Auf dem Fachtag "Häusliche Gewalt und Kindschaftsrecht" sprachen Ulla Wichmann (l.), Christina Clemm (2.v.l.) und Wolfgang Hammer (2.v.r.). Helle Vanini (r.), Geschäftsführerin des Paritätischen Cuxhaven, moderierte den Fachtag. Foto: Brettschneider
Auf dem Fachtag "Häusliche Gewalt und Kindschaftsrecht" sprachen Ulla Wichmann (l.), Christina Clemm (2.v.l.) und Wolfgang Hammer (2.v.r.). Helle Vanini (r.), Geschäftsführerin des Paritätischen Cuxhaven, moderierte den Fachtag. Foto: Brettschneider
"Dokumentationen des Grauens"

Fachtag des Paritätischen Cuxhaven: Referent deckt in Studie Machtmissbrauch auf

von Bengta Brettschneider | 21.11.2024

Die neue Studie von Wolfgang Hammer, Soziologe und Fachautor, belegt: Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich. In Cuxhaven sprach er auf einem Fachtag im Kreishaus über ein bundesweites Muster der systematischen Täter-Opfer-Umkehr.

Rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, bestehend aus Vertretern der Jugendhilfe des Landkreises Cuxhaven. der Polizei, der Opferhilfe, den Beratungsstellen und Frauenschutzeinrichtungen, der Justiz, wie auch dem Jobcenter und Kindertagesstätten waren im Kreishaus Cuxhaven zusammengekommen. Helle Vanini, Geschäftsführerin des Paritätischen Cuxhaven, gab in ihrer Begrüßung zu bedenken, dass die Istanbul-Konventionen, die seit 2018 in Deutschland rechtskräftig sind, keine Empfehlung seien, sondern ein geltendes Gesetz. Die 81 Artikel der Istanbul-Konvention enthalten umfassende Verpflichtungen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, zum Schutz der Betroffenen und zur Bestrafung der Täter und Täterinnen.

Auswertung von 154 familienrechtlichen Fällen

Der Fachtag des Paritätischen Cuxhaven fand unter dem Thema "Häusliche Gewalt und Kindschaftsrecht" statt und neben der Familienrichterin Ulla Wichmann aus Hannover referierte auch Christina Clemm, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Straf- und Familienrecht aus Berlin, die auch Autorin der Bücher "Akteneinsicht-Geschichten von Frauen und Gewalt" und "Gegen Frauenhass" ist.

Als dritter Fachreferent konnte Autor Wolfgang Hammer gewonnen werden. Dieser ist seit 2017 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Kinderhilfswerks. Der promovierte Dr. phil. der Soziologie, Pädagogik und Ethnologie war von 2005 bis 2013 Vertreter der Jugend- und Familienministerkonferenz und auch Teil des Runden Tisches zum sexuellen Kindesmissbrauch.

Beim Fachtag gab Wolfgang Hammer einen Einblick in seine neue Studie, die erst am 20. November veröffentlicht wurde. Diese weist erstmals nach, dass Familiengerichte und Jugendämter eine vorurteilsgeleitete Grundannahme gegenüber Müttern haben.  Dadurch sei der grundgesetzlich verankerte Gleichheitsgrundsatz verletzt und nehme Betroffenen die Chance auf ein faires Verfahren. Für diese Studie werteten Hammer und sein Team 154 familienrechtliche Fälle aus, die lokale, regionale und bundesweite Medien unabhängig voneinander recherchiert hatten.

Bundesweites Muster der systematischen Täter-Opfer-Umkehr

Die Studie von Wolfgang Hammer und seinem Team konnte ein bundesweites Muster der systematischen Täter-Opfer-Umkehr ausmachen, das bisher in den "Black Boxen" von Jugendämtern und Familiengerichten verborgen blieb. In 147 der 154 analysierten Fälle wurden laut Hammer unwissenschaftliche Begriffe wie "Bindungsintoleranz", "Entfremdung" und "Mutter-Kind-Symbiose" benutzt. Außerdem wurden behauptete, aber ebenso widerlegte "psychische Störungen der Mutter" vom Familiengericht zur Begründung von Inobhutnahmen, Heimunterbringungen oder von Zwangsvollstreckungen unter Gewaltanwendung gegen Kinder genutzt.

