
In Cuxhaven und Land Hadeln LichterglLanz 25
GEBURTSSTUNDE VON ZWEI ADVENTSBRÄUCHEN
MIT GEDULD, WARTEN
UND HOFFNUNG LEBEN
AAls Johann Hinrich Wichern am 1. Dezember 1838 im Hamburger
Rauen Haus, einem „Rettungshaus” für verwahrloste
und verwaiste Hamburger Kinder und Jugendliche, einen
riesigen runden Leuchter mit 24 Kerzen aufhing, ahnte er noch nicht,
dass das die Geburtsstunde von gleich zwei Bräuchen war, die heute
nicht mehr aus dem Advent wegzudenken sind: der Adventskranz
und der Adventskalender. „Beide Bräuche dienen dazu, den Kindern
die Adventszeit plastisch vor Augen zu führen. Sie sollen lernen, dass
Geduld, Warten und Hoffnung zum Leben dazugehören”, erklärt
Volkskundlerin Christiane Cantauw.
Adventskalender
Auf dem Weg vom Riesenleuchter zum heutigen Schokokalender oder
gefüllten Stiefelchen an der Schnur gab es im 19. und 20. Jahrhundert
viele Formen von Adventskalendern, die mit dem heutigen wenig zu
tun haben. So stellten viele evangelische Familien für die Kinder ein
Adventsbäumchen auf, an das jeden Tag Zettel mit den Weissagungen
der Propheten aus der Bibel gehängt wurde, die die Kinder auswendig
lernen sollten. „In katholischen Kreisen war eher der Brauch des
Strohhalmsteckens verbreitet: Kinder die artig waren, durften jeden Tag
einen Strohhalm in die noch leere Krippe legen, um es dem Jesuskind
bis zum Weihnachtsfest weich und gemütlich zu machen.”
Frühe Formen von Adventskalendern waren auch Strichkalender, bei
denen die Kinder jeden Tag einen Kreidestrich weggewischt haben,
oder selbstgemachte Abreißkalender, von denen bereits Thomas Mann
in den „Buddenbrocks” berichtet hat. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts
wurden im bayerischen Verlag Reichhold & Lang die ersten gedruckten
Adventskalender herausgegeben. Sie bildeten den Anfang einer wahren
Flut von Druckerzeugnissen, deren Bandbreite vor allem seit den 1920er
Jahren schier unüberschaubar ist: Hänge- und Wandkalender, Leporellos,
Kalender in Form von Hampelmännern, von Uhren oder in Form
von Leitern (Himmelsleiter), Adventsbücher, Adventspuzzels, singende
Adventskalender, Kalender zum Selberbestücken und dreidimensionale
Kalender – um nur einige zu nennen.
Adventskranz
Der Adventskranz mit seinen vier Kerzen, die symbolisch für die vier
Adventssonntage stehen, ist eine reduzierte Form des Adventsleuchters
aus dem Rauen Haus in Hamburg. Er verbreitete sich von den evangelisch
bürgerlichen Schichten ausgehend seit den 1920er Jahren nach
und nach auch in katholischen Kreisen, wobei vor allem die Lehrer wesentlich
zu seiner Bekanntheit beitrugen. In der Schule wurde er unter
der Decke aufgehängt, beim Beginn des Unterrichts die entsprechende
Zahl der Kerzen angezündet und dabei ein Adventslied gesungen.
Anfangs wurden die Adventskränze in den Familien noch selbst
gewunden, doch schon bald nahmen sich die Gärtner des neuen
Brauchtums an, indem sie fertige Kränze fürs Haus anboten. Die
Gestaltung des Kranzes bestand aus Fichten- oder Tannengrün, roten
Kerzen und roten Bänder. Die Kränze hängte man entweder an einen
Der Adventskranz weist uns
den Weg zum Weihnachtsfest.
Deckenbalken oder
an einen Ständer,
teilweise wurden
sie auch auf den Tisch gelegt. Beim Entzünden der Kerzen sang man
vielerorts Weihnachtslieder aus den Gesangbüchern.
Sinnzusammenhänge
Foto: red
Die religiös-christlichen Sinnzusammenhänge der Bräuche Adventskranz
und Adventskalender treten nicht erst seit kürzerer Zeit
gegenüber anderen Funktionen merklich in den Hintergrund: „Bereits
im 19. Jahrhundert lässt sich die Tendenz beobachten, dass das materielle
Geschenk immer mehr in den Vordergrund rückte. In Form der
mit kleinen Geschenken bestückten Adventskalender wurde im Laufe
des 20. Jahrhunderts dann ein Teil der Weihnachtsbescherung bereits
vorweggenommen”, so Cantauw. In der Zeit des Nationalsozialismus
geriet die religiös-spirituelle Bedeutung von Adventskalendern und
Adventskränzen dann von einer ganz anderen Seite aus unter Druck:
„Die Nationalsozialisten haben sich ganz bewusst darum bemüht,
den christlichen Charakter des Adventes durch andere Inhalte zu
ersetzen. So vermied man beispielsweise die Bezeichnung „Advent”,
die allzu deutlich auf christliche Glaubensinhalte anspielte. Ein
1942 erschienener Kalender mit dem Titel „Vorweihnachten” sollte
völkische und germanische Symbole und Bräuche etablieren und so
zur Vermittlung der NS-Ideologie betragen. lwl