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Ringelnatz – ein Schauspieler seiner Gedichte 17 auch aus Verbitterung Kathi Kobus gegenüber, die ihn unbedingt halten wollte, aber schlecht bezahlte, und weil er endlich frei sein wollte. Nach dem Krieg, in unsicheren Zeiten, wird er jedoch noch einmal zurückgehen nach München und in den „Simpl“, wo sein Engagement ab 1. Mai 1920 Monat für Monat verlängert werden muss. Da ist er dann schon Joachim Ringelnatz. Und vier Monate später, ab 1. September, hat er sein erstes Berliner Engagement in Hans von Wolzogens Kabarett „Schall und Rauch“ im Keller von Max Reinhardts „Großem Schauspielhaus“. Unruhiges Leben als „reisender Artist“ Es beginnen die Jahre des „reisenden Artisten“ Joachim Ringelnatz - Jahre des Erfolges durchaus und dennoch keine leichten Jahre, weil das Leben als „reisender Artist“ eben überhaupt kein leichtes Leben ist. München wird er verlassen, weil Hitlers braune Schergen sich dort immer mehr ausbreiten. Berlin wird „seine“ Stadt, dort tritt er auf und von dort reist er zu seinen Kabarett-Auftritten, ist Wochen und Monate unterwegs. Von Hamburg bis Königsberg, ist in Darmstadt, Leipzig und Bremen, in Eisenach und Mannheim, in Berlin und Frankfurt, in Österreich und in der Schweiz. Die derzeit (bis Ende Februar nächsten Jahres) im Ringelnatz Museum gezeigte Sonderausstellung „Vorhang auf! Ringelnatz auf der Bühne“ gibt auch davon einen sehr bildhaften Eindruck. Auf Bild- und Texttafeln informiert sie über die verschiedenen Stationen in Ringelnatz’ „Artisten“ Leben. „Er fühlte sich als Artist, nahm wie alle Artisten das Arbeiten auf der Bühne genau“, berichtet Herbert Günther in seiner 1964 zuerst erschienenen Rowohlt-Monografie über Joachim Ringelnatz. Der habe ihm in den 1920er-Jahren in München auch erzählt, so Günther, „daß er auf allen Ämtern und Behörden als Beruf ‚Artist’ angebe“. Herbert Günther gehört zu denen, die Ringelnatz noch selbst auf der Bühne erlebt haben, und das nicht nur ein einziges Mal, sondern viele Male. „Ringelnatz ist als Kabarettist ein Schauspieler“, schreibt Günther 1928 in der Zeitung „Leipziger Neueste Nachrichten“, „Ein Schauspieler seiner Gedichte. Ein Schauspieler, der wirklich ist, was er darstellt.“ Seine „Turngedichte“, so der Biograf, „exerzierte er wie in der Turnhalle und zugleich verspottete er damit den deutschen Spießer und hirnlosen Vereinsmeier: die Würde hatte einen Verfechter gefunden in einem Lachen, das gut tat…“ Eine andere, empfindsamere Seite des Vortrages von Ringelnatz stellte Jahre später der große Schauspieler und Freund des Dichters, reisenden Artisten und Malers, Paul Wegener, heraus. Er schrieb 1935 zu Ringelnatz’ Gedächtnis: „Er übertäubte seine Lebensunsicherheit und Lebensangst mit grellen Tönen, wie ängstliche Kinder im dunklen Wald zu singen anfangen … Am reinsten und tiefsten aber enthüllte sich der magische Zauber seiner Vortragskunst im intimsten Freundeskreis …“ Hamburg, das ihn einst so euphorisch angekündigt hatte, wo er oft und gerne gastierte, nicht zuletzt, weil er dort auf gute Freunde wie den Juwelier Carl Wilckens, genannt Muckelmann, traf, sollte auch zu jenen Stationen gehören, die 1933 den einst umjubelten Ringelnatz mit Auftrittsverbot belegten. Im Februar 1933 hatte man ihn schon in Dresden von der Bühne geholt, Tage später erschien in Hamburgs Zeitungen folgende Notiz: „Die für heute im Curiohaus angekündigte Veranstaltung, auf der Joachim Ringelnatz aus eigenen Werken lesen sollte, wurde aufgrund § 1 der Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar verboten.“ Im April, wo Ringelnatz für einen Abend im Münchner „Simpl“ auftreten sollte, genau das Gleiche. Die Nationalsozialisten hatten alles in der Hand, ihre Schreckensherrschaft nahm immer gefährlichere Formen an. Ilse Cordes


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