Graffiti-Schmierereien prägen das Erscheinungsbild des alten Sanitärtrakts am Wochenmarktplatz. Der marode Flachbau soll durch einen zukunftsweisenden Neubau mit Photovoltaik und E-Bike-Ladestation ersetzt werden, sehr zum Unmut der FDP, die von „luxuriösem Schnickschnack" spricht. Foto: Potschka
Graffiti-Schmierereien prägen das Erscheinungsbild des alten Sanitärtrakts am Wochenmarktplatz. Der marode Flachbau soll durch einen zukunftsweisenden Neubau mit Photovoltaik und E-Bike-Ladestation ersetzt werden, sehr zum Unmut der FDP, die von „luxuriösem Schnickschnack" spricht. Foto: Potschka
Hitzige Ratsdebatte

"Luxuriöser Schnickschnack": Cuxhaven diskutiert WC-Neubau für fast 600.000 Euro

von Jens Potschka | 21.12.2025

Ein geplantes Toilettenhäuschen beim Cuxhavener Wochenmarkt entfacht eine erstaunliche Debatte im Rat der Stadt Cuxhaven. Mit einer Kostenexplosion und einem Brückenschlag zur Berufsbildenden Schule sorgt das Projekt für überraschende Wendungen.

Dichter Nebel hüllt an diesem Sonnabend vor dem vierten Advent die alte WC-Anlage am Wochenmarktplatz ein. Doch selbst der Dunst kann die großflächigen Graffiti-Schmierereien auf dem in die Jahre gekommenen Flachbau nicht verbergen. Bald soll hier ein Neubau entstehen. Für stolze 590.000 Euro, wie der Rat der Stadt auf seiner letzten Sitzung im Jahr 2025 mehrheitlich beschloss.

Was als Initiative der SPD für eine barrierefreie Sanitäranlage im Jahr 2022 begann, entwickelte sich zu einer kleinen Odyssee durch die Cuxhavener Kommunalpolitik. Aus ursprünglich veranschlagten 250.000 Euro wurden zunächst 320.000 Euro, dann 490.000 Euro - und nun, nach aktualisierter Kostenschätzung, fast 600.000 Euro. Grund dafür sind nicht nur die allgemeinen Preissteigerungen, sondern auch gewachsene Anforderungen: Photovoltaikanlage, Wärmepumpe, E‑Bike-Ladestation, ein Büro für den Marktmeister und nicht zuletzt die komplette Elektrik für sämtliche Wochenmarktstände, die über das Gebäude laufen muss.

"Dass diese Bude über fünfhunderttausend Euro kostet, darf man der Öffentlichkeit gar nicht sagen", bemerkte CDU-Ratsherr Enak Ferlemann in der Debatte mit einem Augenzwinkern. "Deswegen tue ich das, weil das doch schon eine Menge Geld ist. Andere Menschen bauen dafür ein sehr, sehr großes Einfamilienhaus und ein Doppelhaus."

Vom Toilettenhäuschen zur Diskussion über die Berufsbildende Schule

Die Debatte im Ratssaal nahm schnell Fahrt auf und nahm erstaunliche Wendungen. Cuxhavens Erster Stadtrat Marcus Itjen nutzte die Gelegenheit, um über die enge Abstimmung mit dem Landkreis zu informieren. Schließlich plant dieser am selben Standort möglicherweise einen Neubau der Berufsbildenden Schulen (BBS). "Wir werden uns bei der Umsetzung der Baumaßnahme eng mit dem Landkreis Cuxhaven abstimmen, damit wir nicht in Konkurrenzsituationen kommen", versicherte Itjen.

Robert Babacé von den Grünen zeigte sich erfreut: "Wir haben lange genug darauf gewartet." Noch mehr freue ihn aber "die enge Abstimmung mit dem Landkreis". Und so sollte auch Ratspolitik und Kreispolitik funktionieren. Auch SPD-Ratsherr Volker Kosch begrüßte den Beschluss "mit großer Freude", gehe er doch auf eine Initiative von Bürgermeister Marc Gerdes zurück, "in Absprache mit der Errichtung einer behindertengerechten WC-Anlage und dem Vorsitz des Inklusionsbeirates des Landkreises".

