
Deichbrand-Gründer und SPD-Politiker Daniel Schneider über seinen neuen Job
Daniel Schneider (SPD) schied nach der Wahl im Februar aus dem Bundestag aus. Jetzt hat der frühere Deichbrand-Organisator einen Job beim Thünen-Institut. Im Interview berichtet der Otterndorfer (48) über seine neue berufliche Herausforderung.
Herr Schneider, Hand aufs Herz: Wie oft haben Sie in den vergangenen Wochen und Monaten auf Phoenix die Bundestagsdebatten verfolgt?
Null mal. Teile von Debatten verfolge ich aber manchmal in den sozialen Medien und in den Nachrichten.
Ihre letzte Bundestagssitzung liegt fast auf den Tag genau acht Monate zurück. Wie sehr vermissen Sie das Reichstagsgebäude, die Bundestagskollegen und die Arbeit in den Fachausschüssen?
Nicht besonders. Ich bin da einigermaßen emotionslos, muss ich feststellen. Dafür ist mein Leben momentan insgesamt zu aufregend - familiär und jetzt auch wieder beruflich. Ich war in dieser Woche noch einmal in Berlin. Dort haben wir innerhalb der Landesgruppe Niedersachsen-Bremen nachträglich Abschied gefeiert. Das war ein wunderbarer Abschluss. Die Zeit im Bundestag war für mich eine schöne Zeit, aber es war auch schwierig. Wenn ich mir den neuen Bundestag anschaue, der deutlich nach rechts gerutscht ist mit einer stärkeren AfD und mit einer deutlich verkleinerten SPD-Fraktion, dann erinnere ich mich doch lieber an die guten Tage. Ich möchte mit den Abgeordneten heute aktuell nicht tauschen.
Was würden Sie als Höhepunkt Ihrer Zeit im Bundestag bezeichnen?
Gern erinnere ich mich noch an die erste Fraktionssitzung der SPD, die aufgrund der Corona-Bestimmungen nicht im Fraktionssaal, sondern im Plenarsaal abgehalten wurde. Dort kamen die alte und die neue Fraktion zusammen. Der ganze Plenarsaal war voll mit Sozialdemokraten und der noch nicht gewählte Kanzler hielt seine erste Rede. Dann haben mich einige Gedenkstunden und Gäste tief beeindruckt. Die "Schalte" mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wenige Tage nach dem Angriff auf die Ukraine war ein sehr besonderer Moment. Mein persönliches Highlight war sicherlich die erste öffentliche Sitzung des Parlamentskreises Meerespolitik. Da ist es uns gelungen, rund 120 Leute in einem großen Ausschusssaal zu versammeln.
Haben Sie vieles erreicht, was Sie erreichen wollten? Oder ist noch viel offengeblieben?
Na ja, grundsätzlich ist natürlich noch einiges offengeblieben, weil die Legislaturperiode einfach verkürzt war. Ich bin ohnehin der Meinung, dass die Wahlperioden zu kurz sind. Sie könnten wenigstens fünf Jahre haben. Und dennoch: Wir haben eine Menge erreicht, vor allem haben wir die Energiewende und damit den massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien vorangetrieben. Es ist uns gelungen, den Hafenausbau in Cuxhaven mit 100 Millionen von Bund mitzufinanzieren. Und wir haben am Ende der Legislatur noch das Sondervermögen Infrastruktur über 500 Milliarden Euro beschlossen. Diese wichtigen Zukunftsinvestitionen waren ja ein wesentlicher Aspekt meines Wahlkampfes. Denn während die Wahlgewinner ja felsenfest behauptet haben, dass das nicht kommt und nicht kommen darf, haben wir dafür gekämpft, dass es kommt, weil unser Land es braucht.
Bei der Wahl am 23. Februar mussten Sie sich Ihrem Mitbewerber Christoph Frauenpreiß knapp geschlagen geben. Wie sehr hadern Sie noch mit der Wahlniederlage?
