

Cuxhaven: Wanderung im Winter-Watt - Reise zum Sahlenburger Loch
CUXHAVEN. Das Wattenmeer ist weltweit einzigartig. Besonders im Winter lässt sich ein faszinierendes Stück davon erleben. Eine multimediale Erkundungstour zwischen Sahlenburg und Neuwerk.
Seit 1986 steht dieses Gebiet zwischen Sahlenburg und Neuwerk unter Naturschutz. Der Boden besteht aus einem Gemisch aus Meeres- und Flussboden, wie Thomas erklärt. Elbe, Weser, Jade und Ems bringen ihre Sedimente in die Nordsee. "Die haben eine völlig andere Beschaffenheit als der normale Sandboden, den alle mit dem Meeresboden verbinden. Und das ist auch das, was unsere Tiere hier so gerne haben." Insgesamt über dreieinhalbtausend Quadratkilometer umfasst der niedersächsische Nationalpark Wattenmeer. Seit 2009 gehört er sogar zum Unesco-Weltnaturerbe. "Da sind wir Cuxhavener verdammt stolz drauf", erklärt Thomas und bricht mit seiner mitgebrachten Stechgabel einen Teil des Bodens auf.
Ein Wattwurm lässt sich kurz blicken, verschwindet jedoch kurz danach wieder im moddrigen Boden. "Auf einem Quadratmeter Wattboden leben im Sommer etwa 10 000 Lebewesen. Das ist extrem viel", betont Thomas. Etwa 1,6 Kilogramm Biomasse würden die kleinen Bewohner auf einem Quadratmeter auf die Waage legen. "Das ist die zweithöchste Zahl der Welt. Nur das Amazonas-Delta toppt uns mit 1,9 Kilogramm." Das gesamte Nordsee-Wattgebiet erstreckt sich von Den Helder in den Niederlanden über die westfriesischen und ostfriesischen Inseln, vorbei an Wilhelmshaven, Bremerhaven und Cuxhaven bis hoch nach Sylt. "Erst hinter der dänischen Landesgrenze in Esbjerg ist das Wattgebiet zu Ende. Das sind über zehntausend Quadratkilometer und damit ist es das größte zusammenhängende Wattgebiet der Welt."
Schutz und Umweltbildung
Der Alltag ganz fern
Unsere kleine Wattwandergruppe bewegt sich inzwischen immer weiter weg vom Festland. Die Luft wird immer frischer, der Blick immer klarer. Und unser Alltag verschwimmt immer mehr in den Pfützen im Watt. Raus aus unseren Köpfen. Die ständige Veränderung des Wattenmeers durch Wind, Wellen, Ebbe und Flut, mit dieser an der Oberfläche kaum wahrnehmbaren Vielfalt, die sich in der Tiefe versteckt.
"Die Menschen auszusperren, ist nicht der richtige Weg"
Eines der Kriterien der Unesco sei neben der Biodiversität auch die geologische Veränderlichkeit, die Dynamik gewesen, so Rauhut. Während ich durch tiefes und flaches Watt wate, geht mir ein Gedanke nicht aus dem Kopf: Müsste man das Ökosystem zu dessen Schutz nicht eher allein lassen? Mein gelber Begleiter hält dagegen. Die Menschen auszusperren sei nicht der richtige Weg. Und auch Bernhard Rauhut vertritt diese Meinung: "Man muss Menschen möglicherweise lenken, kanalisieren, von sensiblen Bereichen fernhalten", erklärt er mir. "Die Dimension des Wattenmeers ist jedoch dermaßen groß, dass es die Einflussnahme an einigen Hotspots, wie hier in Cuxhaven, meiner Ansicht nach verkraften kann." Hinzu kämen Regeln, die Menschen befolgen können, um das Watt zu schützen. An diese Regeln solle man sich jedoch nicht nur halten, "weil man Sorge hat, dass der Polizist um die Ecke kommt. Sondern vielleicht auch, weil man es begriffen hat und einsieht, dass man sich an diese Regeln halten muss, damit diese Werte erhalten bleiben."
