
73. Jahrestag der Befreiung
Erinnerung an Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge im Stalag X B in Sandbostel am 29. April
ENDLICH !!!! ……… Wir
waren frei. Es war dieser
unvergessliche Moment,
in dem sich alle Gefangenen in
einer einzigen Welle auf den Stacheldraht
stürzten und ihn unter
ihrer Last niederdrückten. Die
Männer waren ohnmächtig in
ihrer Suche nach Raum und vor
allem Nahrung.“ Mit diesen eindrücklichen
Worten beschreibt
der ehemalige französische
Kriegsgefangene Joseph Courtas
die Befreiung des Kriegsgefangenenlagers
Stalag X B Sandbostel.
Befreite KZ-Häftlinge in einer der Unterkunftsbaracken.
Foto: Georges Chertier, nicht datiert. Archiv KZ-Gedenkstätte
Neuengamme (Signatur: ANg DN 1986-7602)
Mit Joseph Courtas zusammen
befreite die britische Armee am
29. April in Sandbostel etwa
14.000 Kriegsgefangene und
7.000 KZ-Häftlinge aus zahlreichen
Nationen.
Vorausgegangen waren der Befreiung
heftige Kämpfe zwischen
versprengten Einheiten des Panzerkorps
„Großdeutschland“,
die hauptsächlich aus minderjährigen
Hitlerjungen bestanden
und britischen Kampfverbänden
der Grenadier Guards, die mehrere
Tage dauern sollten.
Trotz der Vorwarnungen durch
Kriegsgefangene waren die britischen
Soldaten beim Betreten
des Lagers in Sandbostel, insbesondere
beim ersten Anblick des
Bereichs, in dem noch kurz vor
Kriegsende etwa 9.500 Häftlinge
untergebracht waren, die
mit Todesmärschen aus dem
kurz zuvor geräumten KZ Neuengamme
und Außenlagern im
Bremer Raum kamen, zutiefst
erschüttert. Tausende Häftlinge
vegetierten in einem abgetrennten
Lagerbereich vor sich hin. Es
herrschten katastrophale Bedingungen
und Mitglieder des internationalen
Widerstandskomitees
der Kriegsgefangenen versuchten
verzweifelt zu helfen. Typhus
war ausgebrochen und
unbestattete Leichname lagen
in dem Lagerteil teils schon seit
Tagen herum. Trotz der verzweifelten
Bemühungen starben Tausende
Häftlinge an Krankheiten,
Erschöpfung und unmittelbarer
Gewalt durch die Wachmannschaften.
Insgesamt starben
annähernd 3.000 Häftlinge auf
dem Weg nach Sandbostel, im
Stalag X B und auch noch nach
der Befreiung.
Der 20-jährige britische Major
Frank Clark beschreibt seinen
ersten Eindruck des Lagers und
was dieser in ihm auslöste: „Wir
haben die Schrecken des Krieges
gesehen, Soldaten wurden in die
Luft gesprengt und die Leichen
verrotteten auf den Schlachtfeldern.
Das hatten wir erwartet.
Was wir aber in Sandbostel
sahen, waren gehende Skelette,
lebende Leichen. Die KZ-Häftlinge
hatten keine Kontrolle mehr
über ihre Körper. Sie sind reduziert
worden auf einen Zustand,
Aufeinander geschichtete Leichname in dem Bereich, in dem die KZ-Häftlinge
untergebracht waren. Foto: unbekannt (vmtl. Georges Chertier), nicht datiert
(nach dem 29.4.1945). Privatbesitz
in dem sie sich nicht mehr nach
humanen Standards verhalten
konnten. Diese armen Unglücklichen
waren keine Menschen
mehr. Es war so unglaublich, so
entsetzlich, dass es jedes Gefühl
von Sympathie oder Mitleid abgetötet
hat. Ich war emotional
tot. Meine Hände zitterten, ich
konnte nicht denken und ich
konnte mich nicht konzentrieren.
Ich hatte alle Arten von menschlichen
Katastrophen gesehen auf
meinem Weg von der Normandie
bis nach Sandbostel, aber ich war
total betäubt von den unmenschlichen
Zustand im Stalag X B.“
Das was hier Frank Clark zutiefst
erschüttert beschreibt,
wird auch im britischen Kriegstagebuch
beschrieben: „Hunderte
Leichen liegen überall in den
Bereichen der politischen Gefangenen,
und viele mehr sterben
vor allem an Hunger. Gestank
und Anblick unglaublich.“
Bis zur Befreiung des Lagers
waren insgesamt mindestens
313.000 Gefangene aus der ganzen
Welt in dem Lagerkomplex
in Sandbostel inhaftiert. Die Behandlung
der Kriegsgefangenen,
Zivil- und Militärinternierten
war eigentlich in völkerrechtlichen
Verträgen geregelt, doch
waren systematische Verstöße
an der Tagesordnung. Den sowjetischen
Soldaten verweigerte
die Wehrmacht jeglichen Schutz
durch das Völkerrecht. Tausende
von ihnen starben an Hunger
und Krankheiten, und selbst im
Tod gab es noch eine Ungleichbehandlung.
Die sowjetischen
Kriegsgefangenen wurden pietätlos
und anonym in großen
Massengräbern verscharrt. Die
genaue Zahl ist nicht bekannt.
Gedenkfeier am 73. Jahrestag der Befreiung
Die Stiftung Lager Sandbostel / Gedenkstätte Lager Sandbostel
gedenkt am Sonntag, dem 29. April 2018, mit einer Gedenkveranstaltung
am 73. Jahrestag der Befreiung der Kriegsgefangenen
und KZ-Häftlinge, die im Stalag XB gelitten haben und
gestorben sind. Die Gedenkveranstaltung beginnt um 16 Uhr
auf der Kriegsgräberstätte Sandbostel, dem ehemaligen Lagerfriedhof,
mit Grußworten und Ansprachen aus der Kreispolitik,
dem konsularischen Korps und einem Angehörigen. Anschließend
erfolgen eine mulitireligiöse Gebetsreihe mit je einem katholischen,
russisch-orthodoxen, jüdischen, muslimischen und
evangelischen Geistlichen und die offizielle Kranzniederlegung.
Um 17.30 Uhr wird die Gedenkveranstaltung in der ehemaligen
Lagerküche in der Gedenkstätte Lager Sandbostel fortgesetzt.
Hier erfolgen Grußworte aus der Landespolitik und die Rede
eines ehemaligen Kriegsgefangenen. Jugendliche werden mit einem
eigenen Beitrag der Verstorbenen gedenken. Im Anschluss
findet ein gemeinsames individuelles Gedenken am Gedenkstein
für die in Sandbostel gestorbenen Kriegsgefangenen und
KZ-Häftlinge statt.
Abschließend findet um 19 Uhr ein Gedenkgottesdienst in der
Lagerkirche statt.
Ein nach der Befreiung im britischen
Notlazarett versorgter KZ-Häftling.
Foto: Stanley Aylett, nicht datiert.
Privatbesitz Holly Aylett, London
OSTELANDMAGAZIN 2018 35