GenZs Abkehr vom Alkohol: Synthetische Cannabis-Produkte auch in Cuxhaven ein Problem
Zwischen TikTok-Perfektion und dem Rausch der Realität: Während Jugendliche ihren Alkoholkonsum reduzieren, steigt der Einsatz synthetischer Drogen. Wie sieht es in Cuxhaven und Bremerhaven aus?
In den Nullerjahren prägten Alcopops die Schlagzeilen: süße Mischgetränke als Einstieg in den Rausch. 2004 führte die Bundesregierung eine Sondersteuer von 5,59 Euro pro Liter reinen Alkohols ein, um die Getränke zu verteuern und den Konsum Minderjähriger zu bremsen. Umgerechnet auf eine Flasche süßer Alko-Brause macht das seither knapp 85 Cent pro Flasche aus. Parallel starteten Kampagnen wie "Kenn dein Limit" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Eine ganze Generation wuchs mit dieser Mahnung auf.
Doch Aufklärung allein erklärt nicht den sinkenden Konsum. Soziale Medien belohnen Selbstinszenierung und Makellosigkeit. Wer auf Selfies und Storys perfekt wirken will, meidet Kontrollverlust - und damit oft auch den Rausch.
Auf der einen Seite steht die Selbstoptimierung und TikTok-Welt, die ebendies verspricht, auf der anderen Seite bleibt Alkohol aber die leicht zu erwerbende Alltagsdroge. Sei es im Winter auf Zeltfeten oder im Sommer auf den Campingplätzen der Festivals: Die Exzesse gehen weiter. Wer beim Bierpong oder "Trichter-Saufen" besonders viel verträgt, gilt unter jungen Männern als besonders cool und auch Frauen nehmen am Alko-Kult teil.
Sober Curious - Lifestyle mit Marktwert
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung greift 2023 den Trend "sober curious" auf: ein freiwilliger, bewusster Umgang mit Alkohol, besonders bei jungen Erwachsenen.
Auf TikTok teilen Nutzer unter #sobercurious Tipps und Rezepte für alkoholfreie Drinks.
Der Markt reagiert mit "Mindful Drinks" und "Functional Beverages": Sirups mit Vitaminen, alkoholfreies Bier mit Pflanzenstoffen oder CBD- und THC-haltige "Social Tonics". Die Bewegung wirkt wie eine neue Konsumreligion: mit Ritualen, Communitys und Heilsversprechen - im Kern bleibt sie jedoch konsumgetrieben.

Vom Komasaufen zum Mischkonsum
Statistiken bestätigen den Wandel: Alkoholvergiftungen bei Minderjährigen sinken, auch das "Komasaufen" ist rückläufig. Gleichzeitig wächst der Mischkonsum mit illegalen Drogen. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik 2023 des Bundeskriminalamts bleiben Cannabis und neuerdings synthetische Cannabinoide die am häufigsten konsumierten Drogen unter Jugendlichen.
"Ein großes Problem derzeit sind synthetische Cannabis-Produkte, die oft in Verbindung mit "Vapes" konsumiert werden", erläutert Stephan Hertz, Polizeioberkommissar der Polizeiinspektion Cuxhaven. "Diese Stoffe stellen ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar, mit teilweise kaum abschätzbaren Folgen." Das Präventionsteam der Polizei halte oft Vorträge in Schulen, um über die entsprechenden Gefahren aufzuklären.
Regional meldet das Niedersächsische Landesgesundheitsamt für Nordwestdeutschland, zu dem auch Bremerhaven zählt, einen Rückgang der alkoholbedingten Krankenhausaufnahmen bei Jugendlichen unter 18 Jahren um rund 15 Prozent zwischen 2015 und 2022. Die Polizeidirektion Bremen/Bremerhaven berichtet zudem, dass jugendliche Alkoholverstöße seit 2018 um etwa 20 Prozent zurückgegangen sind, während die Zahl der Drogenfunde stabil bleibt.

Adoleszenz als kritische Lebensphase
Thomas Henning bietet als FreD-Trainer bei der AWO-Suchtberatung Kurse für Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten an. Adoleszenz werde von Fachleuten oft als eigene Lebenskrise beschrieben, erläutert Henning, da sie mit vielen Anforderungen, Veränderungen und Unsicherheiten verbunden ist. FreD ist ein europaweites Frühinterventions- und Präventionsprojekt und richtet sich an junge (potenzielle) Drogenkonsumentinnen und -konsumenten bis 21 Jahre.
Adoleszenz bezeichnet die Übergangsphase vom Kind zum Erwachsenen - meist vom 12. bis etwa 20. Lebensjahr -, in der körperliche, geistige und soziale Veränderungen stattfinden. Heute würden soziale Medien, Klimakrise, politische Konflikte und die Corona-Pandemie diese Belastungen zusätzlich verschärfen, so Thomas Henning. "Sie führen zu Mobbing, Anpassungsdruck, Zukunftsängsten und Rückzug. All das sollte berücksichtigt werden, wenn es um den Umgang Jugendlicher mit Suchtmitteln geht."
Eine Zeit lang sei das Rauchen von Zigaretten unter Jugendlichen verpönt und eher rückläufig gewesen, aber in Kontakt mit Lehrern und Schulsozialarbeitern war zuletzt die Rede von einer Rückkehr der Zigarette unter Schülern. "Zu jeder Bewegung scheint es auch immer irgendwann eine Gegenbewegung bzw. eine rückläufige Entwicklung zu geben."
Der FreD-Kurs im AWO-Suchtberatungszentrum Bremerhaven richtet sich an 13- bis 25-Jährige, die durch Drogen- oder Alkoholkonsum auffallen. Freiwillig oder zugewiesen, lernen sie spielerisch die sozialen, gesundheitlichen und rechtlichen Folgen kennen. Ziel ist, Konsumgründe zu reflektieren, Alternativen zu entwickeln und bei Bedarf Zugang zu professioneller Hilfe zu erhalten.