Nicht nur zu Weihnachten: Telefonseelsorge Elbe-Weser ist rund um die Uhr im Einsatz
Daniel Tietjen leitet die Telefonseelsorge Elbe-Weser, die ihren Sitz im Kreis Cuxhaven hat. Mit ihm sprach NEZ/CN-Redakteur Egbert Schröder über dieses "Rund-um-die-Uhr"-Angebot für Menschen in persönlichen Krisensituationen.
Herr Tietjen, es ist viel von der "besinnlichen Weihnachtszeit" die Rede. Ist sie für viele Menschen auch eine belastende Zeit? Häufen sich die Anrufe bei der Telefonseelsorge?
Das muss man differenziert betrachten. Was viele nicht wissen: Die Zeit, in der zum Beispiel die Suizidrate am höchsten ist, ist der Mai. Dann kommt die Sonne wieder raus. Wer in einer Depression steckt, merkt dann manchmal stärker, dass er oder sie viele Dinge nicht wie andere Menschen erleben kann. In der dunklen Jahreszeit dagegen merken Menschen, die depressiv sind, dass sich auch andere eher zurückziehen. Da fühlt man sich dann nicht ganz so "auffällig". Natürlich ist Weihnachten aber eine ganz besondere Zeit; und die mediale Aufmerksamkeit ist dann vielleicht bei diesem Thema größer.
Mit welchen Altersgruppen haben Ihr Team und Sie es denn bei der Telefonseelsorge am häufigsten zu tun?
Wir bedienen ja zwei Kanäle: Der Großteil der Anrufer am Telefon bewegt sich so um die 40 bis 70 Jahre. Im Chat geht es bei etwa 20 Jahren los.
Nutzen Jugendliche mit Problemen andere Kanäle als Ihr Telefonangebot oder den Seelsorge-Chat?
Jugendliche sind im Chat auch vertreten, aber sie nutzen eher Angebote wie die Hilfe über "Nummer gegen Kummer", die sich ja speziell an Kinder richtet.
Sie werben damit, dass ein Anruf anonym ist und bleibt. Doch wenn ich meine Nummer nicht unterdrückt habe, dann erscheint sie doch. Wie sieht es mit der Anonymität in diesem Fall aus?
Da greifen die Regelungen des Telekommunikationsgesetzes. Für Rufnummern wie unsere gilt, dass die Telefonnummern der Anruferinnen und Anrufer nicht im Einzelverbindungsnachweis auftauchen dürfen. Wir sehen auch keine Telefonnummern bei Anrufen, auch wenn mit einer nicht unterdrückten Nummer angerufen wird. Es werden auch keine personenbezogenen Daten, die vielleicht während des Gesprächs genannt werden, dokumentiert. Wenn jemand im Chat etwas über sich schreibt, dann ist es ja Bestandteil des Chats. Aber das wird alles so verwahrt, dass niemand da herankommt.
Kommen wir zu den Schwerpunkten der seelsorgerischen Arbeit. Über welche Themen wird besonders oft gesprochen?
Am Telefon zählen zu den meisten Problemen insbesondere Depressionen, familiäre Beziehungen, Einsamkeit oder auch Suizid. Das letzte genannte Thema ist gerade im Chat besonders verbreitet. Bei jedem dritten Chat geht es um Selbstmordgedanken.
Wie ist das zu erklären?
Da können wir nur Deutungsversuche unternehmen. Wir nehmen aber wahr, dass das Thema in der jüngeren Generation ausgeprägter ist, als bei den Älteren. Dass das Thema in der Altersgruppe der rund 20- bis 40-Jährigen besonders präsent ist, verursacht bei uns natürlich eine besondere Sorge. In der älteren Generation kommt diese Thematik dann eher ab etwa 60 Jahren wieder verstärkt vor. Dabei geht es auch um die nicht geklärte Gesetzgebung zum assistierten Suizid.
Sie haben ein etwa 80-köpfiges Team an ehrenamtlich tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Stoßen diese bei ihrer Tätigkeit manchmal auch an Grenzen?
Ja. Nehmen wir zum Beispiel das oft diskutierte Problem der Einsamkeit. Viele sind froh, das Thema überhaupt einmal zur Sprache zu bringen: "Ich fühle mich einsam. Ich bin allein. Ich habe auch zu Weihnachten niemanden an meiner Seite." Da sind wir sicherlich ein guter Gesprächspartner, wenn es um einen anonymen Kontakt auf Zeit geht. Man bekommt die Möglichkeit, etwas in der Anonymität sagen zu können, was auch mit Scham behaftet ist. Bei einem Menschen, der in seinem sozialen Umfeld keinen Kontakt mehr hat und einen Gesprächspartner sucht, mit dem er "einfach mal klönen" möchte, stoßen wir aber an Grenzen. Auf das Klönen sind wir nicht ausgelegt. Da müssen wir auch begrenzen, auch wenn es vielleicht mal harsch klingen mag. Die Grundidee war und ist kein wiederkehrender Smalltalk. Wir wollen und können vorwiegend nur für Menschen da sein, die sich gerade in einer akuten Krise befinden. Die Malteser haben ein sogenanntes "Paudertelefon" eingerichtet; eine sehr gute Idee. Wir haben aber einen anderen Ansatz.
Die Tätigkeit am Telefon ist sicherlich sehr fordernd. Man stößt vielleicht auch manchmal an die eigenen Grenzen. Wie wird versucht, das aufzufangen? Man sollte sicherlich nicht jedes Gespräch "mit nach Hause" nehmen, um Abstand zu wahren. Wie stellen Sie das sicher?
Das ist für uns das A und O. Jedes Teammitglied sollte von uns so gut versorgt sein, dass mögliche Belastungen schnell zur Sprache gebracht und geklärt werden. Dafür haben wir verpflichtend für alle einmal im Monat eine Supervision. Das wird aber auch nicht als Pflicht angesehen, sondern als Angebot, für das man dankbar ist. Es ist auch durch meine Kolleginnen im Fall der Fälle eine Erreichbarkeit geregelt, damit es zu einer schnellen Entlastung kommt.
Wer ist nicht für die Arbeit in der Telefonseelsorge geeignet?
Jemand, der so angelegt ist, dass er möglichst immer Ratschläge geben und Menschen empfehlen will, was sie tun sollen. Wer weniger gut zuhören und nicht auf Gefühle eingehen mag, ist eher weniger geeignet. Die Tätigkeit ist auf Menschen zugeschnitten, die bereit sind, sich auch mit sich selbst auseinanderzusetzen; auch mit der eigenen Haltung zu Themen und Gefühlen. Die Kunst ist es, mit dem Gesprächspartner, wenn man es mal als Bild beschreiben will, ein Stück spazierenzugehen und ihn so zu unterstützen, dass er oder sie eine Entlastung in der Situation erfährt. Es geht nicht um "die" eine schnelle Lösung. Es kann aber Fälle geben, in denen jemand ein konkretes Problem hat und sagt: "Nun sagen Sie doch mal, was Sie mir vorschlagen würden." Dann kann ich ihn ja fragen: "Was haben Sie für eigene Ideen?" oder "Was hat noch nicht geklappt?". Es geht darum: Wie kann ich ihn oder sie begleiten, dass man durch eigene Türen geht - ohne ihn oder sie zu manipulieren.
