Wie auf dem Meeresgrund - so sollen sich Patienten in der neuen Kinderarztpraxis von Michael Scheel in Nordholz fühlen. Grafik: Kinder- und Jugendarztpraxis Cuxland/Michael Scheel
Wie auf dem Meeresgrund - so sollen sich Patienten in der neuen Kinderarztpraxis von Michael Scheel in Nordholz fühlen. Grafik: Kinder- und Jugendarztpraxis Cuxland/Michael Scheel
Konzept vorgestellt

Kinderarzt plant riesige Erlebnispraxis im Kreis Cuxhaven

28.04.2023

Delfine und Fische an der Decke, Aquarium und Rutsche im Wartebereich. Ein Spieleparadies in Nordholz? "Nein", sagt Michael Scheel und lacht. Der Kinderarzt plant eine Erlebnispraxis. Dahinter steckt ein ausgeklügeltes unternehmerisches Konzept.

Baustaub trübt die Luft, der Fußboden mit den Rillen für die neue Heizung ähnelt einem Waschbrett, meerblaue Farbflecken an den Wänden deuten an, in welche Welt die Räume einmal eintauchen sollen. Michael Scheel steht mittendrin und telefoniert. Ein Handwerker will wissen, wo die neuen Waschbecken montiert werden sollen und welche Wandfarben sich der künftige Hausherr für die Räume im Obergeschoss wünscht. "Jetzt geht es unheimlich schnell voran", freut sich Scheel, der gerade in seiner künftigen Praxis im Gebäudekomplex des Regionalen Versorgungszentrums in Nordholz nach dem Rechten schaut. Der Kinderarzt hat große Pläne.

Vor neun Jahren als Praxisneuling in den Kreis Cuxhaven gekommen

Fast neun Jahre ist es her, als der gebürtige Nordrhein-Westfale nach seiner Facharztausbildung zum Kinderarzt die Kinderarztpraxis von Renate Grützner in Wremen übernommen hat. "Ich wollte mich niederlassen, schon immer", sagt der 44-Jährige. 2014 übernimmt er die Wremer Einzelpraxis mit gut 120 Quadratmetern. In seiner neuen Praxis in Nordholz werden es über 700 sein.

Scheel braucht mehr Platz. Er spricht von 140 bis 160 Patienten, die er in seiner Wremer Praxis täglich versorge. "Dazu kommen rund 40 Patienten am Tag, die wir nicht aufnehmen können, weil die Kapazitäten dafür fehlen." In dringenden Fällen mache er Ausnahmen. Allerdings müssten diese Patienten zwei, manchmal sogar drei Stunden Wartezeit in Kauf nehmen. Schon jetzt decke er quasi drei Kassenarztsitze ab, sagt Scheel. Er glaubt, dass die Lage noch schwieriger wird: "50 Prozent der Kinderärzte im Landkreis sind über 60. Das bedeutet, dass in sieben Jahren weitere vier fehlen", prognostiziert er.

KVN: Medizinische Versorgung der Kinder wird immer schwieriger

Nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) leben im Landkreis Cuxhaven mit der Stadt Cuxhaven 32.580 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre. Ein Kinder- und Jugendarzt soll 2.865 Kinder und Jugendliche versorgen. Neun Kinder- und Jugendärzte sind laut KVN-Sprecher Detlef Hafke aktuell niedergelassen. Der Versorgungsgrad liege bei 79,1 Prozent. "Die Versorgung mit Kinder- und Jugendärzten ist laut den gesetzlichen Vorgaben nicht mehr optimal. Allerdings besteht keine Unterversorgung."

Die Problematik ähnelt der von Hausärzten auf dem Land: "Immer weniger junge Ärztinnen und Ärzte wagen den Schritt in die Niederlassung", sagt Haffke. "Das Durchschnittsalter der zugelassenen Kassenärztinnen und Kassenärzte liegt bei rund 55 Jahre, der Bedarf steigt. Auch bei Kinder- und Jugendärzten."

Babyboom: 2021 wurden 105.000 Kinder mehr geboren als 2010

Gleichzeitig beobachtet die KVN in Deutschland seit einigen Jahren einen Babyboom. So seien 2010 mit rund 665.000 Geburten noch etwa 105.000 weniger Kinder geboren als 2021. "Die medizinische Versorgung der Kinder", so Haffke, "wird immer schwieriger." Vor allem in den Randlagen der Städte und auf dem Land müssten Kinder- und Jugendärzte heute schon einen Aufnahmestopp verhängen.

"Vor allem für die wachsende Zahl chronisch kranker Kinder und Jugendlicher bedeutet diese Entwicklung nichts Gutes", prognostiziert der KVN-Sprecher. Schon jetzt würden niedergelassene Kinder- und Jugendärzte immer mehr die Versorgung übernehmen, die früher in den Kliniken geleistet wurde. "Sie versorgen Kinder und Jugendliche mit Herzfehlern, schweren Allergien und Lungenkrankheiten, Rheuma etc. Dadurch fehlen Ressourcen für die medizinische Grundversorgung von Kindern und Jugendlichen."

