
Verbale sexuelle Belästigung im Kreis Cuxhaven: Warum Catcalling schwer zu ahnden ist
Pfeifen oder Nachrufen: Die SPD will verbale sexuelle Belästigung unter Strafe stellen. Was genau soll gelten, wo liegen die Grenzen und wie spiegelt sich die Debatte im Cuxland wider? Stimmen aus Polizei, Beratung und Gleichstellung ordnen ein.
Ein kurzer Pfiff, ein Spruch hinterher, ein obszöner Blick: Für viele Betroffene ist das Alltag - und für die Gesellschaft längst ein Streitpunkt. Soll solches Verhalten künftig strafbar sein? Diese Frage wird derzeit auf Bundesebene neu diskutiert.
Die SPD-Bundestagsfraktion will verbale sexuelle Belästigung - von Nachrufen über Gesten bis hin zu aufdringlichem Anstarren - als eigenen Straftatbestand ins Gesetz aufnehmen. "Solch ein Verhalten können wir nicht tolerieren. Nicht die Opfer sollten ihr Verhalten ändern, sondern die Täter", sagt Sonja Eichwede, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende.
Damit reiht sich Deutschland in eine Debatte ein, die andere europäische Länder bereits entschieden haben: In den Niederlanden ist Catcalling seit 2024 verboten, auch Frankreich, Portugal und Spanien kennen klare Regeln, teils mit Haftstrafen.
Zwischen Gesetzeslücke und Alltagsrealität
In Deutschland gibt es bisher keine klare Handhabe. Zwar können extreme Fälle über Beleidigung, Nötigung oder sexuelle Belästigung geahndet werden - die meisten Situationen fallen aber durch das Raster. "Viele beschriebene Formen, etwa anzügliche Kommentare ohne Beleidigungen, Pfeifen oder Gesten, fallen derzeit nicht unter das Strafgesetzbuch", erklärt Stephan Hertz, Sprecher der Polizeiinspektion Cuxhaven.
Nach einer Befragung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen von 2021 gaben rund 90 Prozent der etwa 4000 Teilnehmenden an, in den Monaten zuvor wegen ihres Aussehens bewertet worden zu sein. Über die Hälfte berichtete von unerwünschten sexuellen Annäherungen, sexistischen Sprüchen oder anzüglichen Kommentaren. Überproportional betroffen waren Frauen sowie Personen aus der queeren Community.
Anzeigen gebe es allerdings kaum, auch weil Vorfälle juristisch nicht erfasst würden. "Bestimmte Fälle werden als sogenanntes ,Sonstiges Ereignis‘ erfasst. Valide Zahlen gibt es aber nicht." Selbst wenn Betroffene die Polizei rufen, bleibe es meist bei einer statistischen Notiz. Ermittlungen folgen in der Regel nicht.

Hertz sieht aber die grundsätzliche Bedeutung der Debatte: "Jedes Rechtssystem ist davon geprägt, dass es Lücken oder Grauzonen gibt. Das wird sich auch nie ganz verhindern lassen. Bei Verhaltensweisen, die massiv in die persönliche Sicherheit von Opfern eingreifen, muss eine entsprechende Diskussion aber immer angebracht sein."
"Gesellschaft verhandelt neu, was Respekt bedeutet"
Im Landkreis Cuxhaven selbst ist Catcalling kaum offiziell dokumentiert - das Problem existiert dennoch. "44 Prozent der Frauen in Deutschland haben verbale Belästigung im öffentlichen Raum schon erlebt. Mit Sicherheit gibt es also auch hier Frauen und Mädchen, die betroffen sind", sagt Gleichstellungsbeauftragte Kirsten von der Lieth.
An sie persönlich habe sich zwar bislang niemand gewandt, das sei aber auch nicht ihre unmittelbare Rolle. Umso mehr schaut sie auf die gesellschaftliche Dimension: "Die Diskussion über die Aufnahme verbaler sexueller Belästigung ins Strafgesetzbuch zeigt, dass unsere Gesellschaft gerade neu verhandelt, was unter einem respektvollen Miteinander zu verstehen ist. Und das ist gut so."
Zugleich mahnt sie zur Sorgfalt: "Man muss genau hinschauen, wie eine klare rechtliche Abgrenzung aussehen kann, die rechtssicher ist und nicht zu neuen Unsicherheiten führt."
"Es ist gut, dass darüber gesprochen wird"
Auch die Frauen- und Mädchenberatung des Paritätischen Cuxhaven sieht das Thema bislang nicht in den Beratungszimmern, berichtet Leiterin Mirian Breuer. Dennoch hält sie die politische Debatte für wichtig: "Ich finde es richtig und gut, dass über eine Strafbarkeit nachgedacht wird, damit das Thema Gewalt im Alltag in der Alltagssprache und im öffentlichen Raum thematisiert wird."
Eine Strafverfolgung werde allerdings schwierig, schätzt Breuer. In der Praxis gehe es eher darum, Betroffene zu unterstützen: "Meistens ist es hilfreich, über Erlebtes zu sprechen. So kann eine neue Haltung - äußerlich und innerlich - entwickelt werden." Von Politik und Gesellschaft fordert sie mehr Anlaufstellen und mehr Sensibilität: "Ich wünsche mir, dass sehr sensibel mit möglichen Verletzungen umgegangen wird."
Offene Fragen an den Gesetzgeber - ein Teufelskreis
Die SPD hat bisher lediglich einen Prüfauftrag im Bundesjustizministerium angestoßen. Ob daraus ein Gesetz wird, ist unklar. Kritisch diskutiert werden vor allem drei Punkte:

Fakt ist: Obwohl Studien ein breites Ausmaß belegen, melden sich nur wenige Betroffene bei der Polizei. Viele verzichten aus Scham - und auch, weil es bislang keine rechtliche Grundlage für Konsequenzen gibt. Bleibt es bei einer bloßen "Vorgangserfassung", fehlen belastbare Zahlen; das lässt das Problem wie Einzelfälle wirken, senkt die Anzeigebereitschaft weiter und erschwert politisch wie polizeilich jede wirksame Reaktion.
"Es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass sich alle Menschen im öffentlichen Raum sicher fühlen", fasst Kirsten von der Lieth zusammen. Die Diskussion ist angestoßen - ob sie im Strafgesetzbuch ankommt, wird sich daran messen lassen, wie gut sie Betroffene tatsächlich schützt.
Was Betroffene tun können