Albertus Lemke: "Wer rastet, rostet"
OBERNDORF. Müsste das liebenswerte Oste-Dorf einen Botschafter ernennen, würde die Wahl wohl schnell auf diesen rastlosen Ruheständler fallen, der immer einen im Sinn hat, offen, herzlich und mit sonnigem Gemüt auf Menschen zugeht. Albertus Lemkes selbst gewählter Leitspruch lautet: "Wer rastet, der rostet."
Doch darf man sich nicht von den schalkhaft blitzenden Augen und den sie umkränzenden Lachfältchen hinters Licht führen lassen. Hinter all dieser vordergründigen Fröhlichkeit steckt auch ein ernsthaft nachdenklicher Mann, der sich seinem Heimatdorf, ja der gesamten Osteregion, so verbunden fühlt, dass er mit Lust und Leidenschaft in der AG Osteland mitmischt und Projekte begleitet, ohne dabei ein offizielles Amt bekleiden zu müssen.
Die Oste hat er von seinem Wohnzimmer aus nicht nur im Blick, sie ist fest im Herzen verankert und Lebenselixier. Aus Liebe zu Land und Leuten will er positiv für das Wir-Gefühl seines Dorfes, ja des ganzen Ostelandstriches wirken. Und zwar mit aller Kraft. Der frühere Fußballer und B-Lizenztrainer ist dabei Teamspieler: "Man muss die Leute einbinden und sie ansprechen, dann klappt das auch."
Medien lieben solche bodenständigen Originale, deren Natürlichkeit auch vor laufender Kamera nicht abblättert und die authentisch rüberkommen. So verwundert es nicht, dass er sowohl beim Pro7-Dorfduell als auch bei der Aufzeichnung der N3-Show "Stadt gegen Land" gemeinsam mit den van der Weer-Zwillingen (Ausstrahlung am 30. Januar) für Oberndorf seine Nase zeigte. Und zwar liebend gern, nicht nur weil er per Du mit Carlo von Tiedemann herum flachsen konnte, sondern auch, weil mancher Euro damit erspielt wurde, der gewinnbringend in die Weiterentwicklung des Dorfes investiert wird.
Für sein unermüdliches Engagement hinter den Kulissen der AG Osteland wurde Albertus Lemke jetzt mit der goldenen Ehrennadel des Vereins ausgezeichnet und auch die Oberndorfer selbst wissen, was sie an ihm haben. Bürgermeister Horeis ehrte ihn kürzlich mit der Oberndorf-Medaille.
Albertus Lemke, seit gestern junger Achtundsechziger, ist waschechter Oberndorfer. Hier erblickte er am 14. Januar 1942 das Licht der Welt und wuchs auf dem elterlichen Mühlenbetrieb auf. Nach dem Realschulabschluss an der Otterndorfer Johann-Heinrich-Voß-Schule lernte er in Sulingen in der Nähe von Diepholz den Beruf des Großhandelskaufmanns und kehrte nach Lehr- und Bundeswehrzeit nach Oberndorf zurück, wo sein Vater aus Krankheitsgründen froh war, dass der Sohn im Betrieb in die Bresche springen konnte.
In erster Linie wurde in der Oberndorfer Mühle Futtergetreide gemahlen, aber auch viele Hadler Landbäcker bezogen von den Lemkes ihr Roggenbackschrot. Alle weiteren Müllerprodukte wurden aus Hamburg besorgt und von dem Familienunternehmen vertrieben. "Wir hatten zwei Lkw laufen, die Steine von den beiden Oberndorfer Ziegeleien nach Hamburg brachten und zurückkamen mit Mühlenprodukten", erinnert sich Albertus Lemke.
Als der Mühlenbetrieb 1970 an die damalige SpaDaKa Hemmoor verpachtet wurde, wechselte auch er mit und ging zwei Jahre später nach Freiburg, wo er die Außenstelle der früheren Labag Otterndorf (heute Raiffeisen Elbe-Weser) übernahm, und dort 32 Jahre lang wirkte, bis er mit 63 Jahren in den Ruhestand ging.
