
Neuer Wutraum im Kreis Stade: Hier darf man legal Dinge zerstören und Stress abbauen
Wenn der Alltagsstress zu viel wird, hilft manchmal nur eins: Draufhauen! Im neuen Glow Smash in Stade dürfen Besucher Fernseher zertrümmern, Drucker demolieren oder mit Farbe um sich spritzen - ganz legal und mit Spaßfaktor.
Indirekte Beleuchtung und Schwarzlicht erzeugen eine surreale Stimmung in dem fensterlosen Raum mit den bunten Wänden. Gläser baumeln von der Decke, auf einem Stapel Autoreifen steht ein Drucker, ein Fernseher ist auf einem kleinen Schrank in der Ecke platziert. "Nimm mich auseinander ... Bitte", prangt in großen roten Buchstaben auf dem Flachbildschirm.
Mit dem Baseballschläger Frust abbauen
Mittendrin steht Anika Gerdau. Mit ihrem Gesichtsschutz und der Lederschürze sieht die 43-Jährige aus wie eine skurrile Mischung aus Imkerin und Fleischerin. Etwas zögerlich nimmt sie einen Baseballschläger in die Hand. Sie wirkt fast ein bisschen ängstlich, als sie ausholt und zum ersten Mal auf den Fernseher eindrischt. Mit jedem Schlag wird sie mutiger, aggressiver. Der Bildschirm splittert, das TV-Gerät kracht zu Boden. Anika Gerdau kreischt - und strahlt.

"Es fühlt sich an wie in einer anderen Welt, total inspirierend, der Kopf wird frei", sagt die Buxtehuderin über ihren ersten Besuch im Wutraum, im englischen Sprachgebrauch besser bekannt als Rage Room.
Den ersten seiner Art im Landkreis Stade hat Paula Suzanska vor Kurzem im Gewerbegebiet Stade-Ottenbeck eröffnet. Das Glow Smash ist aber mehr als nur ein Ort, an dem Gäste gegen Geld Dinge zerstören können. Dazu später mehr.

Noch ist Anika Gerdau nicht fertig im Rage Room. Sie entdeckt eine Glasscheibe, auf der "Hit me, Baby" - auf Deutsch: Schlag, mich, Baby - steht. Gesagt, getan. Die Scheibe splittert klirrend in Tausende Scherben.
Hier darf man zuschlagen
Auch ein paar Flaschen müssen dran glauben. Die Gläser, die von der Decke baumeln, zerstört Anika Gerdau mit gezielten Schlägen treffsicher. Jetzt hat des Druckers letztes Stündchen geschlagen. Mit voller Wucht haut Anika Gerdau mit dem Baseballschläger zu, Plastikteile fliegen durch die Gegend. Glasscherben knistern auf dem Boden.

"Kopf und Körper wehren sich erst mal dagegen, zuzuschlagen. Man hat ja gelernt, dass man so was nicht darf", sagt die UI/UX-Designerin, die derzeit auf Jobsuche ist. Genau darum geht es im Glow Smash. Sich Dinge zu trauen und Dinge tun zu dürfen, die sonst tabu sind. Aus Spaß und um Ärger und Wut abzubauen.
Die Idee für solche Freiräume für den Frust stammt wohl aus Japan, seit 2014 gibt es auch in Deutschland Wuträume. Paula Suzanska kennt das Konzept aus ihrem Heimatland Polen und ist großer Fan. "Wenn ich einen schlechten Tag habe, baue ich mir meinen eigenen kleinen Rage Room und fühle mich danach wie ein neuer Mensch. Diese Möglichkeit will ich auch anderen geben", sagt sie. Außerdem wollte die alleinerziehende Mutter ihr eigener Chef sein. Ihren Lehrberuf Köchin kann sie aufgrund einer Rheumaerkrankung nicht mehr ausüben.
Nach der Zerstörung kommt die Kunst
Im Sophie-Scholl-Weg im Gewerbegebiet Ottenbeck hat Paula Suzanska die perfekte Location für ihren Sprung in die Selbstständigkeit gefunden. Auf 300 Quadratmetern verteilen sich mehrere Räume, die Paula gemeinsam mit ihrer Mutter Jowita und deren Partner unterschiedlich gestaltet hat.

Das Lager ist gefüllt mit ausgemusterten und nicht mehr funktionsfähigen Gegenständen, die Paula Susanzka hauptsächlich über ein Kleinanzeigen-Portal findet. Vieles wird im Glow Smash auch weiterverwertet. Zum Beispiel bei Kunst-Workshops. Die bietet das Glow Smash während der Ferien auch für Kinder an.

Neben dem Rage Room gibt es unter anderem noch einen Glow Room und einen Splatter Room. Im Glow Room dürfen Gäste mit fluoreszierenden Farben kreativ sein. Anika Gerdau trägt inzwischen einen weißen Overall, der ihre Kleidung vor Farbspritzern schützt. Im Schwarzlicht strahlen der Anzug, die Zähne und die bunten Farben. Mit Pinsel und Wasserpistole geht Anika Gerdau ans Werk.

Ähnlich läuft es im großen Splatter Room. Hier ist es im Gegensatz zum Glow Room aber viel heller. Mit der Pistole schießt Anika Gerdau Farbe an die Mauern und auf kleine Leinwände, die Paula Suzanska vorher aufgehängt hat. Alle Gäste können ihre Kunstwerke später als Andenken mitnehmen.
Kreativität hilft gegen Wut und Frust
"Im Job kann ich meine Kreativität ja leider gerade nicht ausleben, toll, dass das hier geht und ich gleichzeitig Frust abbauen kann", sagt Anika Gerdau, bevor sie zum nächsten Farbschuss ansetzt.

Kreativität hilft tatsächlich gegen Frust und Wut, wissen Psychologen. So werden zum Beispiel durch das Malen eines Wutbildes Gefühle sichtbar gemacht, damit sie besser verarbeitet werden können. Auch Wuträume können entlasten, weil Menschen dort ohne Schuldgefühle mal "Druck aus dem Kessel nehmen können", wird der klinische Psychologe André Ilcin in der Goslarschen Zeitung zitiert. Langfristig ließen sich Probleme aber nur lösen, wenn die Wurzeln der Wut angegangen werden.

"Ein Besuch bei uns ersetzt natürlich keine Therapie, aber für einen Moment kann man den Alltagsstress einfach mal vergessen", sagt Paula Suzanska. Anika Gerdau bestätigt das, als sie - immer noch strahlend - aus dem Splatter Room kommt. "Plötzlich sind auch meine Nackenschmerzen weg", sagt sie.
Öffnungszeiten und Preise
Das Glow Smash im Sophie-Scholl-Weg 17 ist
- montags, mittwochs und donnerstags von 15 bis 21 Uhr
- freitags, samstags und sonntags von 12 bis 22 Uhr geöffnet
- 45 Minuten im Rage Room kosten 65 Euro - zwei Personen zahlen 50 Euro für eine Stunde
- 45 Minuten im Splatter Room kosten 39 Euro pro Person
- für den Glow Room werden 45 Euro fällig
Eine Anmeldung ist derzeit nur über Instagram möglich: glowsmashstade
Von Lena Stehr
