
Autorin Uta Ruge über ihr neues Buch "Die Kühe, mein Neffe und ich"
Mit "Bauern, Land" feierte die Autorin Uta Ruge, aufgewachsen in Neubachenbruch, große Erfolge. Nun hat sie ein neues Buch geschrieben: "Die Kühe, mein Neffe und ich". Ein Interview zwischen Stall und Kuhweide.
Frau Ruge, wenn Sie sich aufmachen von der Großstadt Berlin nach Neubachenbruch, mit welchen Gefühlen kommen Sie hier an?
Mit guten Gefühlen. Ich freue mich auf die Menschen. Das hat sich über die Jahre sicherlich verändert. Mein Vater ist inzwischen schon einige Jahre tot. Jetzt besuche ich die junge Familie.
Wenn Sie an Ihre Kindheit auf dem Bauernhof zurückdenken, an welchen Geruch erinnern Sie sich?
Ich erinnere mich noch sehr genau an die verschiedenen Mistsorten. Hühnermist riecht anders als Kuhmist. Oh, wie ich das gehasst habe, den Hühnerstall ausmisten zu müssen. Dann gab es natürlich noch die Erdgerüche. Beim Rübenhacken. Und dann das Heumachen: Heu ist für mich noch immer der schönste Geruch der Welt.
Würden Sie Ihre Kindheit als glücklich bezeichnen? Sie mussten ja auch ordentlich anpacken.
Es war superanstrengend. Im Rückblick ist die Kindheit fast immer schön, aber als Kinder empfanden wir fast alles, was wir tun mussten, als Zumutung. Manche Arbeiten mochte ich lieber als andere. Mit den Kühen hatte ich gern zu tun, mit den Schweinen weniger. Draußen zu sein, war gut. Im Haus habe ich nicht so gern gearbeitet. Aber das gehörte auch dazu: das Rupfen, das Enten-Ausnehmen.
Wann ist bei Ihnen der Wunsch entstanden, in die Stadt zu gehen?
Den Wunsch gab es schon immer. Wenn Sie als Bauernmädchen einen Bruder haben, dann wachsen Sie mit dem Wissen auf, dass der Bruder den Hof irgendwann übernimmt. Wollte ich weg? Das war überhaupt keine Frage. Ich musste weg! Das ist heute anders. Viele junge Frauen werden Landwirtinnen. Früher war es so: Wenn man Bäuerin werden wollte, dann hat man einen Landwirt geheiratet.
Könnten Sie sich vorstellen, zurück aufs Land zu ziehen?
Vielleicht, wenn ich uralt bin...
Sie fühlen sich in Berlin pudelwohl?
Ich fühle mich dort mit den Menschen, mit den Freunden wohl, aber auch mit der Beruflichkeit, die dort möglich ist. Ich brauche die Museen, die Archive, die Bibliotheken. Ich will weitermachen, schreiben, recherchieren. Ich glaube, das nächste Buch geht in die Stadt. Der Weg vom Land in die Stadt - um dieses Thema kreise ich gerade.
Am 17. August erscheint Ihr neues Buch "Die Kühe, mein Neffe und ich". Wie sind Sie auf das Thema Kühe gekommen?
Die Viehhaltung steht ja extrem in der Kritik. Mir war es wichtig, anhand der Rinder deutlich zu machen, welche Grundlagen für unsere Kultur mit der Viehhaltung geschaffen wurden. Die Geschichte der Viehhaltung ist ja auch eine des Wohlstands. So wie die Dinge stehen, halte ich es durchaus für möglich, dass die Viehhaltung aus unseren Breiten bald verschwindet. Für das Buch habe ich mich gefragt, welche Kulturgrundlagen denn da verschwinden, wenn die Rinder verschwinden. Ich habe mich aufgemacht, genau das zu erforschen.
Sie sagen, dass die Viehhaltung verschwindet. Zeichnen Sie da nicht ein sehr düsteres, pessimistisches Bild?
Pessimistisch - das sagen Sie. Andere würden möglicherweise sagen: optimistisch. Die fänden es wunderbar, wenn wir kein Fleisch mehr essen und den Boden für etwas anderes nutzen oder "der Natur zurückgeben", wie es heute genannt wird. Verboten wird die Viehhaltung sicherlich nicht. Aber sie so wird stark reguliert, dass immer mehr Landwirte aufgeben.
