“ Das hört sich harmloser an als es ist. Denn Käthe Hyan, die im November 1901 zusammen mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Hans Hyan in Berlin das Kabarett „Silberne Punschterrine“ gegründet hatte, sang zur Laute durchaus keine sanft-betulichen Lieder. Im Gegenteil: Hans Hyans Texte, von ihr vertont, hatten es in sich. Sie nahmen Tagesaktuelles aufs Korn, waren frech bis „verrucht“, mehr noch politisch und sozialkritisch. Sie trafen das Berliner „Milljöh“ auf den Punkt, waren eines Heinrich Zille würdig. Berühmt und immer wieder umjubelt war Hyans „Ludenlied“. Sein Preußens Ordnungshüter karikierendes „Schutzmannslied“, im „Cabaret zum hungrigen Pegasus“ des Malers Max Tilke aus der Taufe gehoben, zählt Helga Bemmann gar „zu den besten Bänkelliedern der Jahrhundertwende“. Krasser Gegensatz Ganz besonderer Knalleffekt der Auftritte Käthe Hyans’ war der absolute Gegensatz von äußerem Erscheinungsbild und Text-Inhalten. Geradezu volkstümlich-biedermeierlich trat die Vortragskünstlerin auf, wenn sie ihre scharf geladenen Lieder zur Laute sang. In ihren „Berliner Musenkinder-Memoiren“ schildert die Ringelnatz-Biografin Helga Bemmann die Atmosphäre eines solchen Auftritts: „Mucksmäuschenstill wurden selbst die, die dem Wein schon reichlich zugesprochen hatten, wenn im seidenen Rüschenkleid, mit apartem Kunstblumenschmuck an Dekolleté und Schultern, Käthe Hyan mit Laute das Minipodium betrat. Mittelgroß, kleine Wachsblumenbouquets auch in der Ohrenschneckenfrisur - damals letzter Schrei der Berliner Damenwelt - war sie die beste Interpretin der Chansons ihres Mannes, deren Inhalt in so krassem Gegensatz zu dem wohlerzogenen Auftreten der charmanten Person, wie die Rezensenten bemerkten, stand.“ Groß sei ihr Repertoire gewesen, anheimelnd kitschige, von ihr selbst vertonte Walzerlieder kamen da eher selten vor, viel lieber habe sie’s in ihren Liedern der Obrigkeit gegeben. „Sie griff kräftig klimpernd in die Saiten, wenn sie mit angehobener Stimme sang: ‚Det Birjapack un die Beamten / die sind vor mir der reene Mist!“ „Ganz an der Melodik des Volksliedes und verschiedener Typen des volkstümlichen Liedes des 19. Jahrhunderts“ orientiert seien die Musiken, die Käthe Hyan zu den Liedern ihres Mannes geschrieben habe, heißt es in Walter Röslers „Das Chanson im deutschen Kabarett 1901 - 1933“. Ein Chanson wie „Der bestohlene Kommerzienrat“ beispielsweise habe sie kurzerhand mit einer Volksliedmelodie unterlegt. Die Nachrichten vom Auftritt Käthe Hyans in Cuxhaven zu Ringelnatz‘ „Mariner“-Zeit sind, wie Im biedermeierlichen Rüschenkleid „verruchte“ und sozialkritische „Lieder zur Laute“: Käthe Hyan. Fotos: Notentitelblatt, bpk, Grafik Paul Haase, Edition Braus Berlin GmbH, Ringelnatz Museum


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