Auf Augenhöhe mit dem Fischbrötchen: Ein Tag im Leben einer Küstenmöwe
Seit Jahrzehnten begeistert die Kolumne "Moin Cuxhaven" die Leserinnen und Leser der Cuxhavener Nachrichten. Jetzt gibt es die Rubrik auch auf cnv-medien.de. Jeden Tag von Montag bis Sonnabend eine neue Ausgabe. Heute: Beutezug mit Aussicht.
Also wirklich - ihr Menschen seid schon ein seltsamer Schwarm. Kaum blitzt ein Sonnenstrahl übers Watt, stolziert ihr los: in matschigen Sandalen, mit Kamera in der einen und Sonnenhut in der anderen Hand. Und dann - mein Lieblingsmoment - stellt ihr euch an den vielen Fischbuden an, zückt eure Geldbörsen und vergesst für exakt drei Sekunden das Wesentliche: uns.
Ich bin Larus argentatus, aber Freunde nennen mich Möwe. Feinschmeckerin, Luftakrobatin, Opportunistin - je nach Windlage.
Ich stehe also auf dem Pfahl in der Bucht. Zweite Reihe, Westwind, Böenstärke fünf, Sicht gut. Eine Frau mit vielen "Moin Cuxhaven"-Schriftzügen auf ihrem Schal kaut langsam. Sehr langsam. Sie hält ihr Brötchen schief. Anfängerin.
Ein Kollege auf der Laterne ruft: "Jetzt!" Aber ich bleibe ruhig. Ich bin keine von den Hektischen. Ich warte. Auf den perfekten Moment - diese eine, flüchtige Sekunde zwischen Biss und Serviette.
Ihr nennt das Diebstahl. Ich nenne es Effizienz. Ihr nennt uns dreist. Ich sage: Überlebenskunst. Habt ihr mal versucht, mit nassem Gefieder gegen den Wind zu fliegen, während der Hering knapp wird und Touristen alles nur noch in Tupperware verstauen?
Ich will mich nicht beklagen. Jetzt sitze ich auf der Laterne an der Alten Liebe, lasse mir den Wind durch die Federn streichen und beobachte, wie ein Kind seine Waffel unbeaufsichtigt lässt. Ihr ahnt, wie die Geschichte endet.