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FOTOS: STADTARCHIV CUXHAVEN, NACHLASS MAASSEN
„Manch törichte Unternehmung abgebogen“:
Ringelnatz und
die Revolution
Für alle diejenigen, die sich 100 Jahre
später mit Matrosenaufstand und
Novemberrevolution in Cuxhaven
beschäftigen wollen, ein wichtiges Kapitel
und eine wahre Fundgrube. Ein Blick
auf die derzeit erscheinenden, neuen Publikationen
zur Revolution 1918/19 zeigt,
dass die Erfahrungen des Leutnants Hans
Bötticher, der sich wenig später Joachim
Ringelnatz nennen sollte, auch dort wiederholt
als Quelle auftauchen. In ihrem
jüngst bei wbg Theiss erschienenen Buch
„Lob der Revolution. Die Geburt der Demokratie
in Deutschland“ verweisen die
Autoren Lars-Broder Keil und Sven Felix
Kellerhoff, beide Journalisten und Historiker,
auf Ringelnatz‘ Haltung in jenen
aufregenden Zeiten des Umsturzes. Sie
ist einerseits von Verständnis, ja gewisser
Sympathie geprägt, zum anderen sieht er
aber auch die Gefahr, dass alles aus dem
Ruder laufen kann.
Der Leutnant zur See Hans Bötticher beobachtet
genau, was um ihn herum und mit
den Menschen geschieht. Auch er hat in
seiner Zeit als Matrose und Vizefeuerwerker
die Schikanen so mancher Offiziere
erlebt. Jetzt saß er in Seeheim, einer Maschinengewehrbatterie,
noch hinter Nordheim
mit der ihm gleichfalls unterstellten
3,5 Revolverkanonenbatterie, weitab vom
Schuss, in unmittelbarer Nähe des Wernerwaldes.
„Der Umstand“, so schreibt er
in „Als Mariner im Krieg“, „daß meine Vorgesetzten
mehr als eine Stunde weitab in
Duhnen lebten, hatte mir Seeheim sofort
sympathisch gemacht.“ Doch auch dort
bleibt er natürlich von dem, was sich politisch
zusammenbraut, nicht verschont.
Die endlosen, furchtbaren Grabenkämpfe
an der Westfront, der Hunger, die grassierende
Spanische Grippe und schließlich
der Matrosenaufstand – all das erreicht
auch Seeheim, Ringelnatzens Refugium,
in dem er sich so kommod eingerichtet
hat, mit Terrarium und nächtlicher Arbeit
an seinem Drama „Der Flieger“.
Als die Nachricht von der Gründung des
Soldatenrates in Cuxhaven ankommt,
ruft er seine Leute zusammen und fragt
sie, ob sie Vertrauen zu ihm haben. Ja, sie
haben, antworten sie. Darauf er: „Dann
rate ich euch: Seid mäßig und prüft lange
und möglichst vernünftig, bevor ihr
etwas beginnt. Nur mit Ordnung kommt
man zu Freiheit. Bloße Revolution, also
reines plumpes Umstürzenwollen ist der
Untergang für alle.“ Als zu „vorgerückter
Nachtstunde“ dann per Telefonspruch die
Aufforderung des Arbeiter- und Soldatenrates
kommt, sich am nächsten Morgen
um neun Uhr auf dem Exerxierplatz
Grimmerhörn zu versammeln, kommt der
Ernst der Lage gefährlich nah. Zumal es
unmissverständlich heißt: „Jeder militärische
Dienst hört auf. Waffen sind mitzubringen.“
An des Leutnants Rat, möglichst
keine Waffen mitzunehmen, halten
sie sich jedoch nicht.
Als später zwei große Matrosen, „mit Gewehren
in der Hand und totenbleichen
Gesichtern“, auf der Schwelle stehen und
der eine ruft: „Wir sind Delegierte des
Soldatenrates. Es gibt keine Vorgesetzten
mehr! Es gibt keinen Gruß mehr!“,
reagiert Bötticher besonnen, darauf bedacht,
die Lage zu beruhigen. „Ich lieferte
ihnen die Schlüssel aus, auch die zu den
Munitionsräumen und setzte ihnen zu essen
vor. Denn sie kamen einen weiten Weg
und waren auch von innerer Erregung
erschöpft.“ Die Erwähnung seiner Leute,
dass er sie gut behandelt habe, schafft ihm
Sympathien beim Soldatenrat. „Eilige Befehle
und Meldungen, wirre, sonderbare
Gerüchte kamen durchs Telefon zu uns“,
schreibt er im „Revolution“-Kapitel. Darunter
auch: „Der Rote Rat hätte mich als
Vertrauensmann gewählt.“
Mit seinem „verwegenen Pelzmantel und
in der Hand einen Spazierstock“ geht er
direkt ins Offizierkasino nach Cuxhaven,
„wo die Aufständischen unter dem Vorsitz
eines gewissen Baier ihr Hauptquartier
eingerichtet hatten und eine bienenemsige
Tätigkeit entfalteten“, ruft dort mit
seiner Offiziermütze „großes Erstaunen“
hervor und die wütende Reaktion: „Wir
haben nichts mit Offizieren zu tun. Unsere
Parole ist Liebknecht.“ Doch der Leutnant,
der sich als Gustav Hester an diese
aufregenden Zeiten erinnert, versucht
„
Es war der fünfte November
achtzehn, als mich abends
Oberleutnant Müller aus
Duhnen antelephonierte:
Seine Leute wären mit Waffen
davongelaufen. Im Gasthaus
‚Zur Sonne’ in Cuxhaven
wollten sie so etwas wie einen
Soldatenrat gründen oder
hätten ähnlichen Unsinn vor.
Was ich zu tun gedächte?
Ich antwortete ziemlich kurz:
Ich würde nach der Situation
schon wissen, was ich zu
tun wäre.“ So beginnt das
mit „Revolution“ betitelte,
fünfzehnte Kapitel von
Joachim Ringelnatzs‘
„Als Mariner im Krieg.
“