Cuxhavener Gymnasium bei Jugendbegegnung in Kreisau: Es nur zu wissen, reicht nicht
Eine Begegnung mit Gruppen aus Polen und der Ukraine führte Jugendlichen aus dem Lichtenberg-Gymnasium Cuxhaven die eigene Verantwortung für Frieden und Zusammenhalt in Europa vor Augen. Die Begegnung fand im polnischen Kreisau statt.
Eine Woche lang trafen sich Jugendliche aus Cuxhaven, Warschau und Saporischschja (Ukraine) in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte "Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung", um gemeinsam zu lernen, zu diskutieren - und Europa ganz konkret zu erleben. Möglich wurde das nur durch die finanzielle Unterstützung des Deutsch-Polnischen Jugendwerks (DPJW), des LiG-Fördervereins, der Sanddorf-Stiftung sowie der Axel Springer Stiftung.
Nur dank ihnen kam es dieses Jahr wieder zu einem trilateralen Austausch (Triyou). Ganz reibungslos startete das Abenteuer für die Schülerinnen und Schüler des Lichtenberg-Gymnasiums (LiG) nicht: Gleich der erste Zug fiel aus, später wurde auch die Rückreise zur Geduldsprobe mit Verspätungen, Ersatzverbindungen, Schlangen wartender Menschen und Improvisation.
Alles kleine Probleme im Vergleich mit der Lebensrealität in der Ukraine
Doch all das rückte in den Hintergrund, als deutlich wurde, was "Normalität" für die ukrainische Gruppe bedeutet: In der Hoffnung, in Kreisau zum ersten Mal seit langer Zeit ohne nächtliche Sirenen und/oder plötzliche Angriffe schlafen zu können, traf sie eine halbe Stunde vor Ankunft die Nachricht, dass die unmittelbare Umgebung ihrer Schule soeben von einer schweren Explosion getroffen worden sei.
Die Zwischenübernachtung in Wrocław (Breslau) bot der Gruppe aus Cuxhaven zunächst ein wenig Adventsatmosphäre und Luft zum Durchatmen. Dabei erlebten die Jugendlichen auch die große "Christmas Party" mit, die live im polnischen Fernsehen übertragen wurde. Am Tag darauf trafen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufeinander und fuhren im gemeinsamen Bus nach Kreisau.
Freundschaftliche Bande tragen das Begegnungsprojekt
Spätestens am Abend darauf wurden sämtliche Berührungsängste aus dem Weg geräumt, indem sich die Jugendlichen gegenseitig ihre Lebensumstände, den Schulalltag sowie Traditionen und Festivitäten schilderten. Bei Süßigkeiten aus drei Ländern wurden die freundschaftlichen Bande geknüpft, die so ein Begegnungsprojekt tragen.
Dem folgten Führungen über das historische Gelände und durch Ausstellungen zum Kreisauer Kreis, zur Familie von Moltke und zum Nationalsozialismus. Besonders eindrucksvoll wirkten auf die Jugendlichen die Bezüge in die Gegenwart, die sich beispielsweise in Hassrede und der schleichenden Einschränkung von Menschenrechten zeigen.

Viel Arbeit investierten die Gruppen in die Vor- und Nachbereitung des Besuchs im Konzentrationslager Groß-Rosen. Sie setzten sich mit den Mechanismen von Entmenschlichung, Zwangsarbeit und Ausgrenzung auseinander und erfuhren, dass diese auch heute noch in vielen Konfliktherden weltweit gelebte Realität sind.
Belastend und lehrreich gleichermaßen
Der Besuch in Groß-Rosen war belastend und lehrreich gleichermaßen: Das Gelände, die Spuren der Gewalt und die räumliche Konfrontation mit dem, was Menschen einander antun können, ließen sich nicht "abstrahieren". Verstärkt wurde das Erleben durch große Sprengungen in den nahe gelegenen Granit-Minen - ein beklemmender, körperlich spürbarer Lärm, der besonders die ukrainischen Jugendlichen zusätzlich stark belastete.

Gerade deshalb wog die kreative Verarbeitung in gemischten Kleingruppen besonders schwer. Die dort entstandenen Arbeiten werden nun im Forum des Lichtenberg-Gymnasiums ausgestellt. Logische Erkenntnis für alle Beteiligten: Die gemeinsame Auseinandersetzung mit der Geschichte dürfe nicht beim Wissen stehenbleiben, sondern fordere Haltung, Verantwortung und Handeln ein.
Sport- und Freizeitaktivitäten und selbst gestaltete Tanzabende trugen ebenso wie mehrere Ausflüge dazu bei, Geschichte und Gegenwart Europas sinnlich erfahrbar zu machen. Auf dem Weihnachtsmarkt im historischen Stadtkern von Breslau probierten die Jugendlichen lokale Spezialitäten und in Świdnica (Schweidnitz) besuchten sie die Friedenskirche, die im 17. Jahrhundert nur unter strengen Auflagen aus vergänglichen Materialien wie Holz, Sand, Stroh und Ton errichtet werden durfte. Umso erstaunlicher ist es, dass sie bis heute steht und dabei mit einer ungewöhnlich prachtvollen barocken Gestaltung überrascht, wie man sie in evangelischen Kirchen selten erwartet. Der Blick vom Rathausturm wurde für viele zu einem stillen Moment des Durchatmens.
Begegnung und Annäherung gingen weit über das offizielle Programm hinaus, sodass beim Abschied Tränen flossen. Das Projekt Triyou hat für die Jugendlichen Geschichte begreifbar und Vielfalt erfahrbar gemacht und ihnen so die Bedeutung Europas vor Augen geführt.