Im Nebel verhüllt, aber nicht zu übersehen: Die in die Jahre gekommene WC-Anlage am Wochenmarktplatz zeigt deutliche Spuren von Vandalismus. Bald soll hier für rund 590.000 Euro ein moderner, barrierefreier Neubau entstehen. Foto: Potschka

Enak Ferlemann nutzte seinen Redebeitrag für ein Plädoyer für den Wochenmarkt: "Viele andere Städte wären stolz und froh, wenn sie so einen Wochenmarkt hätten mit der Vielfalt und der Qualität." Er warnte davor, bei künftigen Planungen die Interessen der Marktbeschicker zu vergessen: "Die dürfen da nicht unter die Räder kommen, weil die auch zum Teil davon leben."

FDP spricht von "Running Gag" und kritisiert Kosten

Deutliche Kritik kam von FDP-Ratsherrn Günter Wichert. Er erinnerte daran, dass er in den vergangenen Ratssitzungen immer wieder darauf hingewiesen habe, "dass in einer Region in zweieinhalb Jahren ein ganzes Pipi-Kackaland entstanden ist und wir innerhalb von vier Jahren noch nicht mal eine Toilette mit Barrierefreiheit bauen können". Die Kostensteigerung sehe er sehr kritisch: "Wir haben sie mal mit 320.000 Euro kalkuliert und jetzt sagen wir, dass dieses Toilettenhäuschen rund 600.000 Euro kosten wird." Seine Befürchtung: Mit dem Richtfest werde man "wahrscheinlich sogar die Million kratzen".

Die Photovoltaikanlage und die Fahrradladestation bezeichnete Wichert als "luxuriösen Schnickschnack, den wir uns überhaupt nicht leisten können". Primär müsse man "Barrierefreiheit und Menschenrechte finanzieren". Die FDP stimme dennoch zu, fordere aber: "Tempo machen und die Kosten im Blick behalten."

Robert Babacé ließ diese Kritik nicht unkommentiert stehen. Der Vorwurf des luxuriösen Schnickschnacks erwecke "wieder mal den Eindruck, als wenn diese Stadt ihr Geld herausschmeißt, auf Teufel komm raus". Ein modernes WC-Haus müsse "zukunftsweisend mit Photovoltaik, mit Fahrradanbindungen und Lademöglichkeiten" ausgestattet werden. Außerdem müsse es so gebaut werden, "dass Schäden durch Vandalismus relativ gering gehalten werden. Das verteuert die ganze Sache."

Kämmerer verteidigt Baustandards und Vergaberecht

Erster Stadtrat Marcus Itjen griff in die Debatte ein und stellte klar: "Wenn das jetzt nur eine reine Toilettenanlage wäre, würden wir diese Diskussion gar nicht führen." Er verwies darauf, dass die gesamte Stromversorgung für alle Wochenmarktstände über das Gebäude laufe: "Das heißt also, dass wir in diesem Gebäude auch die gesamte Elektrik für den Wochenmarkt sicherstellen müssen."

Eine Trafostation im Gebäude führe zu erhöhten Anforderungen im Brandschutz. Wer die Kosten nicht nachvollziehen könne, dem riet Itjen: "Setzen Sie sich gerne dafür ein, dass das Vergaberecht in Deutschland endlich mal angepasst wird, damit man auch in solchen Bereichen schneller wird."

Die Finanzierung des Mehrbedarfs von 270.000 Euro erfolgt laut Beschlussvorlage aus zwei Töpfen: 75.000 Euro aus dem Produktkonto für Wirtschaftsförderung und 195.000 Euro aus Mitteln für Photovoltaik-Anlagen auf städtischen Gebäuden, die erst 2026 benötigt werden.

Bei zwei Enthaltungen stimmte der Rat dem Beschluss mehrheitlich zu. Ratsvorsitzender Michael Stobbe konnte damit ein Kapitel abschließen, das die Cuxhavener Kommunalpolitik seit 2022 beschäftigt hatte. Bis zur Fertigstellung werden sich Marktbesucher und Menschen mit Beeinträchtigungen allerdings noch gedulden müssen. Die Stadtverwaltung geht davon aus, dass die Bauarbeiten 2026 beginnen können.

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Jens Potschka

Redakteur
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

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