
Stadtschreiber Daniel E. Palu in Otterndorf: Heißer Flirt mit einer Unbekannten
Daniel E. Palu ist Stadtschreiber in Otterndorf. Für unser Medienhaus verfasst der Schriftsteller eine Kolumne. Bemerkenswertes aus seinem Sommerdomizil an der Elbe stellt er darin höchst humorvoll zusammen.
"Otterndorf ist ja ganz schön klein", habe ich in den Wochen vor meinem Antritt als Stadtschreiber oft gehört. Gefolgt von: "Was willst du denn da fünf Monate lang machen?" Oberflächlich betrachtet, lassen sich die augenfälligen Sehenswürdigkeiten wahrscheinlich tatsächlich an einem Tag mit dem Fahrrad erkunden: historische Altstadt mit Rathaus, Kranichhaus und Puppenstube und dann raus zur Freizeitanlage See achtern Diek mit Deich und Elbe dahinter. Aber: Wer sich auf Offensichtliches beschränkt, übersieht leicht die wahre Schönheit. Das ist bei Menschen nicht anders als bei Städten.
Drei Wochen bin ich schon hier, war mit dem Bürgermeister im "Lütt Köök" frühstücken, habe rund 30 Otterndorferinnen und Otterndorfer beim Begrüßungsempfang im Voß-Haus kennengelernt, habe in den Seelandhallen meine Antrittslesung vor vollem Haus gehalten, bin Mitglied geworden im Fitnessstudio "Fit for Life", um meinen vom Sitzen geplagten Rücken bei einer richtig guten Yogaklasse zu mobilisieren, habe das eine oder andere Eis bei "Dat Krämerhus" am See verdrückt und kiloweise meine Lieblingsapfelsorte Wellant vom kleinen, aber feinen Wochenmarkt nach Hause getragen. Ich habe mir einen Mitgliedsausweis für die Stadtbibliothek ausstellen lassen und mein erstes Buch in der wunderbaren Altstadt-Buchhandlung gekauft ("Das Meer und ich" von meiner lieben Autoren-Kollegin Tessa Randau). Und trotzdem würde ich nicht wagen zu behaupten, ich hätte Otterndorf wirklich kennengelernt. Denn was die vielen Ahnungslosen, die noch nie hier waren, aus der Ferne nicht wissen können: Otterndorf mag vieles sein, klein und langweilig ist es nicht. Die Stadt hat so viel mehr zu bieten, als man auf den ersten Blick meinen könnte.
Eine Menge Programm in Planung
Otterndorf und ich, wir befinden uns in der Flirtphase. Eine große Sympathie ist vorhanden und definitiv der Wille, sich besser kennenzulernen. In den nächsten Wochen steht die erste SUP-Runde durch Südsee, Nordsee, Seeland und Neu-Seeland an (diese Bezeichnungen sind schlichtweg genial!), ein Besuch der Therme, eine Lichterfahrt auf der Medem und eine geführte Wattwanderung ebenso wie eine Führung durchs Voß-Haus. Das Museum gegenstandsfreier Kunst reizt mich ebenfalls sehr. Genauso wie ein geführter Rundgang durch die historische Altstadt, denn ich bin überzeugt, dass es über die schicken kleinen Häuser dort spannende Geschichten zu erfahren gibt. Auch bei meinem Vorsatz, den besten Backfisch der Stadt zu finden, liege ich voll im Zeitplan: Bei beiden Fischbuden am Deich war ich schon, auch bei "Ahoi" von Henssler - mit eklatanten Unterschieden in Sachen Qualität. Und auf einen kühlen Drink bei "Hardy's" am Südsee-Wassersport an lauen Sommerabenden freue ich mich jetzt schon kolossal.
Aber Otterndorf, meine Schöne, ich muss dir etwas beichten: Ich habe ein straffes Arbeitspensum vor mir. Mein Roman ist ungefähr zur Hälfte geschrieben. Die zweite Hälfte muss ich in den ersten vier Monaten meines Otterndorf-Aufenthaltes schreiben, denn am 1. September ist Abgabe. Danach folgt das Lektorat, das hoffentlich bis zum Ende meiner Zeit hier am 30. September abgeschlossen ist. Wird mich das davon abhalten, meinen Flirt mit Otterndorf zu vertiefen? Nicht, wenn ich es verhindern kann. Auch wenn ich die Zeit hier lieber nutzen würde, um mich ganz der Landschaft und dem Müßiggang hinzugeben. Da es sich aber um ein Arbeitsstipendium handelt, werde ich genau das auch tun, nämlich arbeiten. Aber selbst der längste Arbeitstag hat einmal ein Ende und Sport, Spaziergänge oder Radtouren sind ein willkommener Ausgleich. Denn trotz des riesigen Bergs an Arbeit, der vor mir liegt, sehe ich es zweifellos als Geschenk an: Arbeiten zu dürfen, wo andere Urlaub machen. Kaum, dass ich am 1. Mai meine Kisten, Koffer und Kartons aus dem Auto ins Gartenhaus verladen hatte, bin ich zum Deich.
Habe meinen Lieblingsort gefunden
Hier, am Wasser, wo nichts und niemand den Blick verstellt, die Elbe ihre Bahnen zieht, der Wind einem nur so um die Nase weht und Schafe sich kauend neben einem auf der Deichkrone niederlassen, quasi in ihrer eigenen Loge mit Blick auf alle und alles. Hier habe ich meinen Lieblingsort gefunden. Hier kann ich meine Gedanken schweifen lassen, kann mit dem Ermittler meiner neuen Krimireihe hadern, weil er Dinge anders angehen will, als ich das für ihn vorgesehen habe. Hier komme ich her, wenn ich festhänge und meine Gedanken so lange durcheinanderpusten lasse, bis ich wieder eine Ahnung habe, wie es weitergeht.
Allein dafür, liebes Otterndorf, hat es sich schon gelohnt, dass wir uns begegnet sind. Ich bin guter Dinge, dass aus diesem heißen Flirt mit einer mir noch quasi Unbekannten mehr werden könnte. Was daraus am Ende wird - Sympathie? Verbundenheit? Freundschaft? Liebe? - lässt sich in dieser Flirtphase nicht absehen. Das ist bei Städten nicht anders als bei Menschen. In diesem Sinne möchte ich Hauptkommissar Gabriele Berlotti in meinen Krimidebüt "Tod im Alten Land" zitieren: "Wer braucht schon die Ostsee, wenn man am Deich mit Blick auf die Elbe sitzen kann?!" Ich hoffe, Sie stimmen mir zu?