
Auf der „Hanseatic“ von Cuxhaven in die USA
Eine Geschichte vom Auswandern und Ankommen: Mit zwei Koffern machte sich Ingeborg Wolter auf den Weg – und entschied sich zum Bleiben
Frau war später verstorben. Wir
wurden gute Freunde, sodass ich
ihn einlud, zu mir ins Haus zu ziehen,
um seine 1000 Dollar Miete
zu sparen. Daraus wurden 14 sehr
gute Jahre und ein Ehepaar. Wir
hatten eine wunderschöne Zeit zusammen.
Während dieser Zeit
wurde bei Günter Krebs diagnostiziert.
Zehn Jahre ging es gut. Doch
dann begann mein Problem. Ich
musste am Rücken operiert werden.
Von da an ging alles bergab.
Mit 62 Jahren musste ich meine
Arbeit aufgeben. Ich wurde ein Invalide
mit dem Rücken. Später
wurde bei Günter der Krebs stärker
und er starb 2002.
Im Jahr 2000 musste ich auf aufhören,
mit dem Auto zu fahren.
Ich bin vor dem Gesetz blind. Danach
ging es für mich wieder rapide
abwärts. Herzprobleme, Krebs
und vieles mehr. Ich schaffte aber
meinen 80. Geburtstag. So ging
dann ein Tag nach dem anderen
vorbei.
Ohne Hilfe geht´s nicht
Ich lebe alleine mit meiner Tippi,
die ich mir vom Tierheim geholt
habe. 2014 wurde ich dann auch
mit Krebs diagnostiziert. Fünf Jahre
bin ich jetzt krebsfrei, feierte
meinen 85. Geburtstag am 28. August
in meinem Garten mit zwei
jungen Frauen und meiner Tippi
mit Girlanden, Ballons, Tiara und
Torte, alles während der Pandemie.
Abends hatte ich dann noch
mal zwei Freundinnen zum
Abendessen.
In dieser Zeit brauche ich auch
viel Hilfe. Ich kann es selber nicht
mehr schaffen. Ich lebe noch alleine,
koche und wasche für mich
uns versorge meinen Hund. Habe
einen Gärtner für den Garten, eine
Reinmachefrau fürs Haus, eine
gute Frau für Einkäufe, Besuche
und vieles mehr. Zum Schreiben
und Lesen habe ich ein Gerät, das
mir beim Sehen hilft. Die meiste
Zeit verbringe ich an meinem Gerät.
Das ist mein Leben hier in
Amerika.
Ich wünsche allen Verwandten
und Bekannten sowie allen in der
Redaktion ein gesegnetes Weihnachten
und Gesundheit für das
neue Jahr und besonders viele
Grüße an Bruder Dieter und Else
Wolter, Torsten Wolter, Martina
und Peter Thohoff und Söhne,
Monika Moore mit Jennifer und
Andreas sowie Bekannte in der
Bauverein-Straße in Cuxhaven.
Ingeborg Wolter
noch die Arztkosten für Julia, mal
eben 20 000 Dollar und dazu auch
noch die Beisetzung für 5000 Dollar.
Wo sollte ich bloß das Geld
hernehmen?
Dann kam ein noch größeres
Unglück dazu: Die Nachricht, dass
mein Vater drei Tage später in
Cuxhaven starb und ich nicht zur
Beerdigung kommen konnte.
Noch heute tut es mir weh, nur daran
zu denken. 1986 war das Jahr,
das ich nie vergessen werde. Dreimal
landete ich dazu noch im
Krankenhaus mit verschiedenen
Krankheiten und war danach zwei
Jahre alleine, tat meine Arbeit und
sorgte für mein Haus sowie meine
beiden Tiere, einen Hund und eine
Katze. Die Arbeit und die Kirche
waren mein Beistand.
1988 kam eine Änderung in
mein Leben. Der Umschwung auf
der Arbeit brachte mir eine bessere
Zeit. Nach 25 Jahren in der Aufnahme
wurde diese geschlossen
und alles auf den Kopf gestellt. Patienten
wurden gewechselt, Angestellte
ausgetauscht und vieles
mehr. Ich befand mich plötzlich in
der Reha-Abteilung, eine viel
leichtere Arbeit. Dort lernte ich
dann meinen zukünftigen Mann
kennen, bei einer Tasse Kaffee.