"Wenn die Politik nicht bald mehr Medizinstudienplätze schafft und vor allem die Niederlassung attraktiver macht, müssen Eltern und Kinder in Zukunft noch längere Wartezeiten und vor allem auf dem Land noch weitere Wege bis zur nächsten Praxis bewältigen", ist die KVN überzeugt.

Gebührenordnung für Ärzte stammt aus dem Jahr 1996

Scheel bezweifelt, dass die Politik ein Interesse daran hat, Niederlassungen attraktiver zu machen. Er verweist auf die Gebührenordnung für Ärzte, die zuletzt 1996 geändert wurde. "Man kann sich trotzdem in diesem System entfalten, aber wir stecken in einem Hamsterrad. Am Ende verdient man nur mehr, wenn man noch mehr Patienten aufnimmt. Das Hamsterrad wird immer schneller."

"Ärztezentren sind gewollt", sagt der Kinderarzt, der nun selbst eines plant. Das Medizinische Versorgungszentrum mit drei angestellten Hausärzten, das ebenfalls zum Regionalen Versorgungszentrum Nordholz gehört, wurde auch deshalb gebaut, weil viele junge Hausärzte mittlerweile ein Angestelltenverhältnis der Niederlassung vorziehen.

Genau hier setzt Scheels Praxiskonzept für Nordholz an.

"Mir war immer klar, dass ich irgendwann vergrößern will, sagt Scheel. Nordholz ist für ihn ideal: Bus- und Bahnanbindung sind gut, außerdem gibt es viele Parkplätze vor der Praxis. Seine neue Praxis ist auf insgesamt vier Kinderarztsitze ausgelegt. Inklusive der medizinischen Fachangestellten rechnet Scheel mit bis zu 18 Mitarbeitern, wenn alle Arztsitze besetzt sind.

Einen Facharzt-Kollegen habe er bereits gewinnen können. Zwei weitere in Vollzeit - oder mehr als zwei bei Teilzeit - sucht er noch. Die Ärztinnen und Ärzte werden bei ihm angestellt sein. Es gehe ihm nicht um Hierarchien, sagt Scheel: "Aber wenn es bei unternehmerischen Fragen Streitpunkte gibt, treffe ich die finale Entscheidung."

700 Quadratmeter und ein kreatives Designkonzept

Scheel hat rund 700 Quadratmeter auf zwei Ebenen gemietet. Er plant mehrere Warte- und Behandlungszimmer, Vorsorgezimmer für Babys und größere Kinder, Untersuchungsräume, einen Raum für Diagnostik, Büros, Umkleiden. Hinzu kommt ein fantasievolles Designkonzept, das Patienten quasi auf dem Meeresgrund willkommen heißt, erklärt Scheel bei einem Rundgang durch die Räume, die Hauseigentümer Ronald Wilksen gerade nach den Wünschen des Kinderarztes aufwendig umbaut.

Es ist die Praxis seiner Träume, in die Scheel investiert. Mit einem Aquarium, in dem einmal echte Kugelfische schwimmen sollen und bis zu 1,80 Meter großen Fisch-Modellen, die unter der Wartezimmerdecke und über dem 30 Meter langen, dunkelblau gestrichenen Gang schweben.

Die Praxis soll als Gesamtkonzept überzeugen. Er könne nicht alle Patienten selbst aufnehmen, wenn er ein Kinderarzt-Zentrum betreibe. "Deshalb will ich weg von der Personenmarke 'Kinderarzt Scheel‘ und hin zur Marke 'Kinderarzt Cuxland‘."

Kinderarzt wirbt um Berufskollegen in sozialen Medien

Patienten und ihre Eltern sollen von allen Kinderärzten in Scheels Praxis begeistert sein. "So wie wir uns bei der Ausstattung Mühe geben, wird es auch beim Personal sein. Wir suchen die Besten." Dafür rührt Scheel seit Monaten die Werbetrommel in den sozialen Medien. Weil der Landkreis Cuxhaven nicht zu den reichsten und nicht zu denen mit der allerbesten Infrastruktur gehöre, müsse er mit seinem Praxiskonzept umso mehr überzeugen, glaubt er. Einen Kinderarzt mit einem ganzen Sitz habe er so bereits gewinnen können. Und mindestens diesen einen brauche er auch, damit das Konzept von "Kinderarzt Cuxland" funktioniert. "Allein wäre das nicht zu schaffen", gibt der verheiratete Vater eines achtjährigen Sohnes unumwunden zu.

Am 4. September will Scheel seine neue Praxis in Nordholz eröffnen. Eine Feier soll es bereits am Sonnabend, 26. August, geben. Bei einem Tag der offenen Tür können ab 14 Uhr alle, die es interessiert, einen Blick in die Praxisräume werfen.

Von Heike Leuschner

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