Wo stehen Sie selbst in der Frage der Viehhaltung?
Ich stehe dort, wo ein Journalist oder eine Journalistin zu stehen hat: Ich berichte, ich frage nach und ich befrage mich auch selbst. Ich habe mich zum Beispiel damit beschäftigt, wie wir es als Kinder geschafft haben, mit der Nähe zu Tieren zu leben aber gleichzeitig zu lernen, Distanz zu halten, uns mit ihnen nicht zu verwechseln. Tiere sind keine Menschen. Wir Kinder sind mit dieser Ambivalenz groß geworden - mit der Fürsorge, aber auch mit der Gewalt, also mit dem Schlachten.
Sie beschreiben in Ihrem Buch eindrucksvoll, wie die Technik Einzug hält in den Kuhstall. Roboter übernehmen viele Arbeiten. Macht Ihnen das nicht auch ein bisschen Angst?
Früher hätte mir das Angst gemacht. Inzwischen finde ich das merkwürdig beruhigend, wenn die schwere Arbeit von Robotern heinzelmännchengleich erledigt wird. Das ist höchst interessant, wie die Tiere mit den Maschinen klarkommen. Sie gewöhnen sich sehr schnell daran, reagieren darauf. Wenn der Futterroboter kommt, gehen die Kühe von weiter weg an den Futtertisch, weil sie wissen: Es gibt frisches Futter. Dass es auch anders geht, habe ich in einem 1750-Kühe-Betrieb in Mecklenburg erlebt. Dort gibt es keinen Futterroboter, auch keinen Melkroboter. Das wird alles von Menschen aus Osteuropa im Drei-Schicht-Betrieb gemacht.
Im kollektiven Bewusstsein ist die Kuh immer noch ein glockenbehangenes Geschöpf, das auf hochalpinen Wiesen weidet, im Einklang mit der Natur und in Symbiose mit dem Menschen. Müssen wir uns von diesem Bild verabschieden?
Ich hoffe sehr, dass die Almbetriebe weiter existieren können. Sehr häufig handelt es sich um Traditionsbetriebe, die während des Winters im Dorf die Kühe anbinden. Die Anbindehaltung soll verboten werden. Das heißt: Wenn diese Landwirte es nicht schaffen, Laufställe für den Winter zu bauen, dann werden auch die Almbetriebe aufgeben müssen. Wofür brauchen wir die Almbetriebe, außer für unser Bild von der schönen, glockenbehangenen Kuh? Tatsächlich ist die Artenvielfalt auf den Almen so groß, weil dort Kühe weiden. Das ist der berühmte "Tritt, Biss und Mist". Deshalb gibt es die wunderschönen, mit Kräutern und Gräsern bewachsenen Almwiesen und die entsprechenden Insekten und Vögel.
Sie sind für Ihr Buch tief in die Kulturgeschichte der Viehhaltung abgetaucht, haben viel gelesen und recherchiert. Welche Erkenntnis hat Sie am meisten überrascht?
Dass die Sahara einmal fruchtbar war und dass es dort die ersten Herden domestizierter Rinder gegeben hat, das hat mich wirklich umgehauen. Das war in einer Zeit, als hier bei uns noch die Eiszeit herrschte. Es waren wahnsinnig schöne Kühe, wie man auf alten Darstellungen, die in die Felsen geritzt sind, sehen kann.
Poesie, Mythen, Religion - die Kuh taucht immer auf. Was macht die Kuh so romantisch und so bedeutsam im Vergleich zum Schwein?
Die großen Wiederkäuer haben uns die Kultur ermöglicht. Das Entscheidende dabei ist aber nicht die Milch, nicht das Fleisch, es ist die Zugkraft der Kühe und Ochsen. Sie haben dafür gesorgt, dass der Weizen angebaut wurde und dass viele Menschen davon leben konnten. Das war die kulturelle Tat der Rinder. Es bei den Ägyptern wunderbare Darstellungen von pflügenden Rindern. Außerdem haben die Kühe als wandernde Herden die Menschen zum Wasser geführt, dorthin, wo Gras war. Das Schwein ist kurzlebig. Und Schweine wühlen im Dreck, deshalb gelten sie in mancher Religion sogar als unrein.