Im Januar 2024 erlebt Janssens Tanzpalast einen seiner besucherstärksten Abende – später taucht der Auftritt von Haftbefehl in der Netflix-Doku „Babo – Die Haftbefehl-Story“ auf. Foto: Janssens Tanzpalast
Im Januar 2024 erlebt Janssens Tanzpalast einen seiner besucherstärksten Abende – später taucht der Auftritt von Haftbefehl in der Netflix-Doku „Babo – Die Haftbefehl-Story“ auf. Foto: Janssens Tanzpalast
Gäste und Team erinnern sich

Rapper Haftbefehl live in Cuxhaven: Neue Netflix-Doku zeigt Auftritt in anderem Licht

von Tamina Francke | 17.11.2025

Als Haftbefehl 2024 im Janssens Tanzpalast in Lüdingworth auftritt, erlebt Cuxhaven einen ausgelassenen Clubabend - seine neue Netflix-Doku lässt Gäste und Menschen hinter den Kulissen neu darauf blicken, wie es dem Rapper damals wirklich ging.

An jenem Abend im Januar 2024 wirkt im Janssens Tanzpalast in Lüdingworth zunächst alles wie ein großer Erfolg: Der Club ist rappelvoll, viele Gäste sind aus ganz Norddeutschland angereist, die Stimmung ist ausgelassen. Die Vorfreude auf Haftbefehl ist spürbar, erinnern sich die Betreiber. "Der Abend war einer unserer besucherstärksten Events überhaupt. Die Atmosphäre war von Beginn an sehr ausgelassen", weiß die Familie Janßen. "Man hat sofort gemerkt, wie groß die Vorfreude auf den Auftritt war, sowohl innerhalb des Teams als auch unter den Gästen."

Der Mensch hinter der Rapfigur Haftbefehl

Dass dieser Abend später Teil einer der meistdiskutierten Netflix-Dokumentationen des Jahres 2025 sein würde, ahnt damals niemand. "Babo - Die Haftbefehl-Story" führt aktuell die Netflix-Charts in Deutschland, Österreich und der Schweiz an - und zeigt einen Künstler, der zu diesem Zeitpunkt bereits schwer angeschlagen ist.

Der Film erzählt das Leben von Aykut Anhan, 39, Sohn kurdisch-türkischstämmiger Eltern aus Offenbach am Main, der unter dem Namen Haftbefehl den deutschsprachigen Rap geprägt hat wie kaum ein anderer. Viele junge Menschen mit Migrationshintergrund sahen in ihm den wichtigsten Musiker Deutschlands, weil er ihr Leben, ihre Straße und ihre Sprache auf die große Bühne holte.

Netflix-Doku gibt dem Clubabend eine neue Bedeutung

Doch die Doku zeigt keinen unantastbaren Star, sondern einen tief verletzlichen Menschen. Sein Vater beging Selbstmord, Anhan konsumierte mit 13 Jahren zum ersten Mal Kokain, 25 Jahre später ist sein Körper gezeichnet von jahrzehntelanger Abhängigkeit. In der Doku sitzt er mit zerstörter Nase da, stöhnend, keuchend, erschöpft. Er betont immer wieder, dass es ihm darum gehe, die Wahrheit abzubilden. Diese Wahrheit ist schwer auszuhalten. Und doch wird die Produktion für ihre schonungslose Ehrlichkeit gelobt - sie zeigt keinen verklärten Popstar, sondern einen Menschen, der an Trauma, Ruhm, Drogen und Depressionen fast zerbricht.

Haftbefehl auf der Bühne in Janssens Tanzpalast: Erst die Netflix-Doku zeigt, wie "extrem abgekämpft" der Rapper an diesem Abend wirklich war. Foto: Janssens Tanzpalast

Erinnerungen an einen sichtlich angeschlagenen Künstler

Für viele Zuschauerinnen und Zuschauer im Norden erhält die Dokumentation einen unerwarteten regionalen Bezug. Immer wieder sind Aufnahmen von Konzerten zu sehen, bei denen Haftbefehl sichtbar gezeichnet wirkt. Unter diesen Szenen ist auch sein Auftritt im Janssens Tanzpalast. Bereits lange vor der Doku hatten einzelne Gäste den Abend in Erinnerung behalten. Lisann Maria Kraft aus Cuxhaven erzählt: "Der war nur für ein paar Songs auf der Bühne und sah total abgekämpft aus. Auch aus den hinteren Reihen sah man ihm deutlich an: entweder zu viele Drogen oder zu betrunken."

Was die Gäste nicht sehen - und die Kameras später zeigen

Was die Gäste im Halbdunkel des Clubs nicht bemerken, zeigt später der Film: Haftbefehl zieht sich während der Show hinter LED-Leuchten zurück, um abzuhusten, lehnt den Kopf gegen die Wand und blickt starr ins Nichts. Die Bilder lassen ihn wirken, als sei er an seiner Belastungsgrenze. Lisann Maria Kraft findet rückblickend: "Eigentlich furchtbar zu sehen, dass man ihn in dem Moment so abgefeiert hat und Spaß hatte, während er zu dieser Zeit eigentlich lebensmüde und dermaßen suchtkrank war."

