
Erneute Wolfsrisse in der Wurster Nordseeküste: Können Zäune die Nutztiere schützen?
Im Kreis Cuxhaven nehmen die Berichte über Nutztierrisse zu. Kürzlich wurden auf einer Weide in Cappel zwei tote und zwei verletzte Schafe gefunden, während in Spieka ein Kalb gerissen wurde.
Erhard Rosenhagen wohnt am Ortsrand von Cappel, in einer Siedlung mit Einfamilienhäusern, großen Gärten und Weideflächen. Auf einer der Weiden grasen die Schafe des Cappelers.
Der Rentner hat früher eine Nebenerwerbslandwirtschaft betrieben. Heute hält er noch Schafe - "als Hobby und auch nur als lebendige Rasenmäher", erzählt er.
Als er vor ein paar Tagen morgens die beiden Therapieponys seiner Enkelin zu seinen sechs Schafen auf die Weide brachte, lagen zwei Schafe leblos am Boden. Zwei weitere waren verletzt.
Bei einem der Tiere seien die Eingeweide aus dem Hinterleib gequollen, bei den anderen habe sich der für den Wolf typische Kehlbiss gezeigt. Auch Tage nach dem Fund ist Rosenhagen noch erschüttert: "Die Bilder sind grauenvoll."
Schafhalter: Am meisten schmerzt mich die Sorge meiner Enkelin
Den Verlust der Schafe könne er gerade noch verkraften. Was ihn viel mehr schmerzt, ist die Angst seiner Enkelin um ihre Ponys. "Eigentlich kommen die Tiere morgens raus und abends wieder in den Stall. Aber mittlerweile holt sie sie gleich nach der Schule rein, weil sie sich solche Sorgen macht", erzählt der Großvater.
Auf Nachfrage bei der Landesjägerschaft bestätigt Raoul Reding, dass die Schafe in Cappel von einem Wolf gerissen wurden. Insgesamt, so Reding, seien im Landkreis Cuxhaven seit Januar 38 Rissvorfälle gemeldet worden, in 31 Fällen sei der Wolf Verursacher. Damit gehört das Cuxland zur Spitze der betroffenen Kreise in Niedersachsen.
Wie viele Hobbyhalter in der Region hat auch Rosenhagen auf einen Wolfsschutzzaun verzichtet. Er könne damit leben, dass er für die Schafe deshalb keine Entschädigung bekommt. Er habe sich mal einen Kostenvoranschlag für Herdenschutzzäune machen lassen. "Danach hätte ich selbst 7000 Euro zuzahlen müssen."
Uwe Steffens, selbst Schafbesitzer und ein Freund der Familie, widerspricht Rosenhagen: "Für einen Wolfsschutzzaun zahlst du keinen Cent."
Auch Hobbyhalter können Herdenschutzfinanzierung beantragen
Die Pressestelle des Umweltministeriums bestätigt: "Auch Hobbyhaltungen können die Finanzierung von Herdenschutzmaßnahmen über die Richtlinie Wolf bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen (LWK) beantragen. Das Land Niedersachsen finanziert die Umsetzung eines wolfsabweisenden Herdenschutzes für Schafe, Ziegen und Gatterwild zu 100 Prozent."
Für Rinder und Pferde wird in Einzelfällen ein Schutzzaun gefördert, teilt das Ministerium weiter mit. Etwa, wenn für den direkt betroffenen Betrieb ein Wolfsriss amtlich bestätigt wurde.
Aber auch umliegende (Hobby-)Betriebe erhalten auf Antrag einen vom Land finanzierter Schutzzaun, wenn drei amtlich bestätigte Wolfsübergriffe auf Rinder oder Pferde innerhalb von zwölf Monaten in einem Umkreis von 30 Kilometern aufgetreten sind.
Schutzmaßnahme muss verhältnismäßig sein
Bei der Beantragung der Herdenschutzmaßnahmen prüfe die Landwirtschaftskammer, ob das Verhältnis z. B. von beantragten Zaunmaterialien in einem angemessenen Verhältnis zur Fläche oder Anzahl der Weidetiere steht.
Für Rosenhagen ist es aber nicht nur eine Kostenfrage. "Ich müsste vorher die alte Zaunanlage entfernen und mehrere Kostenvoranschläge einholen." Dieser Aufwand stehe in keinem Verhältnis zur Anzahl seiner Tiere. Außerdem glaubt der 74-Jährige, dass die wolfsabweisenden Maßnahmen nicht wirklich helfen.

Ähnlich denkt Nadine Eits. Auf einer Weide der Landwirtsfamilie am Ortsrand von Spieka wurde vom 25. auf den 26. Oktober ein Kalb totgebissen und übel zugerichtetet. Aufgrund der Größe der Flächen würde das Einzäunen einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten, erklärt Nadine Eits. Außerdem zweifelt auch sie an der Wirksamkeit solcher Zäune.
Uwe Steffens hat andere Erfahrungen gemacht. Der Nebenerwerbslandwirt lässt rund 80 Tiere auf dem Deich und im Deichvorland von Dorum-Neufeld weiden. Vor vier Jahren habe der Wolf sieben seiner Tiere gerissen und elf weitere verletzt.
Danach hat er seine Tiere auf dem Deich mit festen, 1,20 Meter hohen, Strom führenden Schutzzäunen gesichert. Und seitdem sei nichts wieder passiert. "Ich denke schon, dass die Maßnahmen in den meisten Fällen helfen", sagt Steffens.
Halter lassen Tiere vorerst in den Ställen
Familie Eits hat ihre Kälber näher an den Hof oder gleich in den Stall geholt. Ob die Jungrinder nächstes Jahr wieder weiträumig weiden dürfen, vermag Nadine Eits derzeit nicht zu sagen.
Rosenhagen befürchtet bereits Konsequenzen bei Tierhaltern in der Region. "Die haben jetzt alle Angst und bringen ihre Tiere nicht mehr raus", prophezeit er.
Steffens kann das verstehen. "Die Umsetzung ist insbesondere für Kleinstbetriebe schwierig, auch wenn der Zaun nichts kostet." Außerdem würden viele Kleinsthalter mit einem zeitlichen Horizont an die Tierhaltung herangehen. "Vieles ist Liebhaberei, und manchmal ist es nach zwei Jahren schon wieder vorbei."

Herdenschutz
Wer ist zuständig für Anträge auf Herdenschutzmaßnahmen?Zuständig ist die Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Weidetierhalter können hier ebenfalls eine Herdenschutzberatung in Anspruch nehmen oder sich in der Musterzaunanlage im landwirtschaftlichen Bildungszentrum in Echem über die praktische Umsetzung informieren.Wie lange dauert es bis zur Bewilligung?Über Neuanträge für Präventionsmaßnahmen wird in der Regel nach zwei bis drei Monaten entschieden - unter der Voraussetzung, dass die eingereichten Unterlagen vollständig sind.Welche Ausnahmen von der Sicherungspflicht gibt es?Stehen Gründe des Hochwasserschutzes oder der Deichsicherheit einer Zäunung entgegen, ist kein Grundschutz für Schafe nach geltender Richtlinie Wolf erforderlich. Bei der freien Hütehaltung gilt zudem die Präsenz eines Schäfers als Grundschutz. (Antworten: Umweltministerium)
Von Heike Leuschner