
4 NEUWERKER RUNDBLICK
„Sprung ins kalte Wasser!“
Helga (79) und Otto Frers (80) führten 33 Jahre lang „Ottos Gartenlokal“ auf Neuwerk
Die erste Überfahrt begann für Helga
bereits mit einem Missverständnis.
Eines der Zugpferde hatte mit
Blähungen zu kämpfen, worauf der
Kutscher alle paar Meter rief: „Helga,
schäm Dich!“ Erst viel, viel später
erfuhr Helga, dass das Pferd ihren
Namen trug.
„Wir sind eigentlich nur eingesprungen,
damit der Laden nicht
geschlossen wird. Daraus sind 33
Jahre Sommersaison geworden“,
erzählt Otto Frers. „Der Laden gehörte
früher meiner Tante, die
noch den Lebensmittelladen
„Steinblock“ in Duhnen hatte, wo
jetzt Itjen drin ist. 1965 haben wir
angefangen. Es war wie ein
Sprung ins kalte Wasser. Fließendes
Wasser hatten wir anfangs allerdings
nicht.
Von März bis November waren
wir vor Ort, haben dort gewohnt.
Mit den Gästen auf den Wattwagen
kamen auch die Kutscher. Sie
sprachen nur Platt und nahmen
sich am Anfang ganz schön was
raus. Die dachten wohl, ich verstehe
sie nicht. Da habe ich Ihnen
mal, schüchtern wie ich war, meine
Meinung gesagt“, lacht Helga.
„Danach waren sie ganz friedlich.
Im November 1997, vor 23 Jahren,
haben wir aus gesundheitlichen
Gründen aufgehört. Und haben
uns gesagt: Jetzt wollen wir zur
Ruhe kommen. Zum Glück fanden
wir mit Inselkaufmann Lange einen
würdigen Nachfolger.“
Für den gelernten Tischler und
die Kindergärtnerin war es eine
harte Sommerzeit. „Die Arbeit
kam stoßweise und wir hatten
eine 7-Tage-Woche. In der Hauptsaison
haben wir manchmal gedacht:
Wahnsinn. Da hieß es:
Zack, zack, zack. Wir hatten
kaum Zeit zum Essen, da gab es
nur Larifari oder ne Butterstulle.
Der Laden ließ wenig Raum zum
Leben. Wir haben 16 Stunden am
Tag gearbeitet und uns danach in
der Wohnung über dem Laden
aufgehalten – nur zum Schlafen.
Keine Zeit, mal eben zum Friseur
nach Duhnen zu fahren. Das Haareschneiden
besorgte eine befreundete
Friseurin aus Midlum
bei ihren Inselbesuchen. Sonst
musste die Nagelschere ran“,
lacht Otto. Erst ab Pfingsten wurden
die weißen Kittel angezogen.
Hoher Gast aus der Hansestadt: Hamburgs damaliger Erster Bürgermeister Hans-Ulrich Klose war
ganz begeistert von Neuwerk. Gewohnt hat er im Turm.
„Aber nur sonntags“, betont Helga.
„Sonst gab es den blauen Kittel.
Ein großer Lohn war die Herzlichkeit
der Menschen, die zu uns
kamen. Es gab Umarmungen
beim Wiedersehen und Tränen
beim Abschied.
Am Anfang Lebensmittel und
Andenken verkauft
Damals haben wir viel Lebensmittel
und Andenken verkauft.
Und Getränke sowieso. Ganz beliebt
war der Kümmerling.“ Die
Ware wurde anfangs mit dem
Wattwagen, der von Neuwerk aus
startete, geholt. Später mit dem
Trecker. Und das Brot mit dem
Schiff, weil es ja frisch sein musste.
„Wir haben unsere Kunden immer
persönlich begrüßt“, erzählt
Helga Frers. Unter ihnen waren
prominente Gäste: unter anderem
Hamburgs Bürgermeister Hans-
Ulrich Klose, Mutter Beimer – Marie
Luise Marjan, Bundeskanzler
Helmut Schmidt, Freddy Quinn
und – in ganz netter Erinnerung –
der Schauspieler Walter Giller.
Die Begegnungen mit Menschen
sind heute für das Ehepaar mit
den schönsten Erinnerungen verbunden.
„Einige Gäste kamen immer
wieder. Manche von ihnen leben
leider nicht mehr. Zu drei
heute über 80-Jährigen haben wir
aber noch Briefkontakt. Ich setze
mich dann in die Küche an den
Tisch, wenn ich Briefe schreibe.“
„Mit dem Imbiss haben wir angefangen,
als die Wirtin Mimi von
der Turmschänke 1974 aufgehört
hat. Gleichzeitig haben wir die Lebensmittel
etwas reduziert, weil
die Nachfrage unter den Bewohnern
zurückgegangen war. Man
muss gut kalkulieren. Immer
Ende November haben wir Inventur
gemacht. Danach musste man
sehen, wie man rüber aufs Festland
kommt. Nach Möglichkeit
mit dem Trecker wegen des Gepäcks.
Für uns war das immer wie
ein Umzug. Im Frühjahr wie im
Herbst. Bevor es zurück aufs Festland
ging, musste ich mich noch
mal von allen Plätzen verabschieden.
Als letztes habe ich immer
den Friedhof der Namenlosen besucht“,
sagt Helga. Dort begegne-
Nachbarschaftshilfe im März 1979: Hermann Osterndorf und Waltraud
Rose schippen den Weg frei – damals gab’s noch Schnee!
Fachsimpelei mit Klempner
Günter Rose (links), Klärwerker
auf Neuwerk.