Griffelkunst in Otterndorf: André Lützen mit einer beeindruckenden Foto-Ausstellung
In Otterndorf feiert die Griffelkunst-Vereinigung ihr 100-jähriges Bestehen mit einer Sonderausstellung des renommierten Fotografen André Lützen. Er erkundet die Bedeutung deutscher Hauptstraßen visuell und zeigt beeindruckende Bilder.
Von Inga Kasparek
Aus unserem alltäglichen Sprachgebrauch ist er nahezu verschwunden. Im übertragenden Sinn lassen wir ihn fallen, wenn uns ein überpünktlicher Feierabend wichtig erscheint. Ganz anders in der Kunstszene, da hat er nicht nur überlebt, er hat sich sogar einen festen Platz erobert. Die Rede ist vom Griffel. Vor 100 Jahren entstand die sogenannte Griffelkunst-Vereinigung Hamburg.
Eine Gruppe von Kunstschaffenden und Kunstliebhabern verschrieb sich einer Kunstrichtung, die per Definition "Handzeichnungen aller Art und sämtliche Formate von Druckkunst"in den Fokus nimmt. Seither haben sich nach und nach deutschlandweit in 90 Orten Ausstellungsgruppen mit insgesamt 4.500 Mitgliedern gegründet, so auch in Otterndorf, wo die Vereinigung nach Umzug aus Cuxhaven vor 20 Jahren ihre Heimat fand.
Inzwischen gehören der Ortsgruppe 48 Mitglieder an, deren Gruppenleiter Klaus Wycisk bereits auf eine 60-jährige Mitgliedschaft zurückblicken kann, 40 Jahre davon als Ausstellungsleiter. Das Prinzip der Vereinigung hat sich im Vergleich zu ihren Anfängen nicht wesentlich verändert. Als Kunstliebhaber, der sich auch für die Förderung junger, noch unbekannter Künstler einbringen möchte, erwirbt man die Mitgliedschaft in der Vereinigung für einen festgelegten Jahresbeitrag.
Im Gegenzug erhält man zweimal jährlich, im Frühjahr und im Herbst, Gelegenheit und Berechtigung, sich insgesamt vier der ausgestellten Werke auszusuchen. Diese ergeben sich aus den eingereichten Exponaten der angeschlossenen Kunstschaffenden.
Eine solche Ausstellung findet dann mehr oder weniger zeitgleich in sämtlichen 90 Orten statt, so dass am Ende der jeweiligen Ausstellung die Anzahl der handsignierten Drucke, die nach der Auswahl gefertigt werden, feststeht. "Verkauft" im herkömmlichen Sinne werden die Bilder nicht.
Soweit das reguläre Procedere, in Otterndorf gibt es aber noch eine bundesweit einmalige Erweiterung,die auf die besonders geeigneten Räumlichkeiten und die Initiative des Gruppenleiters zurückzuführen ist. Es gibt immer wieder mal eine zusätzliche Sonderausstellung, in der die Kunstschaffenden außerhalb der regulären Bildauswahl ihre Werke ausstellen dürfen.
Bei der Vernissage am Sonntag aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums, war es André Lützen, Fotograf aus Hamburg. Die einleitenden Worte und Begrüßung der Gäste übernahm Otterndorfs stellvertretende Bürgermeisterin Ursula Holthausen, sie übergab das Mikrofon dann aber an Stephanie Bunk, die einen unterhaltsamen Rückblick auf die Entwicklung der Griffelkunst-Vereinigung gab. Sie war es auch, die dann die ausgestellten Bilder erläuterte und zur Sonderausstellung überleitete.
André Lützen, sein Studium für visuelle Kommunikation war quasi das Sprungbrett in seine berufliche Laufbahn, die ihn weltweit zum anerkannten Fotografen werden ließ. Seine Arbeiten wurden mit zahlreichen Preisen gewürdigt und sein Wissen gibt er als Dozent an einschlägigen Hochschulen weiter. Schwerpunkt generell ist die persönliche Dokumentarfotografie.
In Otterndorf präsentiert er ein ganz besonderes Projekt. "Hauptstraße Deutschland" ein Thema, das sich auf den ersten Blick so gar nicht mit Griffelkunst in Verbindung bringen lässt. Lützen lässt uns in seiner Eröffnungsansprache am Entscheidungs- und Entstehungsprozess teilhaben. Ihm war aufgefallen, dass es gefühlt in jedem Ort Deutschlands eine Hauptstraße gibt. Bei näherer Betrachtung nicht in jedem Ort, aber immerhin in 6.451 Orten. So entstand der Gedanke, einige davon aufzusuchen, mögliche Besonderheiten bildlich festzuhalten, vielleicht auch zu erkennen, was eine Hauptstraße noch für den Ort bedeutet. Es sind letztlich 300 Orte geworden, die Lützen in allen 16 Bundesländern verteilt aufgesucht hat. Davon hat er dann im Bild festgehalten, was ihm besonders erschien.
"Eine Choreographie des Alltags" entstand daraus, ca. 40 Exponate sind in der Galerie ausgestellt und wurden dem Publikum vom Künstler näher gebracht. Die Ausstellung insgesamt ist bis zum 23. November jeweils Dienstag und Donnerstag von 16 bis 18 Uhr und jeden Sonntag von 10 bis 12.30 Uhr geöffnet und allen Besuchern zugänglich.