Der Familienvater, der seine Tochter von seinem eigenen Sohn töten lassen wollte, wurde am Bahnhof Dorum verhaftet, als er auf seine Frau wartete. Foto: Leuschner
Der Familienvater, der seine Tochter von seinem eigenen Sohn töten lassen wollte, wurde am Bahnhof Dorum verhaftet, als er auf seine Frau wartete. Foto: Leuschner
Wem sich der Teenager anvertraute

Mordauftrag für Sohn in Gemeinde Wurster Nordseeküste: Was über den Fall bekannt ist

16.09.2025

In der Gemeinde Wurster Nordseeküste (Kreis Cuxhaven) soll ein 46-jähriger Familienvater seinen Sohn zum Mord an der eigenen Schwester angestiftet haben. Doch der Jugendliche ging zur Polizei. Was bisher über den Mordauftrag bekannt ist.

Im Fall des Familienvaters, der seinen Sohn zum Geschwistermord anstiftete, kommen weitere Details ans Licht. In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass ein 46-jähriger Mann aus der Gemeinde Wurster Nordseeküste seinem 17-jährigen Sohn den Auftrag erteilte, die zwei Jahre ältere Tochter zu ermorden. Grund soll die verletzte Familienehre gewesen sein.

Wie die Bild-Zeitung berichtete, handelt es sich um eine Familie aus Syrien, die 2019 nach Deutschland eingereist ist. Die Familie hat acht Kinder. Den Auftrag zum Geschwistermord erteilte der Mann am 7. September, als er wegen Knieproblemen im Krankenhaus lag. Dabei soll er seinem Sohn mit kaltem Blick und ohne Emotionen gesagt haben: "Du musst sie töten. Mach es so, dass es wie ein Unfall aussieht, wie ein Kampf. Niemand darf wissen, dass sie die Ehre verletzt hat."

Jugendlicher vertraut sich seiner Deutschlehrerin an

Was der Mann mit "verletzter Ehre" genau meinte, geht aus dem Bericht nicht hervor. Der Sohn jedenfalls folgt der Anweisung seines Vaters nicht. Stattdessen geht er am nächsten Morgen zu seiner Deutschlehrerin und erzählt ihr alles. Diese ruft die Polizei. Der Mann wird noch am Abend des gleichen Tages von der Polizei am Bahnhof Dorum verhaftet, wo er auf seine Frau wartete.

Der Beschuldigte wird als ein gewalttätiger Mensch beschrieben. Seit fünf Jahren schlage er seine Kinder. Auch soll er sehr strenge Ansichten haben. So dürften die Mädchen nicht mit Jungs sprechen und Kontakt haben. Auch harmlose Fotos auf den Handys der Töchter waren verboten. Bereits in der Woche zuvor sei der Mann gewalttätig geworden und es kam zu einem Polizeieinsatz im Haus der Familie.

Femizide werden nicht nach Motivation der Täter erfasst

Morde, die aus Gründen der Familienehre verübt werden, werden in der Öffentlichkeit auch mit dem Begriff "Ehrenmord" bezeichnet. Doch dabei handelt es sich nicht um einen juristischen Begriff. Auch ist die genaue Zahl der sogenannten Ehrenmorde nicht bekannt. Das Bundeskriminalamt (BKA) erfasst Morde an Frauen (Femizide) und erkennt dafür Gründe wie Frauenhass und Trennungstötung.

Der Grabstein von Hatun Sürücü, die am 7. Februar 2005 in Berlin von ihrem eigenen Bruder ermordet wurde. Der Mord gilt als sogenannter Ehrenmord. Foto: dpa

Auch spricht das BKA von Delikten, "die im Kontext patriarchalisch geprägter Familienverbände oder Gesellschaften vorrangig von Männern an Frauen verübt werden, um die aus Tätersicht verletzte Ehre der Familie oder des Mannes wiederherzustellen". Doch wird in der Statistik bei Morden an Frauen "die tatauslösende Motivation" nicht erfasst. Das Amt teilt lediglich mit, dass im Jahr 2023 insgesamt 360 Frauen getötet wurden - beinahe ein Opfer pro Tag.

Terre des Femmes: Zahlen zum Todestag von Hatun Sürücü

Doch auch zu sogenannten Ehrenmorden gibt es Zahlen. Diese erhebt unter anderem die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Anlässlich des Todestags von Hatun Sürücü am 7. Februar 2005 veröffentlicht die Organisation jährlich eine Übersicht mutmaßlicher "Ehrenmorde" in Deutschland. Demnach wurden in 2024 sechs Personen Opfer mutmaßlicher Ehrenmorde. Dabei starben drei Personen. Von den sechs Opfern waren vier Frauen, zwei Männer. Im Jahr davor wurden 19 Personen Opfer von Gewalt im Namen der Ehre, 15 davon Frauen. 13 überlebten die Tat nicht. Die Zahlen gehen auf die Auswertung von Presse- und Gerichtsberichten zurück.

Doch wie Myria Böhmecke, Referatsleitung Gewalt im Namen der Ehre, erklärt, geht die Organisation von einer großen Dunkelziffer aus, da viele Betroffene sich nicht hilfesuchend an die Polizei oder an eine andere Beratungsstelle wenden.

Soziologe: Ehre auswendig gelernter, hohler Begriff

Auch Kazim Erdoğan aus Berlin beschäftigt sich mit dem Thema Ehrenmorde. Der Soziologe und Psychologe mit türkischen Wurzeln ist Vorsitzender des Vereins Aufbruch Neukölln und leitet dort eine Selbsthilfegruppe von Männern. Den Begriff Ehrenmorde benutzt er nicht. "Ich spreche von Unehrenmorden", sagt er. "Sonst werten wir den Begriff auf." Er sieht hinter den Morden eine Gemengelage von Enttäuschung, Kränkung und Verzweiflung.

Kazim Erdogan, Soziologe und Psychologe, vom Verein Aufbruch Neukölln. Foto: privat / Kazim Erdogan

Bei dem Begriff "Ehre" handele es sich um einen auswendig gelernten, hohlen Begriff. "80 bis 85 Prozent der Menschen, die mit dem Begriff um sich werfen, können ihn gar nicht definieren", weiß er. Dass unter dem Phänomen fast ausschließlich Frauen die Opfer sind, führt er auf alte Erziehungsmethoden sowie auf die Ungleichbehandlung der Geschlechter zurück.

Teuflisches Viereck mit fatalen Folgen

Auf die Frage, welche Rolle die Religion spielt, sagt Erdoğan, es sei keine Frage von einer Religion oder Nationalität. "Ich spreche von einem teuflischen Viereck", sagt er. Kommen eine fundamentalistische Religionsauffassung, ein starker Nationalismus, die starke Rolle von Sitten und Gebräuchen sowie Druck der Familie und des sozialen Umfelds zusammen, könne dies fatale Folgen haben.

Von Ismail Kul

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