Immer deutlicher spüren wir den rauen Wind an unseren Ohren. Die Kamera habe ich im Rucksack verstaut. Vollends sauge ich die Umgebung auf, lasse mich von ihr einnehmen. "Ich möchte, dass du hier was erlebst", ruft mir Thomas zu. Mit Erfolg.
Biosphären-Gedanke
Thomas und ich sind inzwischen an einer Stelle im Watt angekommen, die mich eher an einen tiefen Flusslauf in den Bergen erinnert. Nur, dass ich den Boden nicht erkennen kann und praktisch ins "Braune" hineinstakse. Meinen Leitmann stört das nicht. Ohne zu zögern setzt er einen Schritt nach dem anderen. Und ich hinterher. "Das wird ein Abenteuer", diese Worte aus unserem Vorgespräch dringen mir ins Gedächtnis. Auch dass er mich zuvor gefragt hatte, wie groß ich denn sei. "1,58 Meter, wieso?", hatte ich ihn verdutzt gefragt. Auch wenn meine Beine gerade fast zur Hälfte verschwunden sind und ich immer öfter stecken bleibe, wird das alles zur Nebensache. Selbst der leichte Regen fällt mir kaum auf. Zu still, zu weit, zu schön ist die Umgebung. Liefe dieser breit grinsende, leuchtend gekleidete Mann nicht neben mir her, hätte ich das Gefühl, vollständig allein zu sein. Meilenweit ist niemand zu sehen, nur ab und an lässt sich in der Ferne eine Gruppe Austernfischer blicken. "Weißt du, was das Besondere an denen ist?", fragt mich mein Begleiter. "Erst hört man sie, dann sieht man sie."
Sahlenburger Loch
Nach unserem kurzen Marsch durch den Priel erreichen wir "Land". Eine kleine, künstlich aufgeschüttete Stein-Insel mitten im Watt. "Du hast gerade das Sahlenburger Loch durchquert, herzlichen Glückwunsch", grinst mich Thomas an. Überrascht, etwas stolz und mit großen Augen schaue ich mich um. In der Ferne entdecke ich das älteste Gebäude Hamburgs, den Leuchtturm auf Neuwerk. Die Steine unter uns wurden zur besseren Anbindung zwischen Insel und Festland aufgeschüttet. In diesem Moment dienen sie als Rastplatz - und für eine natürliche Schatzsuche. Thomas präsentiert eine pazifische Auster, überwuchert von Miesmuscheln und mit einer Geschichte. "Nachdem um 1930 durch Krankheit und Überfischung die Europäische Auster im Bereich der deutschen Nordsee ausgestorben war, kultivierten die Niederländer in den 60er-Jahren die Pazifische Auster an der Oosterschelde. Sie wächst rasant, ist widerstandsfähiger und lässt sich einfach züchten." Das Tier passte sich dem neuen Lebensraum an, mit Folgen: "Wir versorgen jährlich zwölf Millionen Seevögel hier bei uns. Muscheln sind deren Hauptnahrung. Durch die pazifische Austernschale kommen deren Schnäbel jedoch nicht durch." Als Folge verbreitet sich die Auster und verdrängt die Miesmuschel. Ein Eingreifen des Menschen und die Entfernung der Auster als invasive, fremde Art sei wegen des Naturschutzes nicht möglich.
Zurück zum Festland
Auf unserer Erkundungstour bleibe ich kurz im Watt stecken. Mit gekonnten Handgriffen zieht Thomas mich aus der braunen Masse wieder heraus. Man merkt, er macht das nicht zum ersten Mal. Während das Wasser langsam steigt, treten wir den Heimweg an. "Hier gehe ich nicht mehr weg", lächelt der Mann in Gelb.
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