Ich habe die knappe Wahlniederlage erst einmal als großes Lob und Bestätigung aufgefasst. So ist es mir auch in meinem direkten Umfeld eingeordnet worden. Denn wenn man betrachtet, dass es angesichts der Großwetterlage und des krassen Rechtsrucks dann doch noch so knapp geworden ist und die Unterstützung für meine Person doch sehr groß war, bin ich mit dem Wahlergebnis eigentlich grundsätzlich fein. Aber klar: Es ist politisch bitter, dass wir so viele Stimmen und das Direktmandat verloren haben.
Gab es nach dem Abschied aus dem Bundestag Überlegungen, zurück ins Musikevent-Geschäft zu gehen? Zurück zum Deichbrand?
Zurück zum Deichbrand-Festival zu gehen, sozusagen als "Notnagel", war für mich keine Option. Dafür ist das Festival operativ ein viel zu krasses Geschäft. Nach meinem Weggang wurde das Team entsprechend verstärkt und weiterentwickelt und leistet eine hervorragende Arbeit.
Seit einigen Wochen haben Sie einen neuen Job beim Thünen-Institut und sollen die Informations- und Koordinierungsstelle Transformation Fischerei aufbauen und leiten. Wie sind Sie an diesen Job gekommen?
Meine alte Kollegin Susanne Mittag, die agrar- und fischereipolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion der letzten Legislatur war, hat mir die Stellenausschreibung im späten Frühjahr geschickt und gesagt: "Hier, das wäre doch etwas für dich." Auf der Zugfahrt zur ersten nationalen Meereskonferenz habe ich meine Bewerbung geschrieben. Es gab ein sehr starkes Bewerberfeld. Ich habe es in die Endauswahl geschafft und mich dann schlussendlich durchgesetzt.
Der Job wirkt wie auf Sie zugeschnitten…
Im Nachhinein liest es sich tatsächlich so. Aber ich kann Ihnen versichern: Das ist alles akkurat, sauber und transparent konzipiert worden. Ich habe mich ganz regulär beworben.
Worum geht es konkret bei dieser Informations- und Koordinierungsstelle?
Die Informations- und Koordinierungsstelle Transformation Fischerei, kurz IKTF, wird eine neue zentrale und unabhängige Anlaufstelle für die Fischerinnen und Fischer, für die Fischereibetriebe, aber auch alle weiteren Akteure, die am Transformationsprozess beteiligt sein werden. Es geht darum, die Fischerei zu begleiten auf ihrem Weg hin zu einem nachhaltigen und wirtschaftlich tragfähigen Sektor.
Wie bewerten Sie die aktuelle Situation der Fischerinnen und Fischer?
Die Situation ist zum Teil dramatisch. Viele Fischer geben auf, kommen nicht mehr klar. Wir haben es mit den Folgen des Klimawandels zu tun, mit dem Temperaturanstieg und natürlich dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Fanggründe gehen verloren und es gibt Nachwuchsprobleme. Die Flotte muss sich verkleinern, aber auch modernisiert werden.
Welche Expertise bringen Sie mit für diese große Aufgabe?
Es geht viel um Dialogprozesse, Kooperation und neue Business-Modelle, die gefunden werden müssen. Und gerade da sehe ich meine Stärken. Ich komme aus dem Marketing und der Kommunikationswelt. Wir werden ein sehr intensives Veranstaltungsmanagement haben, mit Konferenzen, Workshops, Seminaren und Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für die Fischerinnen und Fischer. Es geht darum, den Transformationsprozess in der Küstenfischerei zu organisieren und zu koordinieren - und das in direkter Zusammenarbeit mit vielen internen und externen Stellen.
Wo wird die IKTF ihren Sitz haben?
Sie soll in Hamburg sitzen.
