
"Mein Moment 2024": Viel Aufwand, wenig Ertrag bei Bauernprotesten im Kreis Cuxhaven
Mein "Moment des Jahres" bei den vielen Terminen und Gesprächen als Redakteur im Cuxland? "Einen Moment", der im Berufsalltag eines langjährigen Lokalredakteurs nicht alltäglich war, gab es am 10. Februar 2024 in Wanna im Rahmen der Bauernproteste.
Es war dunkel, nass-kalt, mitten auf einem aufgeweichten Acker zwischen dem Wannaer Ortsschild und den "Aßbüttler Tannen": eine "Mahnwache". Dass es kein Wohlfühltermin gerade für einen Journalisten werden würde, war mir vorher klar. Doch so krass hatte ich ihn nicht erwartet.
Die "Mahnwache" war angesichts der wochenlangen Bauernproteste organisiert worden, die schon vor Weihnachten 2024 teilweise den Straßenverkehr und die Zufahrtswege zu Unternehmen wie dem Druckzentrum in Bremerhaven, in dem auch die Printexemplare der Niederelbe-Zeitung und der Cuxhavener Nachrichten gedruckt werden, blockiert hatten.
Aber was war für mich das Besondere an diesem spärlich beleuchteten "Camp" auf dem längst abgeernteten Feld? Es war eine Mischung aus vielen Bestandteilen: die schemenhaften Bewegungen von Menschen im Licht der Feuertonnen, die Holzhütten, das unbefestigte Terrain, die einsetzende Dunkelheit, die Traktoren mit diversen Parolen. Aber auch die vage Erkenntnis: Selbst Redakteure lokaler Zeitungen und Internet-Portale waren in diesen Wochen von zahllosen Landwirten nicht mehr so gesuchte Gesprächspartner, sondern eher selbst bei leiser Kritik an den Protesten als ein Sprachrohr der "anderen Seite" abgestempelt worden.
"Dabei sein" oder:
"Wir gucken nur mal"
Es kam, wie es eigentlich für mich aus professioneller Sicht nicht hätte kommen müssen. Selbst ehemalige und langjährige Landvolk-Vorstandsmitglieder reagierten bei dem Camp in der Wannaer "Pampa" - und ich darf den Begriff als gebürtiger Wannaer wohl so nennen - merkwürdig abweisend, einsilbig, brachen das Gespräch nach ein paar Sätzen sogar ab und betonten, dass sie mit der ganzen "Mahnwache" ja gar nichts zu tun hätten; und anscheinend auch nichts zu tun haben wollten. "Wir gucken nur mal", sagte mir ein ehemaliger Landvolk-Funktionär im Vorbeigehen, der ansonsten in seiner aktiven Zeit nicht genug davon bekommen konnte, in der Öffentlichkeit zu stehen.
Die "Mahnwache" wirkte unorganisiert. Irgendwie wussten auch die eingeladenen Redner nicht so recht, wann sie denn an der Reihe sind und wer sie eigentlich nach Wanna gebeten hatte, um dort ein paar Sätze ins Mikrofon zu sprechen. Irgendwann ergriff auch ein Landtagsabgeordneter aus der Region das Wort.
Ich berichtete einen Tag später darüber. Es folgte kurz nach der Veröffentlichung eine Art "Katz-und-Maus"-Spiel, ob die Aussagen so auch richtig wiedergegeben oder nicht vielmehr aus dem Zusammenhang gerissen worden waren. Ich blieb bei meiner Darstellung. Es gab schließlich genug Film- und Tonaufnahmen und für mich keine Zweifel, dass ich korrekt berichtet hatte. Daran hat sich auch ein Jahr später absolut nichts geändert. Da kann ich mir das Bild- und Audiomaterial auch noch so oft selbstkritisch reinziehen.
Aufgeladene Stimmung
Aber dieser "Moment" oder die nachfolgende "Momente" hatten mir ganz persönlich gezeigt, wie aufgeladen die Stimmung wochenlang vor einem knappen Jahr war. Ich habe das auch als Redakteur zu spüren bekommen, aber auch andere Menschen, die gemeinhin als sogenannte "Multiplikatoren" gelten, ebenso. Und ein Politiker hätte ich in diesen Tagen und Wochen auch nicht sein mögen. Im Rückblick denke ich mir so manches Mal jedoch auch: Ich kann die Entwicklung dieser aufgeheizten Stimmung der Landwirte grundsätzlich verstehen. Es ging schließlich für viele Bauern vielleicht nicht um die nackte Existenz, nicht um ein "Höfesterben". Aber es ging um viel - und geht es vielleicht immer noch.
