Hinter einer roten Mappe verborgen: Vor dem Landgericht Bremen muss sich ein 35-jähriger Ex-Tanztrainer wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen verantworten. Foto: Sina Schuldt
Hinter einer roten Mappe verborgen: Vor dem Landgericht Bremen muss sich ein 35-jähriger Ex-Tanztrainer wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen verantworten. Foto: Sina Schuldt
Gericht

Missbrauchsprozess gegen Bremerhavener Tanztrainer - Überraschung zum Auftakt

09.12.2025

Der Prozess gegen einen Bremerhavener Ex-Tanztrainer hat begonnen. Ihm wird schwerer sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen vorgeworfen. Für Aufsehen sorgt der Fall auch, weil ein heute berühmter TikToker zu den mutmaßlichen Opfern zählt.

Von mangelndem öffentlichem Interesse kann im Prozess um schweren sexuellen Missbrauch von vier Kindern und Jugendlichen keine Rede sein. Im Saal 218 am Landgericht Bremen drängen sich rund zwei Dutzend Besucher auf den Zuschauerbänken. Noch einmal halb so viele Journalisten, inklusive mehrerer Kameraleute und Fotografen, warten darauf, dass der 35-jährige Angeklagte in den Gerichtssaal gebracht wird.

Tanztrainer-Prozess: Ein mutmaßliches Opfer ist ein berühmter TikToker

Der ehemalige Tanztrainer der Tanzschule Beer soll zwischen 2009 und 2022 vier Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht haben. 39 Taten werden ihm konkret vorgeworfen.

Der Fall hat hohe Wellen geschlagen. Sogar ein berühmter TikToker mit mittlerweile mehr als 17 Millionen Fans im Internet soll in seiner Jugend zu den Geschädigten gehört haben. Seine Aussagen hatten den Fall erst ins Rollen gebracht.

Schließlich führt ein Justizvollzugsbeamter den Angeklagten in den Gerichtssaal. Gefesselt in Handschellen hält er eine rote Mappe direkt vor sein Gesicht. Fotografen und Kameraleute warten schon seit einer Viertelstunde direkt vor seinem Platz auf der Anklagebank, um ein möglichst gutes Foto von ihm machen zu können.

Ein Foto von einer roten Mappe. Eigentlich völlig nichtssagend. Aber es gehört irgendwie dazu. Es gewährt den Lesern einen kleinen Blick durch das mediale Schlüsselloch im Gerichtssaal. Und es unterstreicht den Anspruch der Journalisten: Wir waren dabei.

Und viel mehr wird auch von diesem ersten Prozesstag nicht mehr bekannt. Nachdem die Vorsitzende Richterin die Journalisten darum bittet, das Fotografieren und Filmen einzustellen - und der Angeklagte daraufhin die Mappe herabsinken lässt und damit sein Gesicht zeigt - lässt sein Verteidiger "die Bombe platzen".

Noch vor der Anklageerhebung beantragt er, die Öffentlichkeit für das gesamte Verfahren auszuschließen - inklusive der abschließenden Begründung des Urteils, das für Ende Februar 2026 erwartet wird. Im Falle einer Verurteilung droht dem Angeklagten eine Freiheitsstrafe zwischen zwei und 15 Jahren.

Warum wird die Öffentlichkeit vom Tanztrainer-Prozess ausgeschlossen?

Begründung des Anwaltes: Die Privat- und Intimsphäre seines Mandanten - sowie die der Zeugen - müssten geschützt werden. Bereits in der Anklageschrift würden die vorgeworfenen Taten sehr detailreich beschrieben. Erwähnt werden demnach auch persönliche Lebensumstände des Angeklagten, inklusive seines Sexuallebens.

Nach Angaben des Verteidigers würden in der Anklageschrift die Namen der Zeugen genannt, die geschützt werden müssten, da sie zur Tatzeit noch minderjährig waren. Auch der Angeklagte war zu Beginn der mutmaßlichen Taten gerade 19 Jahre alt und gilt somit als Heranwachsender.

Die Staatsanwältin hat keine Bedenken, die Öffentlichkeit auszuschließen. Zumal keiner der vier Geschädigten als Nebenkläger im Prozess auftritt oder eine Öffentlichkeit einfordert.

Das Medieninteresse an dem Angeklagten ist groß. Rund ein Dutzend Journalisten sind zum Prozess erschienen. Sie können den Prozess aber nicht beobachten. Foto: Sina Schuldt

Nach kurzer Beratung folgt das Gericht dem Antrag größtenteils und schließt die Öffentlichkeit von der gesamten Verhandlung aus. Nur in einem Punkt weicht es davon ab.

Wie ein Gerichtssprecher später bestätigt, sollen die Öffentlichkeit und damit auch die Medien nicht nur bei der Urteilsverkündung, sondern auch bei der Begründung anwesend sein dürfen. Und die dürfte nach dem Verfahren ziemlich umfangreich werden. Denn bis Ende Februar hat das Gericht bereits elf weitere Verhandlungstage angesetzt.

Für die meisten Medienvertreter kommt der Rauswurf noch vor der Anklageerhebung einigermaßen überraschend. Zwar konnte bereits vorab davon ausgegangen werden, dass mögliche Aussagen der Geschädigten nicht öffentlich erfolgen werden.

Doch die meisten Journalisten hatten zumindest erwartet, die Anklageerhebung anhören zu können. Ein kompletter Ausschluss der Öffentlichkeit bei einem volljährigen Angeklagten kommt nur relativ selten vor.

Prozess in Bremen: Was aus dem Gerichtssaal nach draußen sickert

Und so sickerten nur einige Details aus der Verhandlung nach außen. So umfasst die Anklageschrift nach Informationen der Nordsee-Zeitung neun Seiten, was bei den umfangreichen Vorwürfen eher noch im unteren Bereich liegt.

Und: Die vier Geschädigten wurden bereits vernommen und die Aussagen per Video aufgenommen. Die Aufnahmen sollen im Laufe der Verhandlung abgespielt werden. Das erspart den Opfern im besten Fall eine erneute Aussage vor Gericht - zumindest, sofern die Verteidigung keine weiteren Fragen mehr an sie hat.

Nach drei Stunden ist der erste Verhandlungstag pünktlich um Mittag vorbei. Der Angeklagte wird in Handschellen abgeführt und zurück in die JVA Bremen-Oslebshausen gebracht. Sein Verteidiger huscht an den letzten wartenden Journalisten vorbei. Kein Kommentar. Nicht alles, was die Öffentlichkeit interessiert, ist auch im öffentlichen Interesse.

Von Jan Iven

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