
Rätsel um ein Handelsschiff
des 17. Jahrhunderts
Schiffswracks sind natürlich
nicht nur für Archäologen faszinierend,
sondern auch für
Sporttaucher. Und leider sind
bei einigen von ihnen die Schatzsucher-
Instinkte stärker als die Verantwortung
für das im Meer verborgene Kulturgut.
Bevor 2005 die archäologischen Untersuchungen
der Wracks bei Burgzand
unweit Texel begannen, hatten Sporttaucher
mehrfach Gegenstände von
einer Wrackstelle abgeborgen. Darunter
waren auch zwölf bronzene Kanonen,
deren gegossene Wappen auf Polen
als Herkunftsort schließen ließen.
Für die Taucher war klar: Es handelte
sich um ein polnisches Schiff des 16.
Jahrhunderts. Nachdem sie noch verschiedene
weitere Gegenstände gehoben
hatten, schien nichts mehr zu
fi nden zu sein. Das Wrack galt daher
unter den Tauchern als uninteressant
und als „abgelecktes Butterbrot“.
Und das war ein Glück! Denn als die
Archäologen die Wrackstelle systematisch
freizulegen begannen, kam eine
große Menge an Alltagsgegenständen
des 17. Jahrhunderts zutage. Durch
die sorgfältige Dokumentation der genauen
Fundorte innerhalb des Schiffes
war es möglich, dabei zwischen der
Schiffseinrichtung beziehungsweise
persönlicher Habe der Besatzung und
der Ladung zu unterscheiden. Und
bald wurde auch klar: Die polnischen
Kanonen gehörten nicht zur Bewaffnung
des Schiffs, sondern waren Teil
der Ladung und wahrscheinlich auf
dem Weg zum Einschmelzen.
Die Ausstellung „Abgetaucht!“ in Cuxhavens
Museum „Windstärke 10“ zeigt
einen Querschnitt durch die sehr vielfältige
Ladung des Schiffs: Von Kupferdraht
und Westerwälder Keramik
über typisch niederländische Tonpfeifen
bis hin zu etwa 2,5 Liter fassenden
Weinfl aschen reichte die Fülle der
verschiedenen Waren. Als besonders
aufschlussreich erwiesen sich Textilplomben
aus Blei. Im 17. Jahrhundert
war es üblich, Stoffballen durch die
Anbringung von solchen Plomben dagegen
zu sichern, dass unterwegs der
eine oder andere Meter Stoff einfach
abgeschnitten wurde. Eine der im
Wrack gefundenen Plomben wies die
Jahreszahl 1651 auf. Auch die Untersuchung
anderer Funde sprach dafür,
dass das Schiff nicht im 16. Jahrhundert,
sondern wahrscheinlich zwischen
1670 und 1680 untergegangen
war. Vermutlich handelte es sich um
ein etwa 28 Meter langes niederländisches
Frachtschiff, das im Ostseehandel
eingesetzt war. cj/jp
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Gute Erhaltungsbedingungen unter Wasser
lassen selbst Gegenstände aus dem
17. Jahrhundert wie neu aussehen.
schlimmer kam es in der Nacht vom 18. auf
den 19. Dezember 1660: Als es hell wurde,
hatten von den 155 Schiffen nur 38 nicht ihren
Anker verloren, etwa 100 Schiffe waren
eine Beute der See geworden.
Kein Wunder also, dass für Schiffsarchäologen
die Reede von Texel schon seit Jahrzehnten
von höchstem Interesse ist. Bei der
Untiefe Burgzand fanden sie auf einem Areal
von circa 1200 mal 600 Metern nicht weniger
als zwölf historische Wracks. Allerdings
machen die sehr schlechten Sichtverhältnisse
unter Wasser sowie starke Strömungen
die archäologischen Grabungen dort sehr
schwierig. Da jeweils nur Teile der Schiffe
erhalten waren, kam der genauen Dokumentation
der Funde und Befunde allergrößte
Bedeutung zu. Nur so konnte es gelingen,
Schiffe zu identifi zieren oder zumindest einigermaßen
gesicherte Erkenntnisse über
ihr ursprüngliches Aussehen, ihre Nationalität
und ihre wahrscheinlichen Fahrtrouten
zu gewinnen.
Das Ganze ist ein spannendes Puzzle, das immer
wieder neue Fragen aufwirft. Schon die
Funde, die derzeit im Museum „Windstärke
10“ zu sehen sind, machen aber deutlich,
dass sich der Aufwand mehr als lohnt. cj/jp