Das Team des Janssens Tanzpalastes blickt heute ebenfalls anders auf Details des Abends. Sie haben Haftbefehl nicht als abgehobenen Star erlebt, sondern als nahbaren, interessierten Gast. "Bei großen Acts ist unser Team im Vorfeld natürlich angespannt, da man nie weiß, wie der Künstler gelaunt ist oder wie er sich im Club fühlt. Doch bereits kurz nach seiner Ankunft war klar, dass Haftbefehl ein respektvoller und sehr sympathischer Mensch ist", heißt es. "Dabei hat er sich nicht als Haftbefehl vorgestellt, sondern direkt mit seinem Vornamen Aykut." Er sei interessiert gewesen, habe Fragen zur 57-jährigen Geschichte der Diskothek gestellt und die Kegelbahn ausprobieren wollen.

Für die Familie Janßen bleibt der Auftritt ein "sehr erfolgreicher" Abend. Foto: Janssens Tanzpalast

Warnsignale, die erst im Nachhinein Gewicht bekommen

Der Backstage-Bereich sei geprägt gewesen von seiner Präsenz: "Er zieht automatisch Aufmerksamkeit auf sich - sowohl durch seine Art zu sprechen als auch durch seine Erscheinung." Die Show selbst verlief professionell, getragen von einem großen Team. "Die Gäste waren sichtlich euphorisch", berichtet die Familie Janßen. Haftbefehl blieb auch nach dem Auftritt noch lange im Club, sprach mit Fans und posierte für Fotos.

Dennoch gab es Signale, die im laufenden Betrieb eher als Randnotizen wahrgenommen wurden - und erst durch die Doku schwerer wiegen. "Auffällig war an diesem Abend, dass seine Stimme stark angeschlagen war. Auf der Bühne musste er eine kurze Pause einlegen und ein bis zwei Songs wurden von einem Kollegen übernommen. Das deckt sich mit der Doku, in der er betont, dass er Shows nicht ohne Grund absagt und seine Fans nicht enttäuschen möchte."

"Wussten, dass er kein 'typischer' Standardkünstler ist"

Die Familie Janßen hatte sich im Vorfeld mit der Geschichte und den vorherigen Auftritten des Rappers beschäftigt, auch mit einem bekannten Vorfall, bei dem er eine Show wegen seines Gesundheitszustands frühzeitig abbrechen musste: "Deshalb waren wir den gesamten Abend über aufmerksam und wussten, dass er kein 'typischer' Standardkünstler ist, sondern eine Person, die stark polarisiert und die in der Öffentlichkeit besonders beobachtet wird." Auch ein besonderes Detail blieb in Erinnerung: "Wie auch in der Doku erwähnt, fiel uns auf, dass er an dem Abend häufiger Nasenbluten hatte. Wir haben ihn natürlich bestmöglich unterstützt, wofür er auch sehr dankbar war. Er selbst machte daraus jedoch kein großes Thema und betonte, dass das bei ihm vorkomme. Ob er zu diesem Zeitpunkt noch konsumierte, war für uns natürlich nicht erkennbar, worüber wir auch nicht spekulieren wollen."

Der Club tobt, der Künstler kämpft: Während das Publikum den Moment feiert, wirkt Haftbefehl bereits "total abgekämpft" - eine Diskrepanz, die vielen erst nach der Doku bewusst wird. Foto: Janssens Tanzpalast

Der Auftritt als Vorbote einer Kippstelle

In der Dokumentation erscheint der Auftritt im Janssens Tanzpalast wie einer der letzten öffentlichen Momente vor einer entscheidenden Kippstelle. Kurz darauf folgt eine inzwischen viel diskutierte Hotelszene, in der Haftbefehl wirr spricht und mit einem unsichtbaren Gegner zu kämpfen scheint. Die Worte "Raus! […] Bitte, Allah, vernichte diese Dämonen" markieren in der Doku einen Wendepunkt. Die schonungslose Szene empfinden manche als schamlos, andere halten sie gerade deshalb für wichtig - weil sie sichtbar macht, wie weit jemand in der Sucht geraten kann. Am Ende steht die Entscheidung seines Bruders, ihn in eine Klinik in der Türkei einweisen zu lassen.

Dass die Doku eine solche gesellschaftliche Debatte auslöst, zeigt sich auch an Reaktionen aus der Politik. Gleichzeitig wird darüber gestritten, ob man einem Menschen beim Verfall zuschauen darf, ob der Film zu weit geht - oder ob genau diese Härte ihn zu einem Mahnmal gegen Drogenmissbrauch macht.

Cuxhaven blickt anders auf den Auftritt zurück

Für Cuxhaven bleibt der Auftritt ein besonderer Abend - heute jedoch in einem anderen Licht. "Aus heutiger Sicht können wir sagen, dass der Abend sehr erfolgreich war und unserem gesamten Team und unseren Gästen sehr viel Spaß bereitet hat", sagt die Familie Janßen. "Viele Gäste haben uns im Nachhinein bestätigt, wie besonders dieser Auftritt für sie war." Die Doku macht nun sichtbar, dass dieser besondere Abend auch Teil einer Phase war, in der der Künstler stark angeschlagen war.

Unterdessen ist Haftbefehl wieder auf die Bühne zurückgekehrt. In Osnabrück absolvierte er sein erstes Konzert nach Veröffentlichung der Netflix-Doku und sagte dort zu den Fans: "Ich bin clean." Einen Tag später trat er in Gießen erneut auf, brach den Auftritt jedoch nach rund 15 Minuten ab und verließ die Bühne wieder, wie ein dpa-Reporter berichtete.

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Tamina Francke

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

tfrancke@no-spamcuxonline.de

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