
Aue kippt immer wieder um, Fische sterben in Massen: Jetzt soll KI die Lösung bringen
Was hat "Künstliche Intelligenz" (KI) mit der Aue im Landkreis Cuxhaven zu tun? Auf den ersten Blick gar nichts. Doch das täuscht: KI kann eine Lösung für belastete Ökosysteme sein. Es geht um die Zukunft des Gewässers.
Die Aue mäandert seit Jahrhunderten durch die Region unweit der Oste. Es gibt nur wenige gerade Abschnitte in ihrem knapp 20 Kilometer langen Verlauf, dafür aber viele Kurven, noch mehr Zuflüsse kleiner Gräben und eine eher gemächliche Fließgeschwindigkeit. Idyllisch plätschert der kleine Fluss dahin? Von wegen: Immer wieder kippt das Gewässer ökologisch um, der Sauerstoffgehalt sinkt bedrohlich, Fische sterben in Massen. Woran liegt's? Das ist nicht ganz klar oder umstritten. Ebenso wenig gibt es ein Konzept, um das Problem zu lösen. Doch das soll sich ändern - und zwar durch "Künstliche Intelligenz" (KI).
Elke Freimuth hat sie alle zusammengetrommelt: den Sprecher der Landeigentümer in einem 5000 Hektar großen Einzugsgebiet der Aue, Angler, Wissenschaftler, den Geschäftsführer des Unterhaltungsverbandes, den Neuhäuser Bürgermeister und dessen Stellvertreter. Und auch ein Ingenieur sitzt im historischen Kornspeicher in Neuhaus mit am eckigen Tisch, der eigentlich auch rund sein könnte. Denn: An diesem Dienstagvormittag wird auf Augenhöhe über ein Projekt geredet, von dem sich alle Seiten etwas versprechen. Ein Projekt, das, falls es die Erwartungen erfüllt, auch Modellcharakter für andere Regionen im In- und Ausland haben könnte, in denen es Probleme gibt, Gewässer in ein gesundes Gleichgewicht zu bringen.

Wenig Sauerstoff, viele Nährstoffe
Es sind schon viele Einzelgespräche geführt worden, um aufzuzeigen, dass es in puncto Aue-Revitalisierung eine reelle Chance gibt und gleichzeitig alle Projektpartner davon profitieren. Die Schlüsselrolle spielt dabei die KI. "Es ist kein Geheimnis, dass wir es mit einer Kombination aus schlechter Gewässerqualität, wenig Sauerstoff und hohen Nährstofffrachten zu tun haben", sagt Sören Krebs. Er ist hauptberuflich Ingenieur und Emissionsgutachter, engagiert sich aber in seiner Freizeit für das Projekt, das die Bezeichnung "Fluss-Naturierung durch Künstliche Intelligenz" ("FlunaKI") trägt. Die Entwässerung in der Aue-Region funktioniert dort nur durch Schöpf- und Pumpwerke, die vom Unterhaltungsverband Untere Oste schon seit etlichen Jahren automatisch und nicht mehr per Hand betrieben werden.

Diffuse Einträge als Belastung
Aber langt das? Kann es langfristig tatsächlich ausreichen angesichts der zum Teil gravierenden Belastungen, die nach Darstellung von Prof. Dr. Gerd Liebezeit (wissenschaftlicher Berater) auf das System einwirken? Liebezeit spricht von diffusen Belastungen des Wassers, die unter anderem durch Düngereinsatz, die natürliche Bodenbeschaffenheit und auch durch die Luft in Form von Regen Wirkung zeigen. Regen? Ja, so Liebezeit, denn vielfach sei der Regen nämlich durch Ammoniak-Einträge aus dem Bereich Vechta belastet. Dies sei auch wissenschaftlich nachweisbar. Man könne den vor Ort wirtschaftenden Landwirten daher nicht für alles die Schuld für die Probleme der Aue in die Schuhe schieben, sondern es handele sich um unterschiedliche Faktoren.
Aber was kann KI bewirken? An der Aue und den Zuläufen sollen möglichst engmaschig Sensoren installiert werden, um dann die Analysedaten auszuwerten und frühzeitig zu erkennen, wann es schädliche Systembelastungen - und vor allen Dingen wo - gibt. Elke Freimuth spricht von einem "Frühwarnsystem". Dazu müssten - so Liebezeit - aber wesentlich häufiger als bisher Analysen vorgenommen werden, durch die die KI lerne und letzten Endes es schaffe, Zusammenhänge zu deuten und darauf zu reagieren. Denkt man die Vorgehensweise stringent zu Ende, könnten Schöpfwerke künftig komplett über KI gesteuert werden und so helfen, bei schweren oder sich anbahnenden Belastungssituationen für das Gewässer einzugreifen.

Kostenersparnis auch für den Verband?
Verbandsgeschäftsführer Thorsten Ratzke steht dieser Vision prinzipiell nicht ablehnend gegenüber, aber er ist noch vorsichtig mit Aussagen, ob die Künstliche Intelligenz tatsächlich in der Praxis so zum Einsatz kommen könnte. Je enger ein Überwachungsnetz jedoch sei und auch besonders nachhaltige Schadstoffeinträge lokalisiert werden könnten, umso besser. Und je abgestimmter der Einsatz der Pump- und Schöpfwerke erfolge, desto höher sei auch die Kostenersparnis für den Verband: "Die Ausgaben für unsere rund 150 Anlagen belaufen sich jetzt bereits auf rund 1,8 Millionen Euro jährlich."

Hoffnung auf "Leuchtturmprojekt"
Elke Freimuth ist zuversichtlich, dass es nicht nur bei der Theorie mit Blick auf "FlunaKI" bleibt. Ihren Optimismus nimmt sie nicht zuletzt aus den Reaktionen des Bundesumweltministeriums. So bestehe die reelle Chance, dass das ambitionierte Vorhaben finanziell mit Hardware und durch eine wissenschaftliche Begleitung vorangetrieben werde. Man habe es bereits geschafft, die erste Runde des sogenannten "KI-Leuchtturmprojektes" zu überstehen. Gibt es für "FlunaKI" den Zuschlag, steht eine Entscheidung über eine finanzielle Förderung Anfang kommenden Jahres an, sodass man dann im Jahresverlauf die ersten Praxiserfahrungen sammeln könne.
Ein Ziel dieser Initiative des Ministeriums ist es, durch innovative Lösungen Umweltprobleme mittels "Künstlicher Intelligenz" zu lösen und Initiativen sowie Organisationen in anderen Regionen einen Instrumentenkasten zu bieten. Bedarf ist vorhanden: Nach Liebezeits Angaben haben rund 90 Prozent der Binnengewässer mit Problemen zu kämpfen.