
Tödlicher Unfall in Hechthausen: Emotionaler Prozess gegen 82-jährige Fahrerin
Es ist dunkel und hat stark geregnet. Eine Frau will in Hechthausen die Straße überqueren, wird von einem Auto erfasst und stirbt. Jetzt kam es zum Prozess gegen die 82-jährige Unfallfahrerin. Das Urteil? Es war ein juristischer Balanceakt ...
Sie weiß, dass sie einen Fehler gemacht hat. Einen Fehler, der tödliche Folgen hatte. Aber die heute 82-Jährige hat das nicht gewollt, kann sich nicht mehr genau an das Geschehen erinnern und muss seit diesem furchtbaren 21. Dezember 2023 mit ihrer Schuld leben. Sie leidet sichtbar darunter, aber sie kann das Geschehen nicht rückgängig machen. In dieser Woche musste sie sich vor dem Otterndorfer Amtsgericht verantworten - wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung, Fahrerflucht und unterlassener Hilfeleistung.
In den Akten und Gutachten ist auf etlichen Seiten zwischen den Deckeln der Ordner das Geschehen beschrieben, wie es wohl der Wahrheit entspricht. Das Geschehen vom 21. Dezember 2023, als die Rentnerin in ihren Wagen stieg und mit einem Tempo von rund 50 km/h durch den Ort fuhr.
Die Daten des Wetterdienstes und Recherchen ihres Verteidigers sind deckungsgleich. Es hatte stark geregnet, als sie auf der Hauptstraße in Hechthausen unterwegs war. "Deutlich mehr Regen als üblich", sagt ihr Anwalt. Dazu kam die Dunkelheit in den frühen Morgenstunden. Und dann ist da die Frau, die die Straße überquert und von dem Auto erfasst wird. Durch den Zusammenstoß wird sie 16 Meter durch die Luft geschleudert, landet auf dem Boden und zieht sich schwerste Verletzungen zu. Am 12. Januar dieses Jahres stirbt sie in einer Klinik.
"Dazu hat sie
nicht die Kraft"
Die Fahrerin äußert sich vor Gericht nicht. Sie kann es nicht. Sie hat nicht die Kraft, das Geschehen oder die Erinnerungsfetzen, die ihr noch geblieben sind, zu beschreiben. Ihr Verteidiger spricht für sie und sagt, dass sie auch nicht in der Lage war und ist, sich bei den Hinterbliebenen zu melden und sich zu entschuldigen: "Dazu hat sie nicht die Kraft." Jeder, der sie auf der Anklagebank im Gerichtssaal 16 des Amtsgerichtes sieht, nimmt ihr das ab. Sie zittert, starrt nach unten auf den Tisch oder Fußboden.
Ihr Anwalt hatte vor der Verhandlung mit ihr gesprochen und nach dem Unfallhergang gefragt. Sie sagte ihm, dass sie gedacht habe, durch eine große Pfütze gefahren zu sein oder einen Lkw touchiert zu haben. Sie sei ausgestiegen, aber habe nichts entdeckt und sei dann weitergefahren. Später werden Polizeibeamte ihren Wagen in Augenschein nehmen. Er weist an der Windschutzscheibe und auf der Kühlerhaube deutliche Spuren des Zusammenstoßes auf.
"Ich will hier nichts kleinreden", sagt ihr Verteidiger und gibt auch schnell den Versuch auf, Passagen eines Gutachtens zu interpretieren. Darin geht es um die Frage, ob der Unfall vielleicht vermeidbar gewesen wäre, wenn es keinen Gegenverkehr gegeben hätte.
Doch darauf kommt es letzten Endes nicht an. In den Worten der Staatsanwältin wird bereits deutlich, dass es hier um ein Urteil geht, das auf der einen Seite eine Strafe nach sich ziehen muss. Andererseits müsse man auch den Zustand der Unfallverursacherin berücksichtigen, die sichtlich unter den schrecklichen Konsequenzen der Kollision leide. Der Verteidiger gibt noch eine Stellungnahme ab. Wenige Minuten später verkündet Richterin Sabine Deutschmann das Urteil. Die 82-Jährige wird wegen der fahrlässigen Tötung, des unerlaubten Entfernens vom Unfallort und unterlassener Hilfeleistung zu einer Geldstrafe unter Strafvorbehalt verurteilt. Die Bewährungszeit beläuft sich auf zwei Jahre. Bleibt sie bis dahin straffrei, muss sie nichts zahlen. Ihren Führerschein hatte sie bereits vor dem Prozess freiwillig abgegeben. Sie wird nie mehr am Lenkrad eines Autos sitzen.
Sabine Deutschmann spricht von einem "tragischen Unglück bei Dunkelheit und Regen" und dass der Unfall nach Auffassung des Gutachters "bemerkbar" gewesen sei. Die Folgen für die Fahrerin, die tödlich verunglückte Frau und deren Angehörigen seien "katastrophal".
Die Verhandlung ist beendet. Die 82-Jährige blickt unsicher in den Gerichtssaal. Als sie aufstehen möchte, muss sie von ihrem Sohn gestützt werden. Nie hatte sie sich etwas in ihrem Leben zuschulden kommen lassen. Nie - bis zum 21. Dezember 2023. Eine Schuld, die sie wohl bis an ihr Lebensende nicht mehr loslassen wird.