
Daniel E. Palu genießt "la dolce Vita" in Otterndorf
Daniel E. Palu ist Stadtschreiber 2023 in Otterndorf. Im vierten Kolumnenteil beschreibt der Schriftsteller seine italienischen Momente im Alltag.
"Wofür steht eigentlich das "E." in Ihrem Namen?", fragte neulich eine Dame auf dem Wochenmarkt zwischen Gemüse- und Obststand, mit reizendem Labrador zu ihren Füßen. "Gute Frage", antwortete ich. "Dahinter verbergen sich meine italienischen Wurzeln." Denn getauft wurde ich auf den Namen Daniele.
Nach jahrzehntelanger Verunglimpfung meines Vor- und Nachnamens ("Daniela Paul" ist noch eine der harmloseren Varianten, die ich einmal in der Zeitung unter einem Bild von mir fand), sah ich mit Beginn meiner Autorenlaufbahn die Chance für einen Neuanfang gekommen. Ich spaltete den letzten Buchstaben meines Vornamens ab und versah ihn mit einem Punkt. Geboren war der Krimiautor Daniel E. Palu.
Nichtsdestotrotz bin ich genetisch zu einhundert Prozent Italiener. Die Frage nach dem "woher?" beantworte ich aber stets wahrheitsgetreu: "aus Kassel". Die Mutter aus der sizilianischen Stadt Randazzo unweit des Ätna, mein Vater aus einem winzigen Dorf in der Nähe der Stadt Parma in Norditalien, haben sie sich - ausgerechnet - in einer italienischen Eisdiele im nordhessischen Kassel kennengelernt. Klischees sind einfach fürchterlich, aber am Ende zeigt sich, dass viele von ihnen wahr sind.
Als junger Erwachsener hegte ich kurzzeitig die Idee, von Italien aus als Korrespondent oder Übersetzer zu arbeiten. Aber Streiks, Korruption, die Unzuverlässigkeit des Nah- und Fernverkehrs belehrten mich schnell eines Besseren. Dass mittlerweile in Deutschland mehr gestreikt wird als Italien und es mit der Zuverlässigkeit von Lufthansa und Deutscher Bahn nicht zum Besten bestellt ist - geschenkt.
Aus Norddeutschland bekommen mich keine zehn Pferde mehr weg
Aus Norddeutschland bekommen mich heute keine zehn Pferde mehr weg. An Hamburg habe ich mein Herz verloren, als ich mit 16 zum ersten Mal dort zu Besuch war. Ins Alte Land verliebte ich mich bei einem Besuch während der Apfelblüte. In Hamburg lebe ich nun seit neunzehn Jahren, im Alten Land spielen meine Krimis. Und ich bin dabei, mein Herz ein drittes Mal zu verlieren: an die deutsche Nordseeküste. Hier habe ich meine neue Krimireihe angesiedelt. Und auch Otterndorf legt sich mächtig ins Zeug, mein Herz zu erobern. Trotzdem suche ich mir meine regelmäßige Dosis Italien, wo immer ich gerade lebe. In Hamburg ist es der Supermarkt "Andronaco", in dem es viele Produkte gibt, die ich noch aus meiner Kindheit von Verwandtschaftsbesuchen kenne - wie die Bonbons "Muh Muh", die meine norditalienische Oma Jolanda aus ihrer Schürze zauberte oder das Körperpuder meiner sizilianischen Oma Giovanna, dessen Geruch mich immer noch sentimental werden lässt.
Aber in Otterndorf? Italienische Lebenskunst dürfte hier, an der Elbmündung, schwer zu finden sein, mutmaßte ich, bevor ich hierherkam. Ich hätte mich nicht mehr irren können!
