Die Griffelkunst-Vereinigung wird 100 - und Otterndorf feiert kräftig mit
Der Hamburger Verein Griffelkunst bietet seinen Mitgliedern seit 1925 Originaldrucke bekannter Künstler zu erschwinglichen Preisen an. Eine der aktivsten Gruppen sitzt in Otterndorf. Wir haben sie bei einer Fahrt in die Hamburger Zentrale begleitet.
Schwungvoll biegt der Transporter in Hamburg-Uhlenhorst um die Ecke und kommt vor einer Glasfassade zum Stehen. Hier, in den ehemaligen Werkstätten einer Berufsschule, residiert die Kunst. Die Gäste aus Otterndorf werden schon erwartet: Dirk Dobke - schwarzes Sakko, das Haar zum Zopf gebunden - führt das Begrüßungskomitee an. Er ist seit 2010 Geschäftsführer der Griffelkunst-Vereinigung, einem Verein, der seit 100 Jahren "Kunst für Jedermann" produziert. Das Konzept: Jedes der rund 4600 Mitglieder bekommt für einen Jahresbeitrag von 200 Euro vier Werke zeitgenössischer Künstler - die ideale Einstiegsdroge für Kunstliebhaber.
Unter den mitwirkenden Künstlern sind auch schon einmal Bilder von Stars wie Sigmar Polke, Jonathan Meese oder Horst Janssen. Aber auch junge, aufstrebende Künstlerinnen und Künstler erhalten in der Griffelkunst die Chance, sich einem größeren Publikum zu präsentieren. Bekannte und weniger bekannte Künstler stehen gleichberechtigt nebeneinander, das wird auch in finanzieller Hinsicht deutlich: Alle erhalten das gleiche Honorar.

Gegründet wurde der Sammlerverein 1925 von dem Hamburger Volksschullehrer Johannes Böse, dessen ausgeprägtes kunstpädagogisches Interesse auf Breitenwirkung abzielte: Für wenig Geld sollten sich alle Bevölkerungsschichten originale Kunstwerke leisten können. Die größte Chance sah er in grafischen Blättern, der sogenannten Griffelkunst, mit ihren vielfältigen Möglichkeiten zur Vervielfältigung. Inzwischen agiert der Verein deutschlandweit, verfügt über 88 Dependancen. Es gibt eine lange Warteliste. Die Mitglieder verpflichten sich, keinen Handel mit den erworbenen Blättern zu betreiben. Wer sich nicht daran hält, riskiert seinen Ausschluss.
Die Otterndorfer Gruppe gibt es seit 1947. Schon lange hat die 7500-Einwohner-Stadt in der Künstlerszene einen guten Namen, was auch an den Sonderausstellungen liegt, die Gruppenleiter Klaus Wycisk und seine Helfer zusätzlich zur Kunst-Wahl der Mitglieder regelmäßig auf die Beine stellen. Keine andere Griffelkunst-Gruppe macht das. Das weiß auch Dirk Dobke zu würdigen. "Otterndorf kommt eigentlich immer vor und ist eine wichtige Gruppe", sagt der Griffelkunst-Geschäftsführer.
Die Griffelkunst sitzt seit 2024 in Uhlenhorst
Regelmäßig fahren Klaus Wycisk und seine Helfer Klaus Mildner und Jürgen Nowotny in die Hamburger Zentrale an der Oberaltenallee, um Kunstwerke abzuholen. Die Griffelkunst-Vereinigung nutzt die industriell geprägten Räume seit 2024 als Vertriebszentrum, Büro und Lager. Heute sind die Otterndorfer vor allem wegen der Rahmen da. Denn die Ausstellung zum 100. Geburtstag der Griffelkunst will wirkungsvoll präsentiert werden. Götz Welge, bei der Griffelkunst-Vereinigung für den Versand und Vertrieb zuständig, greift zielsicher zwischen Materialkisten und Kunstschubladen ins Regal und holt drei großformatige Rahmen hervor. "Passt das von der Größe?", fragt er. Es passt.

Gleich an zwei Orten in Otterndorf wird ab dem 24. August eine umfangreiche Retrospektive zur gegenstandsfreien Druckgrafik gezeigt - im Museum gegenstandsfreier Kunst und in der Galerie in der Stadtscheune Otterndorf. Kuratiert wird die Ausstellung von Wilko Austermann, dem Direktor des Museums gegenstandsfreier Kunst. Titel: "Abstrakte Welten - 100 Jahre Griffelkunst".
In der Galerie in der Stadtscheune werden historische Grafiken aus den 1960er- und 1970er-Jahren gezeigt, die durch den Kontrast von linearer Gestaltung und freier Formgebung geprägt sind. Im Museum gegenstandsfreier Kunst liegt der Fokus auf thematisch geordneten Arbeiten, die ein breites Spektrum grafischer Ausdrucksformen abbilden - darunter lineare Grafiken, abstrakte Fotografie, serielle Konzepte, digitale Verfahren sowie zeitgenössische Holzschnitte.
Viele große Namen, die die Geschichte der Griffelkunst in den vergangenen 100 Jahren mitgeschrieben und geprägt haben, werden in der Medemstadt zu sehen sein - von A wie Getulio Alviani bis Z wie Jerry Zeniuk. Die Vernissage der Jubiläumsausstellung geht am Sonnabend, 23. August, ab 15 Uhr in der Galerie in der Stadtscheune über die Bühne.
Auch in Hamburg wird das Griffelkunst-Jubiläum ausführlich gewürdigt. Am Sonnabend, 30. August, wird in der Zentrale an der Oberaltenallee ab 15 Uhr ein großes Sommerfest gefeiert. In der Hamburger Kunsthalle ist vom 7. November bis zum 8. Februar 2026 die Ausstellung "And so on to infinity - 100 Jahre Griffelkunst" zu sehen.
Drei Fragen an Dirk Dobke, Geschäftsführer der Griffelkunst-Vereinigung
Wo steht die Griffelkunst-Vereinigung 100 Jahre nach ihrer Gründung durch Johannes Böse?
Vom Anspruch der Kunstvermittlung steht sie noch immer genau da, wo sie begonnen hat: Kunst soll für möglichst viele Menschen erschwinglich sein. Was das künstlerische Programm betrifft, kann man sagen, dass die Griffelkunst im Laufe der Jahre jünger und internationaler geworden ist.
Was sind die Mitglieder der Griffelkunst für Menschen?
Sie kommen aus allen Bevölkerungsgruppen. Ursprünglich waren es vor allem Lehrer, die sich an dem Bildungs- und Vermittlungsgedanken orientiert haben. Heute sind vom Studenten und Angestellten bis zum Akademiker alle Schichten und Altersgruppen vertreten.
Welchen Stellenwert hat die Otterndorfer Gruppe in der Griffelkunst-Vereinigung?
Die Otterndorfer Gruppe mit ihrem langjährigen Leiter Klaus Wycisk ist schon etwas Besonderes. Die Art der Präsentation, gerahmt und mit einer begleitenden Sonderausstellung, gibt es in dieser Form in keiner anderen Gruppe. Gerade für junge zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler ist die begleitende Ausstellung eine großartige Chance, sich einem größeren Publikum zu präsentieren.
