
Vereine und Verbände Georg Winters Elternhaus in
18 Hemmoor Magazin 02/2020
Brökelbeck – hier erlebte er
das Kriegsende
Georg Winter (geb. 1933)
erlebte Krieg und Kriegsende
in Brökelbeck
In den ersten 13 Lebensjahren
wohnte ich zuhause in
Bröckelbeck. Meine Eltern
hatten dort eine Gastwirtschaft
mit Landwirtschaft und Poststelle. Wegen des Krieges
und der armseligen Nachkriegszeit habe ich mein erstes
Fahrrad erst 1950 zur bestandenen Gesellenprüfung bekommen.
Bis dahin war ich fast immer zu Fuß unterwegs. Der
Schulweg nach Westersode hin und zurück war 5 km lang.
Den habe ich aber, seit ich mit 5 Jahren eingeschult wurde,
ohne Probleme geschafft. Später mussten wir zeitweise nach
Althemmoor zur Schule, weil es nicht genug Lehrer gab. Das
waren dann 8 km. Wegen des Krieges gab es auch kein gutes
Fußzeug, sodass wir im Sommer oft barfuß und im Winter auf
Holzschuhen gegangen sind.
1943 musste ich in die Hitlerjugend. Das erforderte oft, dass
der Weg 2 mal am Tag zu gehen war. Manchmal war sogar
sonntags ein Appell in Warstade. Einen solchen habe ich einmal
versäumt, weil wir zuhause das Vieh umweiden mussten.
Ich wurde deswegen nach Cuxhaven zum Bannführer bestellt,
bekam aber keine Strafe. Manchmal kam kurz nach Schulbeginn
Fliegeralarm. Dann ging es schnellstens nach Hause.
Einige Male mussten wir unterwegs Schutz suchen. Zuhause
ging es dann in den Keller. Es sind auch zweimal Bomben in
Brökelbeck gefallen, einmal in der Nacht und einmal am Tag,
als wir gerade von der Schule zurück waren. Es gab keine
Personenschäden, aber viel Sachschaden. Besonders an Dächern
und Fenstern. Das Haus von Familie Gerkens auf dem
Berge wurde fast total zerstört. Ab März 1945 konnten wir wegen
ständiger Gefahr durch Tiefflieger und andere Übel nicht
mehr zur Schule. Wir mussten aber öfter in der Feldmark und
in der Heide Brandplätzchen, Flugblätter und Metallfolien einsammeln,
die von den Fliegern abgeworfen worden waren.
Schon in den Jahren vorher und auch nach Kriegsende haben
wir im Sommer Heilkräuter gesammelt und mit zur Schule
genommen. Der Unterricht wurde erst im Oktober wieder
aufgenommen. Bis dahin war in Brökelbeck immer was los.
Es kamen viele Flüchtlinge aus Ostdeutschland. Aber auch
die Westfront war bei Bederkesa. Die Feldküche für dort
kämpfende Soldaten war bei unserem Nachbarn Wilkens
in der Scheune. Dort gab es viel zu sehen und manchmal
auch für ein paar frische Eier ein Stück Schokolade. Gegen
Kriegsende ist diese Einheit
abgezogen und es kamen
Frontsoldaten. Die hatten
bei Klaus Grünmann den Gefechtsstand
und in unserer
Gaststube wurden über unser
Telefon die Befehle entgegengenommen.
Weil die Gaststube bei unserem Zimmer
gegenüber lag, wurden meine Geschwister und ich durch die
Soldaten über wichtige Dinge informiert. Ende April sagte einer:
Der Führer ist gefallen. Die Erlösung kam gut eine Woche
später. Da hieß der Befehl: Gebiet kampflos übergeben. Das
war für die Soldaten ein Grund zum Feiern.
Von den Siegern erinnere ich mich an einen Panzer, der vor
unserer Haustür anhielt, und an einen Jeep, dem an der Hintertür
2 Soldaten entstiegen. Sie gingen in unsere Küche und
baten unsere Mutter, ihnen heißes Wasser für ihren mitgebrachten
Tee zu machen. Ein deutscher Offizier wurde bei
uns Ortskommandant. Zahlreiche Soldaten, die entwaffnet
waren, wurden in unserer Scheune und im Kuhstall einquartiert.
Das waren Leute mit verschiedenen Talenten. Einer hat
uns aus den Resten eines Kinderwagens ein mit Zügeln lenkbares
Go-Kart gebaut. Diese Kriegsgefangenen hatten ihre
Küche im Schießstand. Dort wurde sogar mal ein Rind geschlachtet.
Auch da gab es für uns immer was zu sehen. Bei
uns hinter der Scheune haben die Soldaten einmal Schnaps
gebrannt und dann gefeiert.
Als wir im Oktober wieder zur Schule mussten, waren die
Soldaten entlassen, aber es kamen noch immer Vertriebene
aus Ostdeutschland. Daraus ergab sich, dass wir viele neue
Mitschüler bekamen. Weil wegen fehlendem Heizmaterial
nur ein Klassenraum geheizt werden konnte, bestand der
Unterricht darin, dass unsere Hausaufgaben vom Vortag
nachgesehen wurden und wir neue Aufgaben bekamen. Weil
es keine Lehrmittel gab, haben wir im nächsten Schuljahr in
Schulhefte Fibeltexte geschrieben, damit die Schulanfänger
lernen konnten.
Auch sonst gab es außer den Lebensmittelrationen nichts zu
kaufen. Es sei denn, man hat etwas zum Tauschen. 1947 hat
mein Konfirmationsanzug 20 Pfund Butter gekostet. Speck
und Talg waren begehrter als Fleisch, wohl weil sie nahrhafter
waren und sie für die Zubereitung vieler Gerichte nötig waren.
1946 begann mein letztes Schuljahr; ich war 13 Jahre alt.
Nach Schulabschluss absolvierte ich eine Lehre als Sattler
bei Heinrich Badenius in Lamstedt.