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Journal_März_2016

Ringelnatz und Käthe Hyan 11 gesagt, sparsam. Bedenkt man jedoch, dass der im Jahr 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, stattfand, steht zu vermuten, dass ein Abend mit solchen und ähnlichen Chanson-Texten nicht ganz unproblematisch gewesen sein mag. Denn was sich da an Schrecknissen mit seinen furchtbaren Materialschlachten im Westen an der Front abspielte, drang natürlich auch nach Cuxhaven. Leutnant Böttichers Eintragung nur wenige Zeilen vor der Erwähnung des Gastspiels der Kabarettistin spricht, was das angeht, Bände. „Wenn ich meine seelische Verfassung ehrlich überprüfte, mußte ich mir gestehen, daß ich selbst kriegsmüde war. Was mich trughaft noch hielt, waren kindliche Ruhmsucht und dürftiger Ehrgeiz. Ich wollte Offizier werden, um vor kleinen Leuten damit großzutun, und ich hoffte noch immer, zu einer gefahrvollen Heldentat zu kommen.“ Ein Ereignis wie der Auftritt Käthe Hyans war höchst willkommene Ablenkung, die Hans Bötticher - nun in der Position des Vizefeuerwerkers - leichter genießen konnte als zu früheren, untergeordneteren „Mariner“-Zeiten. Mit der berühmten Vortragskünstlerin aus Berlin verleben er und Bobby (hinter ihm verbirgt sich der spätere Verleger Wolfgang Krüger) damals noch einen weiteren schönen Tag einschließlich Ausflug nach Otterndorf. Der Abend von Käthe Hyan ist aber auch ein Stück Erinnerung an jene Vorkriegszeiten, die für Hans Bötticher zur „Universität des Lebens“ wurden. An Zeiten im „Simpl“ von Kathi Kobus, wo er nach zwei erfolglosen Versuchen dann mit seinem „Simplizissimus“-Lied doch noch zu wirklichen Kabarett-Ehren gekommen war. Wo er allabendlich mit Literaten, Intellektuellen und Künstlern wie dem Anarchisten Erich Mühsam, den Schriftstellern Bruno Frank und Hans Thoma und zahlreichen Künstlern zusammen gewesen war. Wusste man hierorts damals eigentlich, wer da als „Mariner im Krieg“ in die Grimmershörn Kaserne gekommen war? Tod in der Emigration Die Vortragskünstlerin und Komponistin Käthe Hyan, 1876 geboren, war in der Berliner Kabarett-Szene vor dem Ersten Weltkrieg eine ausgesprochene Berühmtheit, sie ging auf umjubelte Gastspiel-Reisen bis hin nach Wien. Auch das Nachkriegs-Berlin sieht sie in dieser Rolle. Später wird sie sich von Hans Hyan scheiden lassen, nach Hamburg gehen und dort den Innenarchitekten Fritz Kohlberg heiraten. Mit ihm kehrt sie zurück nach Berlin, wo beide das „Kunstasyl“ eröffnen. Ein kleiner Ort, aber einer, wo bedeutende Expressionisten ihre Arbeiten zeigen. Hitlers Nazi-Herrschaft zwingt das Ehepaar 1937 in die Emigration nach England. Dort stirbt Käthe Hyan 1958 im Alter von 82 Jahren in Kingston. Hans Bötticher finden wir nach Kriegsende und Novemberrevolution wieder in München, wo er - wieder bei Kathi Kobus im „Simpl“ - erstmals als Ringelnatz auftritt. Doch vieles, sehr vieles hat sich verändert. Als „reisender Artist“ kommt Joachim Ringelnatz weit herum, veröffentlicht Gedichte, Prosa-Texte und versucht, sein Theaterstück „Der Flieger“ an den Mann - sprich: die Bühne - zu bringen. Mit ihm war er bekanntlich schon in Cuxhaven intensivst beschäftigt - in „Seeheim“, seinem Sahlenburger Außenposten. Ilse Cordes „Dölle’s Hotel“ von einst - seine Weinstube genoss Joachim Ringelnatz so manches Mal.


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