
Seit anderthalb Jahren im Kreis Cuxhaven: "Wir leben unter großem Druck"
Zwei Söhne von Svitlana Arakelova und ihrem Mann Hela Arakelov kämpfen an der ukrainischen Front gegen die russischen Invasoren. Eine ihrer Töchter ist in die Ukraine zurückgekehrt. Das Ehepaar, das mit Kindern in Hemmoor lebt, ist in großer Sorge.
Die Tochter wollte zu ihrem Ehemann, der als Soldat verletzt worden ist. Nun ist sie mit den Soldaten in der von russischen Truppen belagerten, völlig zerstörten Kleinstadt Awdijiwka im Osten des Landes, wo sie Verwundete versorgte, eingekesselt.
"Es ist unter diesen Umständen sehr schwierig, mit unserer Tochter Kontakt zu halten", sagt Svitlana Arakelova. Sie und ihr Mann hatten auf ein Wiedersehen am 10. März gehofft, dem Geburtstag der Tochter. Wenigstens mit den Söhnen, die gegen die Aggressoren kämpfen, sind die Eltern im regelmäßigen Austausch.
Der 50-jährige Hela und die 45-jährige Svitlana haben acht gemeinsame Kinder, vier Töchter und vier Söhne. Mit den meisten von ihnen hat sich die Familie vor anderthalb Jahren nach Deutschland in Sicherheit gebracht. Seither lebt sie in Hemmoor. Doch die Sorge um die Kinder in der Ukraine überschattet den Alltag. "Wir leben ständig unter großem Druck", sagt Hela, der früher Lkw-Fahrer war und vor Kriegsbeginn für eine soziale Organisation gearbeitet hat, die Rentnerinnen und Rentner unterstützt. Ein normales Familienleben sei angesichts der dauernden Ungewissheit kaum möglich, sagt Svitlana, die als Krankenschwester tätig war. Dennoch versuche man, sich so gut wie möglich in Hemmoor zu integrieren.
Er vermisse seine Heimat sehr, sagt Hela Arakelov, er habe großes Heimweh. "Wir konnten uns in der Ukraine frei fühlen und atmen. Es ist so ein schönes Land." Das änderte sich schlagartig am 24. Februar 2022, dem Tag, an dem der Überfall auf die Ukraine durch Putins Truppen begann. Die Familie Arakelov war in Cherson im Süden der Ukraine zu Hause. Vier Monate lebte sie dort unter russischer Besatzung. "Wir sind nicht mehr nach draußen gegangen", sagt Hela Arakelov.
Der andauernde Beschuss löste Angstzustände aus
Die russischen Soldaten gingen von Haus zu Haus, führten Kontrollen und Befragungen durch. Sie suchten nach Familien mit ukrainischen Militärangehörigen. Es kam zu Verhaftungen, wahrscheinlich auch Folterungen. "Einer unserer Söhne war damals bereits in der Armee", schildert Hela. Also traf die Familie die Entscheidung, aus Cherson zu fliehen. Zunächst ging es in Richtung Westen. 24 Kontrollposten der russischen Armee musste die Familie hinter sich bringen, an denen die bewaffneten Soldaten alles untersuchten, vom Handy bis zur Tätowierung. Einmal wurde sie mit anderen für drei Tage festgehalten, vermutlich um sie als Geiseln gegen die ukrainischen Verteidiger zu nutzen. Dann gelangte die Familie nach Saporischschja, wo die Familie eine ganze Zeit lang blieb, während täglich 20 Raketen auf die Stadt niedergingen und fünf Meter tiefe und 20 Meter breite Bombenkrater in den Boden schlugen. "Es war sehr riskant", sagt Hela Arakelov. "Unsere kleinen Kinder waren ständig gestresst und traumatisiert von dem Beschuss." Das ist bis heute so geblieben. Feuerwehrsirenen, zuschlagende Garagentore, jaulende Alarmanlagen und Silvesterböller lösen Angstzustände aus.
Schließlich schaffte es die Familie bis Hemmoor. Dort wartete bereits einer der Söhne, dem auf abenteuerliche Weise frühzeitig die Flucht über die Krim und Moskau in den Westen gelungen war. Er war zunächst nach Hannover gelangt, dann fand er Aufnahme im ehemaligen Seehospital in Sahlenburg, bevor er nach Hemmoor kam.
"Wir sind sehr dankbar für die großartige Hilfe, die wir von den Deutschen in dieser schweren Zeit bekommen haben", sagt Hela Arakelov. "Wir würden sehr gerne etwas von dieser Hilfsbereitschaft zurückgeben." Derzeit engagiert sich das Ehepaar ehrenamtlich für die Ukrainehilfe in der Organisation "nord.team UA" aus Loxstedt.
Für die Familie stehen derzeit Sprachkurse auf dem Programm, die Kinder gehen zur Schule, sind sportlich aktiv und erfolgreich im Karate und Boxen. Eine weitere Sorge drückt die Arakelovs. Bis Ende Mai ist der Mietvertrag für das Haus, in dem sie in Hemmoor leben, befristet. Bis dahin müssen sie umziehen. Doch ein neues Haus für die kinderreiche Familie ist noch nicht in Sicht. Wer helfen kann, darf sich an den Cuxhavener Dr. Oleg Maksymenko wenden, der diese und andere ukrainische Familien in der Region unterstützt (E-Mail: maksymenkooleg@gmail.com, mobil: (01 79) 5 74 39 00 oder (01 52) 09 02 69 76).
"In den Kampfgebieten ist alles ruiniert"
Niemand kann derzeit vorhersagen, wann und wie dieser Krieg enden wird. Die Arakelovs würden lieber heute als morgen in ihre Heimat zurückkehren. Zwar ist es der ukrainischen Armee gelungen, das Gebiet um die Großstadt Cherson Ende 2022 von der russischen Besatzung zu befreien. Doch die Zerstörungen durch die Kriegsschäden, unter anderem auch aufgrund der Sprengung des Kachowka-Staudamms durch russische Streitkräfte im Juni 2023, sind erheblich. "In den Kampfgebieten ist alles ruiniert", sagt Hela Arakelov. Das Haus der Familie wurde nach deren Flucht von den russischen Truppen dazu genutzt, tschetschenische Kämpfer dort einzuquartieren. Als sie abzogen, stahlen sie alles, was nicht niet- und nagelfest war. "Unser Haus ist völlig leer", sagt Svitlana Arakelova.