Cuxhaven oder Bremerhaven wären auch ein schöner Standort gewesen…
Absolut. Als ich an Bord gekommen bin, war die Standortfrage Hamburg bereits vollkommen klar. Sie leitet sich ab aus den zahlreichen Gesprächen und Arbeitsgruppen, die es bereits gab. Es ist einfach wichtig, dass sich die Fischer aus beiden deutschen Seegebieten gleichermaßen in der IKTF vertreten fühlen. Es ist verständlich, wenn sich die Ostseefischer nicht nach Bremerhaven oder Cuxhaven aufmachen wollen. Und die Cuxhavener Nordseefischer wollen nicht nach Rostock fahren. Hamburg ist also eine gute Lösung.
Wird Ihr neuer Job nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, dem TVöD, bezahlt?
Ja, ich bin jetzt Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes - allerdings befristet.
Wie könnten die Fischkutter der Zukunft aussehen?
Die Fischkutter der Zukunft müssen vielseitiger sein, weil sie sich perspektivisch mit unterschiedlichen Aufgaben beschäftigen werden müssen. Sie müssen auch flexibler werden, nicht zuletzt auch, was die Zielarten angeht, weil sich die Fischpopulationen verändern. Es werden zwei Prototypen entwickelt: einer für die Ostsee und einer für die Nordsee. Neben modernen Fanggeräten stehen der klimaneutrale Antrieb im Fokus der Entwicklung.
Stoßen Sie im Gespräch mit den Fischerinnen und Fischern auf viel Skepsis und Ängste?
Natürlich. Die Angst ist groß und auch nachvollziehbar. Es geht um Existenzen. Fischer, die sich vielleicht schon früher abgehängt oder alleingelassen gefühlt haben, warten jetzt nicht unbedingt auf eine weitere staatlich initiierte Stelle. Hier gilt es, möglichst viele an Bord zu bekommen und zum Mitmachen zu bewegen. Unser Wunsch ist es, alle Fischerinnen und Fischern mitzunehmen. Und wir machen uns natürlich sehr viel Gedanken, welche Erwerbsmöglichkeiten und alternative Einnahmequellen es für die Fischer gibt. Die Diversifikation und Weiterentwicklung des Berufsbildes ist auch ein wesentlicher Teil unserer Arbeit.
Die IKTF ist noch in der Aufbauphase. Wann soll es konkret losgehen?
Wir drücken auf die Tube. Aufgrund der Brisanz des Themas spüre ich, wie groß der Druck ist. Ich hoffe, dass wir im Januar mit dem vollständigen Team am Start sind. Und ich habe alles dafür getan, dass wir den Standort Hamburg in diesem Jahr noch beziehen können. Ich hoffe, dass wir im Februar dann zur Eröffnungskonferenz einladen können.
Kommen wir noch einmal zurück zur Politik: Wollen Sie sich auch weiterhin politisch engagieren?
Ja. Ich muss natürlich schauen, wie das mit meinem neuen Job vereinbar ist. Der Faktor Zeit ist eine große Herausforderung - beruflich und familiär.
Sie sind Mitglied im Otterndorfer Stadtrat. Wollen Sie auch auf Kreisebene politisch mitmischen?
Ich verfolge die Entwicklung im Landkreis Cuxhaven mit großem Interesse, sodass ich darüber nachdenke, mich auf Kreisebene politisch zu engagieren. Aber es ist noch nicht entschieden, ob ich für den Kreistag, den Otterndorfer Stadtrat oder den Samtgemeinderat kandidieren werde. Wenn es nach Interesse ginge, würde ich alles drei gern machen. Wichtig ist mir zunächst einmal, dass es in meinem Beruf hundertprozentig läuft. Auf der anderen Seite schreit die Lage da draußen ja eher nach mehr politischem Engagement von Demokraten.
Im Herbst 2027 ist Landtagswahl in Niedersachsen. Wie sehr würde es Sie reizen, für den Landtag anzutreten?
Landespolitik würde mich sehr reizen. Ich kann mir ebenso vorstellen, bis 2029 zu warten und wieder Bundestagswahlkampf zu machen. Aber ich habe einen neuen Fulltime-Job, der jetzt 100 Prozent meiner Aufmerksamkeit bekommt. Jedes weitere politische Engagement bleibt zunächst offen, zumal ich ja auch nicht alleine darüber entscheide.