Immer in Familienhand blieb dabei das Grüne Warenhaus auf dem Familiensitz direkt an der Oste, wo es vom Torfballen bis zum Düngemittel alles gab. Hier hatten stets die Lemke-Frauen das Sagen, zuerst seine Mutter Magda, jetzt seine Frau Renate und auch die Schwiegertochter packt dort tüchtig mit an.
Als der Einzelhandel in Oberndorf immer weiter schrumpfte, entwickelte sich das Geschäft zum Tante-Emma-Laden und stellt bis heute die Grundversorgung der Dorfbevölkerung von der Zeitschrift über Frischobst und Hasenfleeter Molkereiprodukten bis hin zu Getränken sicher.
Gerade jetzt bei Schnee- und Eisglätte wissen die Oberndorfer ihren Dorfladen zu schätzen. Auch wenn die Frauen den Laden selbstständig wuppen, Albertus Lemkes Dienste werden dennoch benötigt. Zum Beispiel, um Wasser- und Saftkisten zu den alten Leuten nach Hause zu fahren. "Es ist schön, dass man hier zur Lebensqualität beitragen kann."
"Wir müssen aufpassen, dass es uns nicht so geht, wie den Steinauern", mahnt er, sieht aber gleichwohl für Oberndorf gute Chancen. Schließlich gebe es hier noch eine vernünftige dörfliche Infrastruktur und eine funktionierende Dorfgemeinschaft. Dies gelte es zukunftsfit zu gestalten - und so wird er nicht müde, sich für die Weiterentwicklung einzubringen.
Nach dem hölzernen Stördenkmal ist es jetzt der Kirchplatz, dem Lemke und seine Mitstreiter zu neuem Leben verhelfen möchten. Und auch die Verwirklichung eines Stör-Informationszentrums soll kein Traum bleiben. Das Wiederansiedlungsprogramm des Kaviarfisches ist dem naturverbundenen Oberndorfer Herzensangelegenheit, vor allem nach dem beeindruckenden Besuch beim Berliner Leibnitz-Institut.
Er geht fest davon aus, dass der Stör in der Oste geeignete Bedingungen hat, ebenso wie es der Lachsbesatz positiv vorgeführt habe. "Wer hätte denn gedacht, dass Angler jetzt schon Lachse von einem Meter aus dem Fluss holen können?"
Als stellvertretender Vorsitzender des Ostedeichverbandes glaubt er zudem daran, dass die neuen Deichlinien für den Fluss "unglaubliche Vorteile" haben und die dabei entstehenden seeartigen Flächen für die Fischpopulation segensreich werden. In diesem Zusammenhang sei auch die neue Wasserrichtlinie ab 2015 interessant, die eine Fischdurchgängigkeit für alle Schöpfwerke vorsehe, so der naturbewusste Hadler.
Immerhin 30 Jahre lang war er auch als Nebenerwerbsfischer mit seinem kleinen Dieselmotorboot regelmäßig draußen in der Ostemündung am Werk, um Aale zu fangen. Die Reusenfischerei hängte er erst an den Nagel, als die Containerschifffahrt zunahm und ihm Sog und Schwall der Riesenpötte zu gefährlich wurden.
Fit hält er sich heute neben der rührigen Arbeit für die AG Osteland durch regelmäßiges Tischtennisspielen und durch Wanderungen gemeinsam mit seiner Frau - am liebsten am Elbdeich in Balje, die Ostemündung im Blick. Für geistige Fitness sorgen Gespräche und Pläneschmieden beim Stammtisch, aber auch die Urlaube in Irland und Masuren.
Dass der 68-Jährige also Rost ansetzt, braucht Oberndorf und das Osteland noch lange nicht zu befürchten.
von Wiebke Kramp