
Dr. Jörg Bremer in der Wingst: "Israel hat sich verloren"
Der Nahostexperte Dr. Jörg Bremer sieht den Konflikt zwischen Israel und Palästina "zwischen Hass und Unfähigkeit". Der ehemalige Israel-Korrespondent der FAZ sprach in der Wingst über das Drama, das sich im Heiligen Land abspielt.
Das traditionelle Hadler Hochzeitssuppenessen des Rotary Clubs Otterndorf-Land Hadeln stand in diesem Jahr im Zeichen eines weltpolitischen Konflikts, der bereits seit Jahrzehnten währt und zuletzt einen neuen Tiefpunkt erreicht hat. Rund 100 Rotarier und Gäste von unterschiedlichen Service-Clubs aus der Elbe-Weser-Region waren im Gasthaus "Zur Linde" in Wingst-Zollbaum zusammengekommen, um den Ausführungen eines Nahostexperten zur Lage in Israel und Palästina zu folgen.
Vortragender war Dr. Jörg Bremer, Berlin. Sein Thema: "Israel und Palästina - ewiger Unfriede. Zwischen Hass und Unfähigkeit im Heiligen Land." Der Journalist und Historiker war 18 Jahre lang Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Israel und hat über den Nahostkonflikt berichtet. Eines seiner Bücher über Israel trägt den Titel "Unheiliger Krieg im Heiligen Land - meine Jahre in Jerusalem" (2010).
Es gebe derzeit nichts "Frustrierenderes, als über das Heilige Land zu sprechen", so Bremer. Und mit der neuen US-amerikanischen Administration werde nichts besser in Nahost, denn es gehe nicht mehr um Menschen, Moral sei kein Kriterium mehr.
Allmachtsgefühl der Hamas mit religiöser Rechtfertigung
Bremer verurteilte den Überfall der Hamas auf israelische Kibbuzim und Festivalbesucher am 7. Oktober 2023. In ihrem Allmachtsgefühl mit religiöser Rechtfertigung sei es der Hamas vollkommen gleichgültig gewesen, wer entführt und wer getötet würde. Es waren Israelis, Palästinenser und thailändische Erntehelfer darunter. Bremer bezeichnete das als Genozid. Der Überfall der Hamas habe israelische Kibbuzim aus dem linken Lager getroffen, die die Verständigung mit den Palästinensern gesucht hätten, keine radikalen Siedler oder Ultrareligiöse.
Vom Ausgleich mit Palästina weiter weg denn je
Seit der zweiten Intifada sei der Hass unter Palästinensern auf Israel und der Hass der rechten Israelis auf die Palästinenser grenzenlos. Sie habe das linke politische Lager in Israel zerstört. "Die Zionisten waren ursprünglich für den Ausgleich mit Palästina. Aber davon sind wir heute weiter weg denn je." Deshalb sei auch eine Zweistaatenlösung zum jetzigen Zeitpunkt eine unrealistische Option. Die Auseinandersetzung habe sich von einem reinen Gebietskonflikt in einen religiös überhitzten Konflikt verwandelt. Zur Radikalisierung der Palästinenser und deren Annäherung mit der libanesischen Hisbollah habe Israel selbst massiv beigetragen.
Der gesamte Gazastreifen ist militarisiert worden
Die Hamas, hervorgegangen aus der sunnitischen Muslimbrüderschaft, sei, so Bremer, ursprünglich eine identitätsstiftende soziale Bewegung in Gaza gewesen. Nachdem sie die säkulare Fatah aus Gaza verdrängt hatte, radikalisierte sie sich hin zum religiösen Fundamentalismus. Ein ehemaliger Hamas-Führer habe Bremer erklärt, dass es umso besser für die Organisation sei, je schlechter es der Bevölkerung in Gaza gehe. Es gehe längst nicht mehr darum, den Menschen zu helfen, sondern darum, Kämpfer für die Hamas hervorzubringen. Der gesamte Gazastreifen sei militarisiert worden, mit Waffenlagern in Moscheen oder Raketenabschussrampen in den Hinterzimmern von Bäckereien. Bremer: "In Gaza gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Kämpfern und Nichtkämpfern." Die Hamas habe eine schreckliche Diktatur errichtet.
"Eine widerwärtige Familie, eine politische Fehlgeburt"
Und auf israelischer Seite regiere mit Benjamin Netanjahu, ein Mann vom Schlage Trumps oder Berlusconis, den allein seine Eitelkeit an der Macht halte, so Bremer. "Eine widerwärtige Familie, eine politische Fehlgeburt", ereiferte sich der Journalist. Netanjahu habe es zugelassen, dass die Geldflüsse aus Katar die Hamas erreicht hätten. Sein Prinzip "Teile und herrsche" habe den Bruch zwischen der Fatah im Westjordanland und der Hamas in Gaza befördert, mit fatalen Folgen. Auch der Bau gigantischer Tunnelsysteme in Gaza schien für Netanjahu kein Problem darzustellen. Und es habe durchaus Hinweise im Vorfeld auf den Überfall der Hamas am 7. Oktober gegeben. Doch die linken Kibbuzim seien Netanjahu egal gewesen.
Der Regierungschef habe keine Strategie, keine Idee, wie es mit Gaza weitergehen soll. Stattdessen werde Trumps Immobilienprojekt bejubelt. Das politische Versagen in Israel, der Kontrollverlust der Regierung sei offensichtlich. Netanjahu selbst sei es, der den israelischen Staat gefährde. "Israel hat sich verloren."
Bremer: "Der Konflikt ist militärisch nicht lösbar"
50.000 Menschen seien in Gaza umgekommen, das Gebiet wurde massiv verwüstet, sämtliche Führer der Hamas wurden ausgeschaltet. Dennoch sei die Terrororganisation nicht besiegt. "Der Konflikt ist militärisch nicht lösbar", so Jörg Bremer. Der Wiederaufbau des Gazastreifens sei nur mit den Palästinensern möglich.
Deutschlands Staatsräson sei es, Israel in sicheren Grenzen zu wissen. Die Bundesregierung sollte nach Bremers Ansicht auch die Angehörigen der Entführten unterstützen. In seinen Augen das einzig Positive an dem schrecklichen Geschehen: Die Palästinafrage liege wieder auf dem Tisch der Weltpolitik.