Das unwissenschaftliche Konzept "PAS", also das "Parental Alienation Syndrome", unterstellt meist Müttern nach einer Trennung aus egoistischen Motiven dem anderen Elternteil den Kontakt zu den gemeinsamen Kindern einzuschränken oder ihn zu verwehren und dadurch die Kinder zu gefährden. Gemäß der Logik dieses Konzepts würden Verweise auf psychische oder physische Gewalt nur vorgetragen werden, um den anderen Elternteil aus dem Umgangs- und Sorgerecht herauszuhalten. Für diese Annahme gebe es weder Forschungsergebnisse noch statistische Daten. Erwiesen hingegen sei jedoch die Häufigkeit der vorausgegangenen häuslichen und sexualisierten Gewalt durch den Partner.

Involvierte Fachleute verfügen über eingeschränkte Fachkenntnisse

Dieses Konzept führt laut Hammer und seinem Team zu fehlendem oder unzureichendem Schutz vor Gewalt für Kinder und Mütter. Die Studie arbeitete außerdem heraus, dass die in Verfahren von Jugendämtern und Familiengerichten involvierten Fachleute nicht oder nur eingeschränkt über wissenschaftsbasierte Fachkenntnisse verfügen oder diese nicht anwenden. Stattdessen würden sie auf pseudowissenschaftliche Deutungs-Schablonen wie das "PAS-Konzept" zurückgreifen.

Aus dem analysierten Material ergebe sich, dass sich an Familiengerichten teils feste Gruppierungen aus Richtern, Verfahrensbeiständen und Gutachtern etabliert hätten, die dauerhaft und folgenschwer zusammenarbeiten.

Analysierte Medienberichte sind "Dokumentationen des Grauens"

Die Studie dokumentiert darüber hinaus, wie gewissenhaft und aufwendig deutsche Medien von der
Lokalzeitung bis zu bundesweiten Medien ihrer Verantwortung als vierter Gewalt nachkommen und gerecht
werden. Umso erstaunlicher ist es, dass die breite Berichterstattung bisher zu keiner Veränderung in der Bewertung der Problemlage seitens der Politik geführt hat.

Die analysierten Medienberichte seien "Dokumentationen des Grauens", sagt Studienautor Wolfgang Hammer.
"Sie zeigen jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Aufgrund von Einstellungen, Meinungen und ideologischer Zielrichtungen wird systematisch und inzwischen auch systemisch Machtmissbrauch betrieben. Systeme, in denen Unrecht geschieht, wachsen zunächst im Verborgenen. Wenn Legislative, Exekutive und Judikative es zulassen, dass rechtsstaatliche Grundsätze infrage gestellt und Gewaltformen an Kindern und Müttern juristisch legitimiert werden, dann versagt der Staat in seinem Schutzauftrag, der Rechtsstaat erodiert."

Wolfgang Hammer fordert sofortige Untersuchung und Reform

Hammer fordert daher eine sofortige Untersuchung und gründliche Aufarbeitung der Lage durch die Politik.
"Das ist unabdingbar und unerlässlich vor einer Reform des Kindschaftsrechts. Die bestehende
Praxis in Familiengerichten und Jugendämtern gefährdet das Vertrauen in unsere rechtsstaatlichen,
demokratischen Institutionen nicht nur heutiger Erwachsener, sondern auch der heranwachsender
Generationen. Sie gefährdet konkret Kinder und Mütter - und im Großen den Bestand unserer Demokratie."

Die Studie ist unter www.familienrecht-in-deutschland.de abrufbar.

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