Nicht nur Streit um
"grünes Nummernschild"
Der Hintergrund der Proteste: Angesichts eines drohenden zweistelligen Milliarden-Defizites für den Bundeshaushalt 2024 hatte die Regierung unter anderem die Erhebung von Steuern für Agrardiesel analog zum "normalen" Diesel und die Einführung der Kraftfahrsteuer für Landwirtschaftsfahrzeuge (grünes Nummernschild) vorgesehen. Die Folge: Erst gab es zunächst nur regionale, später aber eben auch bundesweite Protestaktionen von Landwirten und der Unternehmen des vor- und nachgelagerten Bereiches der Agrarbereiche.
Die vielfältigen und durchaus auch umstrittenen Demos, bei denen Landwirte auch an Straßensperrungen plötzlich eigenmächtig den Verkehr auf einer Bundesstraße (zum Beispiel zwischen Otterndorf und Altenbruch) regelten, waren letzten Endes der Ausdruck einer - aus Sicht der Bauern - insgesamt verfehlten Agrarpolitik in Deutschland und der gesamten EU. Es ging lange nicht mehr nur um das grüne Nummernschild, sondern um subventionierte landwirtschaftliche Produkte, die Qualität ausländischer Agrarerzeugnisse und dann auch noch um die Regulierung der Wolfspopulationen in ländlichen Regionen.
Kompromisskurs beim
IHK-Neujahrsempfang
Achtung, Szenenwechsel. Vom Wannaer Acker nach Stade: Der IHK-Neujahrsempfang ist Anfang Januar zumindest für die Eingeladenen ein Pflichttermin nach dem Motto "Sehen und gesehen werden". Jede Menge Prominenz ist vor Ort. Anfang Januar war es - an der Spitze der Promi-Skala - die inzwischen im Amt bestätigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Aber wie würde der Termin ablaufen? Den Organisatoren standen Schweißperlen auf der Stirn, denn die Blockade der Zufahrtsstraßen zum "Stadeum" in Stade durch protestierende Landwirte galt lange Zeit als sicher.
Letzten Endes gab es freie Fahrt, es kam zu einem Kompromiss. Der Cuxländer Horst Meyer von der Organisation "Land schafft Verbindung" und der stellvertretende niedersächsische Landvolk-Präsident Jörn Ehlers aus dem Kreis Stade erhielten die Gelegenheit, die Forderungen der Bauern beim IHK-Empfang zu formulieren. Sie beklagten eine "fehlende Dialogbereitschaft" seitens der Politik, warben für die Anerkennung der Existenzprobleme vieler Landwirte. Und sie wiesen auch darauf hin, dass die Landwirte nicht in Misskredit gebracht werden dürften. Denn: Es gab nachweislich schließlich reichlich Trittbrettfahrer, die die Demos und Aktionen für ihre eigenen Zwecke nutzen wollten. Das galt auch und gerade für rechtsextreme "Geisterfahrer". Davon distanzierte sich nicht nur Jörn Ehlers beim Neujahrsempfang deutlich: "Wir sind bunt, aber gewiss nicht braun."
Politik knickte nur
in Teilbereichen ein
Bleibt die Frage: Was haben die Bauernproteste unter dem Strich gebracht? Außer den wochenlangen Berichterstattungen in den Medien und den Verkehrsblockaden? Hat sich wirklich etwas verbessert, das nicht nur den sinnbildlichen Begriff "Strohfeuer" verdient, von denen es in der Praxis vor einem Jahr tatsächlich etliche auch im Cuxland gegeben hatte?
Zwar ist die Politik in vielen Detailfragen eingeknickt, hat die Steuerbegünstigungen beim Agrardiesel nicht gleich, sondern nur schrittweise abgebaut und im September auch ein umstrittenes, da aus der Sicht von Landwirten, wenig effektives "Agrar-Paket" auf den Weg gebracht. Aber tiefgreifende Veränderungen?
"Die Konsequenzen machen mich ratlos", sagte der auch beim IHK-Neujahrsempfang kompromissbereit wirkende Vizepräsident des Landvolks Niedersachsen, Jörn Ehlers, noch im September bei einem Treffen zwischen Vertretern aus Kirche und Landwirtschaft in Stade. Die Höfe wünschten sich von der Politik in vielen Bereichen Vereinfachungen und einen Abbau der Bürokratie. "Aber wir haben den Eindruck, dass bei der Bürokratie mehr dazukommt, als abgeschmolzen wird." Zwar sei die Streichung der Agrardiesel-Beihilfe noch während der Proteste zurückgenommen worden. Aber für viele Probleme im Alltag der Landwirte seien bei den Parteien "keine Lösungen zu finden".
Klingt nach Resignation. Noch gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Bauernproteste in der Form des Winters 2023/2024 so wieder stattfinden werden. Doch wer weiß? Vielleicht steht für mich - früher als gedacht - ein weiterer Abendtermin in Wanna oder einem anderen Ort an. Irgendwo auf einem Acker, im Matsch, im Dunkeln, in einer frostigen Umgebung und mit langjährigen Gesprächspartnern, die plötzlich für mich keine mehr sein wollen …