Dem süßen Nichtstun hingeben
Dem süßen Nichtstun "dolce far niente", dem süßen Nichtstun, geben sich jeden Tag tausende Touristen hin. Das Stracciatella-Eis bei "Dat Krämerhus" im Ferienpark schmeckt fast wie in Italien. Bei der Veranstaltung "Festival aufm Platz" Anfang Juni saß ich mit vielen Gleichgesinnten in der Sonne auf dem Kirchplatz, genoss die erzählerische und musikalische Reise in achtzig Tagen um die Welt und fühlte mich in den Süden katapultiert. Denn mit das Schönste an Italien sind für mich die unzähligen Feste in den Sommermonaten, in denen es immer irgendwo etwas zu feiern gibt. Auf den Dorfplätzen Italiens genießen glückliche Menschen Musik auf den Bühnen und frönen dem unbeschreiblichen Lebensgefühl, dass das Leben draußen unter freiem Himmel stattfindet.
Apropos Lebensgefühl: Vor kurzem hat das "Kommod" im Historischen Rathaus eröffnet. Die hochqualitativen Kaffeebohnen liefert das Johann-Jacobs-Haus in Bremen. Gebrüht werden sie im Kommood in einer italienischen "La Marzocco"-Siebträgermaschine(!) - und das Ergebnis ist ein Genuss. Noch italienischer als ein guter Espresso ist für mich aber der italienische Brauch des "Aperitivo". Zwischen Feierabend und Abendessen kommen zu dieser Gelegenheit Italienerinnen und Italiener zusammen, um einen Aperitif zu trinken.
Der soll, so heißt es, in geselliger Runde den Magen öffnen und auf ein reichhaltiges Abendessen vorbereiten. Wie die genussfreudigen Italiener nun einmal sind, werden schon zu dieser Gelegenheit kleine Snacks serviert. Sie können sich meine Überraschung und Begeisterung vorstellen, als genau das plötzlich auch in Otterndorf eine Option wurde. Der Aperitif "Liquid Sun" mit Wodka, Sekt, Pfirsich und Granatapfel, dazu der Brotkorb mit herrlichen Köstlichkeiten wie Manchego, geröstetem Brot und Oliven, noch dazu in der Abendsonne, auf einer historischen Piazza - mehr "Dolce Vita" geht nicht! In Anlehnung eines Spruchs von Hauptkommissar Gabriele Berlotti in meinem Kriminalroman "Mord zur Apfelblüte" kam mir bei dieser Gelegenheit in den Sinn: "Der Sommer, die erste Liebe und ein Aperitivo in Otterndorf stimmen selbst niedergeschlagene Menschen fröhlich."
Da ich ein Buch fertig zu schreiben habe, sind solche Unternehmungen leider eher die Ausnahme als die Regel. Was aber immer geht: sich Italien in die eigenen vier Wände zu holen. Es gibt so gute, italienische Romane, dass man ein Gefühl von Bella Italia haben kann, auch ohne den Fuß aus dem Haus zu setzen.
Italien in den eigenen vier Wänden geht immer
Ganz oben auf meinem Lesestapel liegen aktuell die Bände meiner beiden Lieblingskrimireihen, die - natürlich - beide in Italien spielen. "Bleich wie der Mond" ist der vierte Fall von Luca Ventura, der Krimis schreibt, wie ich sie liebe: mit bodenständigen Ermittlern, die in gesellschaftskritischen Fällen ermitteln, ohne zu brutal zu sein. Dass seine Reihe auf der wunderschönen Insel Capri spielt, die ich im Oktober zum ersten Mal bereisen werde, ist definitiv nicht von Nachteil. Während die Mafia bei Ventura bislang keine Rolle spielte, ist sie beim Autorenduo Wolfgang Schorlau und Claudio Caiolo allgegenwärtig. Denn Commissario Morello ist in Sizilien nicht mehr vor der Mafia sicher und wird in den verhassten Norden versetzt, ausgerechnet nach Venedig und muss sich in seinem dritten Fall mit "Falschen Freunden" herumschlagen.
Meinen deutschen aber sehr italophilen Onkel Uwe habe ich mit meiner Begeisterung jedenfalls schon angesteckt. Und wenn ich dann doch mal aus meinem Gartenhaus herauskomme, ruft mir mein Nachbar über den Gartenzaun gelegentlich ein gutgelauntes "Commissario!" zu. Wie könnte man sich in Otterndorf da nicht nach Italien versetzt fühlen? Bella Italia mitten in Otterndorf - geht doch!