Eine lange Geschichte.
Wir wurden gute Kameraden,
besuchten uns öfter. Bei einem der
Besuche sah ich ein altes Bild von
ihm und ein Licht ging in mir auf:
Dieses ist der Mann, mit dem ich
vor 20 Jahren immer Deutsch gesprochen
hatte, als ich seine Patienten
mit Essen versorgt hatte.
Damals war er verheiratet, seine
Haus bekommen. So haben wir
uns entschlossen, nach Feierabend
noch eine Arbeit in einem anderen
Krankenhaus anzunehmen, um
die 3000 Dollar abzuzahlen. Wir
schafften es innerhalb eines Jahres.
Bevor ich das Haus kaufte, hatte
ich gespart, damit meine Eltern
mich besuchen konnten. Ich
schickte ihnen das Ticket für die
Überfahrt auch New York mit der
„Hanseatic“ und zurück. Sie waren
hier für sechs Monate auf Besuch
bei der ältesten Schwester
meines Vaters und haben viel von
Amerika gesehen, vor allem seine
Schwestern, die er seit 1923 nicht
mehr getroffen hatte.
Nachdem Julia und ich das
Haus gekauft hatten, kamen meine
Eltern mich öfter besuchen. Wir
hatten beide viel Familienbesuch
aus Deutschland, England, Schottland
und Australien. Julia war eine
gebürtige Schottin. Eine sehr komische
Kombination: Cuxhavener
Platt und schottischer broke. Wir
lebten 20 Jahre zusammen als zwei
Schwestern. Von Julia lernte ich
viel: Das Englisch-Schreiben,
Techniken für die Krankenpflege
und vieles mehr.
Schreckliches Jahr 1986
Im Jahr 1986 starb Julia nach jahrelanger
schwerer Krankheit. Da
war ich plötzlich ganz allein und
wusste nicht, wie es weitergehen
sollte. Ich erbte Julias Hälfte von
dem Haus. Es war auf 200 000
Dollar geschätzt, davon musste ich
15 Prozent Erbschaftssteuer an
den Staat abgeben, weil wir nicht
verwandt waren. Dazu kamen
sprach, fiel es mir schwer, zu verstehen
und mit anderen Leuten zu
reden. Aber meine damaligen Kollegen
hatten viel Geduld und Spaß
mit mir und ich fühlte mich wohl
in der Gruppe.
Nachdem ich mein erstes Geld
hier verdient hatte, wurde mir bewusst,
wie viel leichter es war, hier
einen Dollar zu erarbeiten als eine
Mark in der Cuxhavener Fischindustrie.
Da habe ich mich entschlossen,
hier zu arbeiten. Ein
paar Monate später fuhr meine
Tante für den Sommer für drei Monate
an die Westküste – Washington
State – und ließ mich alleine
im Haus in Coldwell. Als sie von
dort zurückkam, konnte ich mich
auf Englisch mit anderen verständigen.
Ich habe dann noch zwei Jahre
in der Küche gearbeitet und bin in
die Krankenpflege gewechselt. Ich
machte jeden Kurs mit, der mir angeboten
wurde. So habe ich mich
jedes Mal verbessert und bin die
Leiter hochgestiegen. Auf einem
dieser Aufstiege lernte ich meine
Freundin Julia kennen, sie war für
einige Zeit meine Supervisorin.
Wir wurden beste Freundinnen.
Nach einiger Zeit haben wir uns
entschlossen, ein Haus zu kaufen.
War das möglich für uns? Wir gingen
zum Makler, fanden ein Haus
für 19 250 Dollar und haben uns
einschreiben lassen. Da ich mir
erst kürzlich ein Auto gekauft hatte
und es abzahlte, hatte ich mehr
Schulden als Haare auf dem Kopf.
Wir mussten uns von Freunden
noch 3000 Dollar für die Anzahlung
leihen. Aber wir konnten das
übergroßen Häuser, meine Augen
fielen beinahe aus dem Kopf.
Nach dem Ausschiffen wurde
ich von meiner Tante und meinem
Onkel erwartet. Danach fuhren
wir mit dem Auto durch den Lincoln
Tunnel nach New Jersey. In
Coldwell, NJ, lebte ich etwa zwei
Jahre bei meiner Tante und fand
1962 Arbeit. Bei meinem ersten
Weihnachten in Amerika waren
wir eingeschneit. Ich hatte noch
nie so viel Schnee auf einmal gesehen.
