Das Wasser knabbert am Seepavillon in Cuxhaven: Kaum ein Ereignis wühlt viele Norddeutsche bis heute so auf wie die Sturmflut von 1962. Ausgelöst durch einen Orkan rollt in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar eine gewaltige Flutwelle von der Nordsee die Elbe hinauf, zerstört Deiche, reißt Häuser und Wohnungen weg. Foto: CN/NEZ-Archiv
Das Wasser knabbert am Seepavillon in Cuxhaven: Kaum ein Ereignis wühlt viele Norddeutsche bis heute so auf wie die Sturmflut von 1962. Ausgelöst durch einen Orkan rollt in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar eine gewaltige Flutwelle von der Nordsee die Elbe hinauf, zerstört Deiche, reißt Häuser und Wohnungen weg. Foto: CN/NEZ-Archiv
Katastrophe

Sturmflut 1962: Das richtete Orkan "Vincinette" vor 60 Jahren in Hadeln und Cuxhaven an

von Christian Mangels | 15.02.2022

KREIS CUXHAVEN. Sturmflut 1962: Die Cuxhavener Nachrichten und die Niederelbe-Zeitung erinnern in einer Serie an die dramatischen Tage vor 60 Jahren.

60 Jahre ist es her, dass bei der großen Sturmflut 1962 an Elbe und Oste die Deiche brachen und unsere Region von einer unvorstellbaren Katastrophe heimgesucht wurde. Die Cuxhavener Nachrichten und die Niederelbe-Zeitung erinnern in einer Serie an die dramatischen Tage im Februar 1962. Wir lassen in den nächsten Tagen und Wochen Zeitzeugen aus Cuxhaven und Hadeln zu Wort kommen, beleuchten Hintergründe, sprechen mit Experten und schauen, was sich seitdem beim Hochwasserschutz verändert hat.

"Vincinette" - die Siegreiche - versetzt im Februar 1962 die niedersächsische Küste in Angst und Schrecken: Das Orkantief kommt aus Island und sorgt am 16. und 17. Februar für eine Sturmflut, die als Katastrophenflut in die Geschichte eingeht. Und obwohl es nach 1962 eine ganze Reihe schwerer Sturmfluten gab - erinnert sei etwa an den 3. Januar 1976, als es an der Elbe die höchsten jemals gemessenen Wasserstände gab - hat die Sturmflut von 1962 einen besonderen Stellenwert. Und dabei hat die Cuxhavener Region insgesamt noch Glück gehabt - verglichen mit dem Grauen, dass die Sturmflut in Hamburg anrichtete. Insgesamt 315 Todesopfer forderte die Katastrophe in der Hansestadt.

Im Ablauf ähnelt die 1962er Flut an der niedersächsischen Küste der Weihnachtsflut von 1717. Der Orkan treibt das Wasser sehr schnell hoch und hält es sehr lange auf Höchstständen am Deich. Da außerdem gerade zur Zeit der höchsten Wasserstände der Orkan seine größte Wucht entfaltet, entwickelt sich eine starke Brandung, die den Deichen zusetzt.

Vieh vor dem Wasser gerettet

Die Sturmflut trifft den Kreis Land Hadeln und die Stadt Cuxhaven nicht völlig unvorbereitet. Rechtzeitig hat die Kreiseinsatzleitung sämtliche Bürgermeister, Deichgrafen und Ortsbrandmeister gewarnt. So ist es möglich, fast das gesamte Vieh vor dem Wasser zu retten, obwohl der Ostedeich an 43 Stellen bricht. Auch die Stadt Cuxhaven hat die Einwohnerschaft noch so rechtzeitig auf die Gefahr hingewiesen, dass es hier wie auch im Land Hadeln keine Menschenverluste gibt.

Und doch ist der Schrecken groß, als das Wasser über die Deiche tritt und sich weit ins Landesinnere ergießt. Notdürftig versuchen Freiwillige, Feuerwehrleute und Soldaten mit Sandsäcken die Bruchstellen und Deichlücken zu sichern, während die Flut steigt, Häuser unterspült werden, Mauern und Straßen fortgerissen werden. Das Ausmaß der Verwüstung ist unübersehbar. Der Wiederaufbau von besonders stark betroffenen Orten wie Oberndorf dauert Jahre.

Allein im Land Hadeln werden 8200 Hektar Land überflutet. Ein riesiger See erstreckt sich von Cadenberge bis nach Bornberg. Bundesstraße und Bahnstrecke sind an mehreren Stellen überflutet und damit unpassierbar; das Telefonnetz ist unterbrochen. Auch der Raum Nindorf und Laumühlen bis nach Ihlbeck hat sich in eine "Wasserwüste" verwandelt. Im Altkreis entstehen Schäden von 16 Millionen Mark. Die Februarflut sprengt alle Vorstellungskraft.

25 000 Sandsäcke verbaut

Auch die Stadt Cuxhaven zieht am Morgen danach eine bittere Bilanz: In Hafen- und Kuranlagen sowie in Industriebetrieben hat die Flut zum Teil außerordentlich schwere Verwüstungen angerichtet. Mehr als 25 000 Sandsäcke wurden verbaut. Im Einsatz befanden sich 100 Leute des Deich- und Schleusenverbandes, 80 Angehörige der Stadtverwaltung, 464 Luftwaffenangehörige und 270 Mariner. Die Polizei bot 53 Beamte auf, der Zollgrenzdienst 18. THW, Feuerwehr und Rotes Kreuz waren mit insgesamt 251 Helfern vertreten.

Mehr als 300 Keller stehen unter Wasser. Die großen Betriebe verzeichnen Millionenschäden - allerdings: Die Stadt ist einer großen Katastrophe trotz aller Zerstörungen gerade noch entkommen.

Im Lande Hadeln sind vornehmlich Gebäude, landwirtschaftliche Nutzflächen und Ziegeleien hart betroffen. Hier beginnt neben den Deichsicherungsarbeiten unverzüglich das große Aufräumen. Auch wenn die Schadstellen an den Deichen schon innerhalb einer Woche notdürftig geflickt werden können, dauert die endgültige Beseitigung aller Schäden noch Jahre. "Vincinette" hatte ganze Arbeit geleistet.

Hat die Region ihre Lektion aus der Sturmflut von 1962 gelernt? Vieles ist seitdem in Cuxhaven und Hadeln, an der Elbe und der Oste geschehen. Deiche wurden verbreitert, erhöht und verlegt, das Oste-Sperrwerk gebaut, die Deichverbände reformiert. Trotzdem bleiben der Küstenschutz und die Auseinandersetzung mit den Naturgewalten auch 60 Jahre danach und in der Zukunft eine beständige Herausforderung für das Leben an der Küste.

Weltweit sind sich Klimaforscher darin einig, dass sich Wetterextreme infolge de Klimaveränderungen häufen werden. Die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal hat gezeigt, wie reißend Wassermassen werden können.

Die Tage im Februar 1962, als der Norden im Wasser versank, haben sich im kollektiven Gedächtnis vieler Cuxland-Bewohner fest verankert. Aus der Vergangenheit zu lernen, um die Zukunft zu gestalten, ist angesichts des Klimawandels und der Folgen die richtige Antwort auf die Katastrophe, die sich in diesen Tagen zum 60. Mal jährt.

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Christian Mangels

Redakteur
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

cmangels@no-spamcuxonline.de

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