Wie 1980 die Grünen im Kreis Cuxhaven den politischen Aufbruch wagten
Ein Abend voller Erinnerungen: Grünen-Mitglieder aus dem Kreis Cuxhaven der ersten Stunde werfen einen Blick zurück auf bewegte Anfangsjahre. Historische Fotos und Flugblätter erzählen von der Zeit eines politischen Aufbruchs in ländlichem Umfeld.
Frei nach dem Motto "Wisst ihr noch …?" haben sich Grüne aus Hadeln und Umgebung kürzlich der Anfangsjahre ihrer Partei entsonnen. Hans-Jürgen Kahle und Hans-Jürgen Klein zeigten aus heutiger Sicht als historisch einzustufende Fotos und Flugblätter; in ihren Vorträgen erinnerten sie an eine Aufbruchstimmung, die prägend gewesen ist für das Anfangsjahrzehnt grüner Politik: Mit Unerschrockenheit und Kreativität sicherten sich die Newcomer in der Provinz nicht nur einen Achtungserfolg, sondern auch erste Gemeinde- und Samtgemeinderatssitze.
Info-Drucksachen waren im buchstäblichen Sinne handgemacht und um die Konterfeis von Kandidatinnen und Kandidaten machte man seinerzeit nicht viel Aufhebens. Einige "Altgediente", die im Dorfgemeinschaftshaus Bülkau dabei waren, erkannten Parallelen zur Ästhetik der in den Achtzigerjahren plakatierten Fahndungsfotos - was nicht nur an der damaligen Haar- beziehungsweise der Barttracht gelegen haben mag, sondern auch an einem schmalen Budget und den in jeder Hinsicht begrenzten technischen Mitteln.
Gerd Rüsch war das Ass im Ärmel
Flugblätter seien zunächst noch vervielfältigt worden, indem man Matrizen durchkurbelte, gab Hans-Jürgen Kahle zu bedenken, nachdem Vorstandssprecherin Sabine van Gemmeren die Veranstaltungsgäste begrüßt hatte und die in "Volxküchen"-Tradition servierte Suppe verzehrt war.

Die Gründung des ersten Ortsverbandes der seinerzeit noch ohne den späteren "Bündnis 90"-Zusatz (aber bereits mit dem Sonnenblumen-Logo) firmierenden "Ökopartei" erfolgte auf Kreisgebiet am 12. Dezember 1980. Und zwar nicht etwa in Otterndorf, sondern in "Hemmoor und umzu", was den Bereich der damaligen Samtgemeinden Lamstedt, Sietland und Am Dobrock einschloss. Neben Mitstreitern wie Elke Cords-Müller oder Ulf Timmermann erwähnte der Referent auch den Namen Gerd Rüsch: Als Sparkassenangestellter habe der Genannte (so Kahle) "eine gewisse Seriosität ausgestrahlt", die von Vorteil gewesen sein mag, als die frühen Cuxland-Grünen, die für Abrüstung und Atomausstieg, aber auch für ein pestizidfreies Wirtschaften im bäuerlichen Bereich und für sanften Tourismus eintraten, in der Region nach politischer Mitbestimmung strebten.
Frühe Grüne zeigten sich schreibfreudig
Zu viel mehr als einem Sitz pro Gemeinderat reichte es zunächst nicht, umso vielfältiger gestaltete sich allerdings die Außendarstellung, die über eine Reihe von lokalen Parteizeitungen wie dem "Kiebitz" (Hemmoor/Lamstedt), "Kontakte" (Sietland) oder die "Grünen Feder" (Otterndorf) erfolgte. Im Sympathiesantenfeld zu verorten war "Radio Maulwurf", ein auf 101 MHz zu empfangender Piratensender, der aus nicht mehr als aus einem Kassettengerät und einem Transmitter bestand, den die Polizei mit großer Energie und einem Funkmesswagen aufzuspüren versuchte. Dass der Staat in vielen Dingen gar keinen Spaß verstand, erfuhren Grüne in der Region, als sie sich aktiv gegen die Volkszählung 1987 engagierten.
"Es dauerte eine Weile, bis wir den Eindruck hatten, nicht mehr mit Bocksfüßen und Hörnern durch die Gegend zu laufen", beschrieb der spätere Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Klein das Klima, das den Grünen in den Anfangsjahren im Cuxland entgegenschlug. Klein, der mit seiner Familie von Köln aus nach Steinau übergesiedelt war, attestierte den Mitmenschen in den hiesigen ländlich geprägten Gefilden andererseits auch ein unerwartetes Maß an Offenheit.
Hans-Jürgen Klein anno '94: Mal im Sakko, mal in der Latzhose
"Das hat mir gefallen", sagte Klein, der sich in seiner Betrachtung auf den Bereich Sietland fokussierte. "Wir waren ein sehr buntes Gemisch", betonte er mit Blick auf die Zusammensetzung der Ur-Grünen, die (lokal wie überregional) aus Menschen aus der Ökologiebewegung, sozial Engagierten, Frauenrechtlerinnen, Friedensbewegten, aber auch aus ehemaligen K-Gruppen-Mitgliedern bestanden. Trennung (von radikalen Elementen am rechten und linken Rand, d. Red.), sei im ersten Jahrzehnt der Partei eine "Dauerbeschäftigung" gewesen, sagte der 72-Jährige, dessen Wahlkampf-Flyer beim grünen "Klassentreffen" in der vergangenen Woche immer noch Anerkennung fand. Zeigte das Flugblatt den Kandidaten doch gleich in zweifacher Ausführung: Einmal in Sakko und Schlips, einmal in Latzhose und Gummistiefeln.