Ich hatte viel Spaß, Schnee zu
schaufeln.
Im Januar führte die erste große
Reise mit dem Auto nach Miami,
Florida, wieder ein großes Erlebnis,
und vor allem traf ich dort eine
weitere Schwester meines Vaters.
Im Ganzen hatte er drei Schwestern
hier in den USA, wovon wir
keine Ahnung gehabt hatten.
Nach drei Monaten Besuch in Florida
mit Besichtigungen vieler Sehenswürdigkeiten
ging es zurück
nach New Jersey.
Start als Küchenhilfe
Ich hatte mich im November 1961
für einen Job in Essex County beworben,
aber keine Antwort erhalten,
so hatte ich die Zeit im warmen
Florida verbringen können.
Bei der Rückkehr bekam ich Bescheid:
Ich könnte eine Arbeit als
Küchenhilfe im Essex County
Hospital erhalten. Am 2. Mai 1962
fing ich dort an zu arbeiten. Das
erste, was ich machen musste, war,
eine große Wassermelone aufzuschneiden.
Ich hatte noch nie
Wassermelonen gesehen. Da ich
zu der Zeit noch kein Englisch
Ingeborg A. Wolter, 267 Hillside Ave,
Livingston NJ 07039-3605, USA, ist
schon viele Jahre bei der Grußbrücke
dabei und berichtet diesmal auch von
ihren Anfangsjahren in den USA:
Herzlichen Dank für Ihre Einladung
zur Grußbrücke. Da in diesem
Jahr nicht viel in einem Leben
passiert ist, schreibe ich über mein
Leben in den USA von 1961 bis
2020. 1958 kam meine Tante aus
Amerika auf Besuch zu uns, für sie
war es das erste Mal seit 1923 und
wir lernten sie kennen. Sie hatte
Geld und Papiere für mich dabei
und wollte mich mitnehmen, aber
ich konnte mich nicht entschließen
und blieb zu Hause.
Dann, 1960, hatte ich eine bittere
Enttäuschung erlebt, war wieder
alleine und lebte bei meinen Eltern,
ich hatte mir ein Zimmer im
selben Mietshaus, in dem meine
Eltern wohnten, gemietet. Dort
verbrachte ich meine freien Stunden.
Da ich allein war, plante ich
einen USA-Urlaub.
Ich arbeitete in der Zeit in der
Fischabteilung von Werber +
Schütt, verdiente gutes Geld und
fing an, für den Urlaub zu sparen.
Das Geld für die Hinfahrt mit der
„Hanseatic“ nach New York hatte
ich, aber brauchte noch mal das
Gleiche für die Rückfahrt. Zu der
Zeit war die Telefonverbindung
noch nicht. So wurde alles per
Post geregelt.
Als meine Tante erfuhr, dass ich
die Rückreise nicht zusammenkriegen
konnte, riet sie mir zur
Auswanderung, dann könnte ich
dort arbeiten und mir die Rückreise
erarbeiten. Ich wollte nicht meiner
Tante auf der Tasche liegen,
denn ich kannte sie ja nur ganz
kurze Zeit und ich war schon viel
zu selbstständig.
50 Dollar in der Tasche
Nun drehte sich das Rad andersherum.
Ich reichte die Papiere für die
Einwanderung ein. Das war eine
lange Prozedur, aber das habe ich
geschafft. Ich verließ Cuxhaven
am 30. September 1961 mit der
„Hanseatic“ und kam am 9. Oktober
1961 in New York mit zwei
Koffern und 50 Dollar in der Tasche
an. Bei der Überfahrt erlebte
ich meinen ersten Hurrikan, kurz
bevor wir New York erreichten.
An der Hafenpier 62 herrschte
frühmorgens schon schöner Sonnenschein.
Das erste, was ich sah,
waren die vielen roten Rücklichter
von den vielen Autos, dann die
Wie so viele andere
startete Ingeborg
Wolter
mit der „Hanseatic“
in Cuxhaven
in ihr neues
Leben in den
USA.
Foto aus dem
Buch: „Die Geschichte
einer
schönen Hamburgerin“