
Vereine und Verbände
Hannes Krönke (2.v.l.) und
sein Schiff „Sturmvogel“
Hemmoor Magazin 02/2020 15
Als in Hemmoor der Krieg zu Ende ging –
Augenzeugenberichte, gesammelt von
Heino Grantz und Heinrich Brandt
Der Arbeitskreis Kunst und Geschichte der Stadt Hemmoor
möchte anlässlich des Kriegsendes vor 75 Jahren in Erinnerung
rufen, was das (Über-)Leben in den Dörfern hier bei
Kriegsende prägte. Dafür haben viele Hemmoorer ihre lang
zurückliegenden Erinnerungen erstmals für uns niedergeschrieben
oder uns erzählt. Hunger und Wohnungsnot,
Schwarzhandel und Notökonomie waren nur einige der Herausforderungen,
denen sich Einheimische und die zahlreichen
Flüchtlinge und Vertriebenen stellen mussten, um zu
überleben.
Hier im Hemmoor Magazin können die damaligen Ereignisse
nur in ausgewählten Augenzeugenberichten beleuchtet
werden, für eine umfassendere Darstellung, wie sie sich
vielleicht mancher wünschen mag, ist hier nicht der Platz.
Wir sind aber zuversichtlich, die Beiträge, die hier nicht berücksichtigt
werden konnten, demnächst an anderer Stelle
veröffentlichen zu können. Unser Dank geht an alle, die sich
erinnert oder Material zur Verfügung gestellt haben.
Erika Witt, Enkeltochter des Warstader Bürgermeisters
R.W. (Robert Willi) Martens
Meine Mutter, meine kleine Schwester und ich – mein Vater
war Soldat – waren
1944 zu meinem
Großvater nach
Warstade gezogen,
weil wir in Bremerhaven
bei einem
der zahlreichen
Luftangriffe ausgebombt
worden waren.
Wir wohnten
hier in der Hauptstraße
55; das Gemeindebüro
war,
wie damals üblich,
im Haus des Bürgermeisters
– also
bei uns - untergebracht.
Mein Großvater,
der als Parteiloser nach Kriegsende von den britischen
Behörden in sein Amt eingesetzt worden war, hatte u.a. die
schwierige Aufgabe, die hier ankommenden Flüchtlinge und
Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten, die häufig genug
nur ihr Leben hatten retten können, zu verteilen, d.h. in
ortsansässigen Familien unterzubringen. Manchmal standen
diese Unglücklichen noch spät nachts vor der Tür, und mein
Opa musste handeln. Die Unterbringung der Ankömmlinge
gelang nicht immer konfliktfrei, auf beiden Seiten gab es
Unverständnis, Unzufriedenheit und sogar Ablehnung. Als
weitere wichtige Aufgabe, neben dem Aufbau einer NS-freien
Verwaltung, oblag meinem Opa die Verteilung der Lebensmittel
und Kleiderkarten an die alteingesessenen ebenso
wie an die neu hinzugekommenen Einwohner Warstades.
Hans-Hermann Mahler, damals Basbeck, heute wohnhaft
in Lamstedt, erlebte Schwarzschlachten
Wir, d.h. meine Eltern, hatten damals eine Schlachterei in
der Hauptstraße (vorher Funk, danach Fritsche). Ich erinnere
mich an die Hamsterzüge, die aus Hamburg kamen, um alles
Mögliche gegen Essbares einzutauschen. Natürlich wurde
auch bei uns an die Tür geklopft, und auch als mein Vater
noch im Krieg war, musste niemand unverrichteter Dinge
wieder weggehen – dafür sorgte meine Mutter. Wenn abends
ein Zug wieder Richtung Hamburg fuhr, war der Bahnhof
abgesperrt, um Schwarzfahren zu verhindern, aber sobald
der Zug mit langsamer Fahrt den Bahnhof verlassen hatte,
stürzten von beiden Seiten der Gleise die Menschen ohne
Bahnkarte auf die bereits vollen Waggons und versuchten,
irgendwo irgendwie noch einen Platz zu ergattern.
Es war eine in vielerlei Hinsicht gesetzlose Zeit, zu der natürlich
auch Schwarzschlachten gehörte. Und da kam mein
Vater ins Spiel, aber auch meine Mutter, denn sie brachte
schon vorher das Schlachtwerkzeug an den Tatort. So musste
mein Vater, sollte er kontrolliert werden, sich keinen unangenehmen
Fragen aussetzen. Gegenüber der Post wohnte
damals der Schiffer Hannes Krönke; hinter seinem Haus war
ein Erdkeller, in dem, verborgen vor den Augen der Behörden,
geschlachtet wurde. Innereien wurden auf dem Grundstück
vergraben. Die Fleisch- und Wurstwaren wurden heimlich zur
Basbecker Sietwende gebracht, wo Krönkes Schiff „Sturmvogel“
lag. Unter einer Ladung Stackbusch verborgen, gelangte
die kostbare Fracht dann nach Hamburg, wo sie in den
Schwarzmarkt-Güterkreislauf eingespeist wurde.
Alle Deutschen, also auch die Basbecker, bildeten damals
eine Notgemeinschaft, zu der auch der Ortspolizist Erich
Vollheide gehörte. Er war natürlich in viele damals illegale
Aktionen eingeweiht und ermöglichte diese so erst. Manchmal
allerdings schützte auch das zugedrückte Auge des
Gesetzes nicht vor Unbill. Der alte Fritz Kronberg war den Besatzungsbehörden
als Schwarzschlachter aufgefallen, seine
Rauchkammer wurde versiegelt, aber von ihm wieder aufge-