Mut zum Wildwuchs: Wie ein Cuxhavener Lehrer die Stadt noch lebenswerter machen will
Was der Stadt Cuxhaven oft als Versäumnis vorgehalten wird, möchte Martin Kliebe, Lehrer, Familienvater und Hobby-Imker, am liebsten noch viel häufiger sehen: Blühende Grünstreifen statt abgemähter Ödnis. Die Stadt sollte dafür werben, findet er.
Öffentliche Grünflächen werden seiner Ansicht nach in Cuxhaven noch viel zu selten ökologisch sinnvoll genutzt. Er jedenfalls freut sich über jeden ungemähten Grünstreifen und würde sich wünschen, dass die Stadt viel konsequenter als Klimabotschafter vorangehen würde.
In Minuten sind Nahrungsmittelvorräte für Wildbienen dahin
Zurzeit aber gelte - neben den noch schlimmeren Schottergärten - das Abmähen von Grünstreifen als modern. Viele Privatleute fühlten sich genötigt, manchmal auch durch Druck der Nachbarn, selbst die öffentlichen Flächen abseits ihrer Grundstücksgrenzen mit zu mähen. Neulich konnte er wieder verfolgen, wie einer Ernährungsquelle, an der eben noch die Insekten summten, in Minuten der Garaus gemacht wurde.
Häufiges Mähen fördert Austrocknung
Auch die von ihm betreute Bienen-AG des Amandus-Abendroth-Gymnasiums beobachte, dass noch immer große Flächen bereits ab dem Frühjahr mit hohem materiellen, personellen und kostenintensiven Aufwand regelmäßig und in kurzen Intervallen abgemäht würden. Das führe auch noch dazu, dass die Flächen schneller austrockneten und traurig anzusehen seien.
Mit richtiger Kampagne Verständnis erzeugen
Zwar sei im Klimaschutzkonzept der Stadt die Förderung klimafreundlicher Flächen und des Pflanzen- und Artenreichtums verankert, aber die große öffentliche Solidarität fehlt Martin Kliebe. Er kennt andere Beispiele. In der Stadt Kassel oder in der Zugspitzregion beispielsweise träten die Kommunen mit großen Aufklärungskampagnen und aktiv als Impulsgeber an die Öffentlichkeit und erhielten so großen Zuspruch aus der Bevölkerung.
"Artenschutz bedeutet, häufiger die Beine hochlegen zu können"
All diese Anregungen hat Martin Kliebe an die Stadt herangetragen. Parallel ist er selbst aktiv, nicht nur als Imker im eigenen Garten. Ein charmantes Argument: "Artenschutz bedeutet auch, mal die Beine hochlegen zu können", grinst Martin Kliebe. Vor allem aber gehe es um unser aller Lebensgrundlage: Wenn die Wildbienen als wichtigste Bestäuber ausfielen, sähe es düster aus für die Nahrungsmittelvielfalt. Aber gerade der Radius der Wildbienen sei besonders klein: "Im Umkreis von 250 bis 300 Meter um sie herum muss es blühen, sonst sterben sie", so der junge Imker.
In der AWO-Kita Rudolf-Kinau-Weg hat er als Kita-Vater offene Türen eingerannt. Die Kita gehe den Weg inzwischen konsequent, erzählt Leiterin Petra Nette, und nehme dafür auch ungemähte Flächen rund um den Neubau in Kauf, bewusst natürlich.
"Bienenland" steckt voller Entdeckungen
"Bienenland" steht auf einem aus Astscheiben gebastelten Schild, hinter dem es blüht und summt. Auf dem Streifen, der vor rund zwei Jahren als ganz normaler Rasen angesät und irgendwann nicht mehr gemäht worden ist, blüht und brummt es, seltene Steinhummeln bedienen sich am Hasenklee, Trichterwindenblüten leuchten weiß hervor.
"Ein Paradebeispiel für Flächengestaltung"
In der Mitte herrscht reger Flugbetrieb um einen von den Kindern bemalten Bienenstock; weiter hinten liegt ein Totholzhaufen. Überall dazwischen haben heimische Sträucher Platz, sich auszubreiten. In anderen Ecken gibt es Apfelbäume, Brombeersträucher und weitere Blühstreifen zu entdecken. "Ein Paradebeispiel für Flächengestaltung", finden Petra Nette und Erzieherin Svenja Arndt, die sich diesem Schwerpunkt verschrieben hat: "Wenig pflegeintensiv und gleichzeitig gibt es unfassbar viel zu beobachten. Wir leben hier zusammen mit der Natur."
Ahrtal-Katastrophe hat einen Anstoß gegeben
"Besonders bewusst hat es bei uns mit der Ahrtalkatastrophe angefangen", erzählt Petra Nette. "Wir haben das als Aufgabe verstanden, im Kleinen etwas zu verändern und ein Umdenken zu fördern." Auch die Eltern erhielten hier Anregungen - "ohne zu belehren", betont die Kita-Leiterin.
Kinder erleben Bienenzucht ganz nah
Unterdessen hat Martin Kliebe Kräuter entzündet, deren Rauch die Bienen gleich besänftigen sollen. Er verteilt Imkerhüte mit Schleier an die Kinder und setzt sich selbst einen auf. Denn heute sollen die Bienen in der Bienenbeute (dem besiedelten Bienenstock; den Schwarm hat Martin Kliebe an der Süderwisch-Schule eingefangen) nochmal ein bisschen Nahrung erhalten. Gleich bei der ersten Wabe, die er herauszieht, erwischt er die Königin mit, die Kinder erkennen sie im Gewimmel sofort an ihrem roten Punkt. "Die Kita-Königin! - aber das bis du doch", sagen sie und zeigen auf Petra Nette. "Ne, ne", winkt diese lachend ab.
Sensibler für die Natur und für sich
Vielmehr weist sie darauf hin, was dieses Projekt mit den Kindern gemacht habe: "Wir gehen nicht ins Wochenende, bevor die Bienen einen Wasservorrat hingestellt bekommen haben." Die Kinder seien nicht nur sensibler für die Natur, sondern auch für die eigene Selbstwahrnehmung, zum Beispiel beim Gefühl für laut oder leise. "Kinder sind total unvoreingenommen", das fasziniert Martin Kliebe. Und auch die Eltern seien viel offener geworden.
Bienen-AG bietet Hilfe an
Auch die Bienen-AG des AAG hat der Stadt ihre Hilfe angeboten und würde zum Beispiel gern ein Wildbienenhotel im neuen Wasserturmpark betreiben, um so mehr öffentliches Bewusstsein zu schaffen. "Die Schülerinnen und Schüler würden sich auch anderweitig gerne aktiv an der Stadtentwicklung beteiligen", versichert Martin Kliebe. Eine Antwort steht noch aus.
Neue Impulse verspricht Kliebe sich von einem Austausch mit dem Umweltausschussvorsitzenden Johannes Sattinger (Die Grünen) - und gerne auch mit den Verantwortlichen im Rathaus.


