
Vereine und Verbände Lebensmittelmarken in der
brochen. Daraufhin wurde
er verhaftet und landete
hinter Gittern.
Überall waren damals
Flüchtlinge einquartiert. Neben aus ihrer Ostheimat Vertriebenen
wohnten bei uns auch Helgoländer, die im April 1945
nach einem vernichtenden britischen Luftangriff, der die
Insel unbewohnbar gemacht hatte, evakuiert worden waren.
Wenn geschlachtet wurde, fiel auch immer ein großer Kessel
Brühe ab, für die keine Lebensmittelmarken benötigt wurden.
Dann kamen auch die Flüchtlinge aus der ganzen Gegend mit
Behältnissen aller Art: Kannen, Töpfe, Kessel, Tassen, um sich
Brühe abzuholen. Man konnte sie ja vielleicht mit etwas Gemüse
strecken, und auch wenn das nicht möglich war: Selbst
die Fettaugen auf der Brühe waren besser als gar nichts. Mit
der Währungsreform fanden diese Sachen ein Ende.
Werner Schütt, damals Basbeck am Moor, schlug sich von
Ostpreußen in die Heimat durch
Blutjung, als 17-Jähriger, wurde ich 1943 Soldat, war zuerst
in Frankreich stationiert, dann ging es an die Ostfront. Als
der Krieg sich dem Ende zuneigte, war ich in Ostpreußen,
von wo ich mich nach Hause durchzuschlagen versuchte. Anfangs
hoffte ich noch, mich Flüchtlingstrecks anschließen zu
können, aber die kamen nicht mehr raus. Ich hätte mir gerne
ein Pferd organisiert (als Junge war ich leidenschaftlicher
Reiter), um schneller voranzukommen, aber ein Berittener
wäre mehr aufgefallen als ein Mann zu Fuß. Ich befand mich
dann zeitweise hinter der schnell nach Westen vorrückenden
russischen Front und hatte Angst, in russische Kriegsgefangenschaft
zu geraten. Darum hatte ich meine Uniform gegen
Zivilkleidung getauscht und mein Soldbuch weggeworfen. An
Körperpflege war nicht zu denken, die Bisswunden von Wanzen
habe ich heute noch. Ich wurde auch Zeuge der Greueltaten
von Rotarmisten gegenüber der Zivilbevölkerung.
In Hamburg gelang es mir, mit einem Transporter, beladen
mit Schweinen, die Stadt zu durchqueren; bei Kontrollen
16 Hemmoor Magazin 02/2020
ging ich als Begleitpersonal
durch. Irgendwie
habe ich es schließlich
bis Hechthausen geschafft.
Doch zu meinem
Entsetzen stellte
die Ostequerung ein
unerwartetes Hindernis
dar. Zwar war die
Brücke in Hechthausen
nicht zerstört worden,
aber die auf der Brücke
kontrollierenden britischen Soldaten wollten mich nicht hinüberlassen.
Die einzige Brücke weit und breit! Nein, nicht die
einzige: Es gab ja auch noch die Eisenbahnbrücke in Hechthausen.
Ich machte mich dorthin auf den Weg, es ist ja nicht
weit, musste aber feststellen, dass sie zerstört war. Zum
Glück fand ich aber eine Möglichkeit, über die Trümmerteile
hinweg zu klettern und so nach Hause in Basbeck am Moor
zurück zu gelangen.
britischen Besatzungszone
Ich meldete mich bei den
Behörden und erhielt von
den Engländern den Befehl,
mich unverzüglich ins Lager
Sandbostel bei Bremervörde zu begeben. Dort war ich drei
Tage interniert. Das bedeutete für mich zwei Tage schlafen
mit vielen anderen im Freien auf der Erde, bevor ich zu meiner
Überraschung wieder entlassen wurde. Damit war der
Krieg endgültig für mich vorbei.
Kurt Tielmann, heute wohnhaft in Stade, bestaunte Männer
in Schottenröcken
An den Einmarsch der Engländer in Warstade 1945 kann ich
mich noch gut erinnern. An einem sonnigen und warmen
Maitag kurz nach der Kapitulation zogen Engländer in Formation
marschierend aus Richtung Stade kommend durch
Warstade. An der Spitze ein Musikzug, musizierende Männer
in Schottenröcken mit ihren Dudelsäcken. Wir Kinder, meine
beiden Schwestern, 6 und 2 Jahre alt, und ich, damals 8 Jahre
alt, und alle Nachbarskinder standen am Straßenrand und
staunten lauthals über Männer in kurzen Röcken mit so seltsamen
Flöten. Meine Eltern konnten uns gar nicht schnell genug
zurückholen aus Entsetzen und Furcht, dass wir lachenden
Kinder die Soldaten verärgern und brüskieren könnten.
Unser Haus wurde sofort beschlagnahmt als Wohnsitz für
höhere Offiziere. Binnen zwei Stunden mussten meine Eltern
mit uns ausziehen, nur mit den notwendigsten persönlichen
Dingen. Und wohin?? Unser damaliges Hausmädchen Herta
Dammann nahm uns mit in ihr Elternhaus wenige Meter entfernt
an der Hauptstraße hinter der Mühle. Ihre Mutter räumte
ihr Schlafzimmer und das Wohnzimmer und zog zu einer
Freundin. Die seit den ersten Märztagen bei uns einquartierte
Flüchtlingsfamilie, Frau Hofmann mit ihren 5 Kindern in
unserem Alter, stand nun wieder obdachlos auf der Straße.
Ihnen wurde ein kleines Behelfsheim am Warstader „Neuen
Friedhof“ zugewiesen. Sie lebten sich dort so schnell und gut
ein, dass sie später nicht zu uns zurück wollten. Einige Jahre
später nach Rückkehr ihres Ehemannes und Vaters zog die
Familie nach Brunsbüttel, wo Herr Hoffmann wieder in seinem
alten Beruf als Lotse tätig sein konnte.
Wir Kinder fanden unser neues Leben äußerst interessant
und genossen das ungestörte Herumstromern durch die
nachbarlichen Gärten bei wunderbarem, sonnigem Wetter.
Trotz des strikten elterlichen Verbots versuchten wir mit
unseren Freunden immer wieder, uns in unseren Garten zu
schleichen und neugierig zu erkunden, was wohl in unserem
Im Krieg zerstörte Eisenbahnbrücke (Symbolbild: Von der Anfang Mai
1945 gesprengten Hechthausener Brücke liegen keine Aufnahmen vor)
In dieser ehemaligen Direktorenvilla der Zementfabrik an der heutigen
B 73 wohnten die Tielmanns, bis sie auf Geheiß der Engländer ihr Haus
räumen mussten