
Tödlicher Unfall mit verstorbenem Kind in Nordholz: Busfahrer verurteilt
Ein Elternpaar hat bei einem Schulbusunglück in Nordholz seinen zehnjährigen Sohn verloren. Am Donnerstag musste sich der Fahrer des Busses vor dem Amtsgericht Geestland verantworten. Ein schwieriger Fall - obwohl der Angeklagte nichts beschönigt.
Vor einem Jahr ist ein Schüler im Bereich der Bushaltestelle vor der Nordholzer Grundschule unter die Räder eines Schulbusses geraten. Schwerstverletzt wurde der Zehnjährige in ein Krankenhaus gebracht, wo er einige Tage später an seinen Verletzungen starb.
Es war 7 Uhr und noch dunkel, als der angeklagte Busfahrer am 7. Februar 2024 mit einem 18 Meter langen Gelenkbus in die Bushaltestelle vor der Nordholzer Grundschule einfuhr. Dort stand bereits ein weiterer Bus, der Schüler zu weiterführenden Schulen nach Cuxhaven bringen sollte.
Vor der Einfahrt auf 8 Kilometer pro Stunde abgebremst
Auch der Angeklagte wollte Kinder zu einer weiterführenden Schule in Cuxhaven fahren. Laut Fahrtenschreiber hatte der Fahrer den Bus vor der Einfahrt in den Haltestellenbereich von 33 auf 8 Kilometer pro Stunde abgebremst. Kinder befanden sich im Haltestellenbereich, als der Busfahrer seine Halteposition ansteuerte.

Während der Fahrer langsam weiterfuhr, näherten sich Kinder. Der Richter liest die Zeugenaussage eines Schülers vor, der Augenzeuge des Unfalls war und wie viele andere Kinder von der Polizei befragt wurde.
Der Zeuge schildert, dass sich das spätere Opfer nicht wie er am Rand bei den Drängelgittern, sondern näher an der Fahrspur befunden habe. Wie immer habe der Zehnjährige für sich und seine Freunde eine Vierersitzecke im Bus reservieren wollen. Als sich der Angeklagte mit seinem 1021er-Bus genähert habe, sei das spätere Opfer schon in Richtung Bus und in Höhe der mittleren Tür mit dem Bus mitgelaufen.
Augenzeuge schildert Unfall aus seiner Perspektive
Wörtlich heißt es in der Zeugenaussage: "Ich weiß nicht, wie es dazu kam, dass er gefallen ist. Ich weiß nicht, ob ein anderes Kind direkt an ihm dranstand. Ich habe nur gesehen, als er fiel und halb unter dem Bus lag. Ich bin dann sofort zu ihm gerannt und habe versucht, ihn unter dem Bus hervorzuziehen. Er rief auch laut um Hilfe, aber ich habe es nicht geschafft und er wurde vor meinen Augen überrollt."
Die Polizistin, die als Zeugin im Prozess aussagt, spricht von "vielleicht rund 100 Kindern", die regelmäßig morgens gegen 7 Uhr die Nordholzer Bushaltestelle vor der Grundschule bevölkern. Zubringerbusse würden den Bereich wegen der vielen Kinder mittig ansteuern und gar nicht an der Bordsteinkante halten.
Die Polizistin berichtet auch von Eltern, die gesagt hätten, es sei "nur eine Frage der Zeit gewesen, dass da etwas passiert". Frühmorgens herrsche immer Gedränge, es seien auch schon Kinder gestürzt. Von "chaotischen Zuständen" ist die Rede. Befragt nach ihrem eigenen Eindruck, sagt die Polizistin: "Es ist ungünstig, dass dort auch noch Elternfahrzeuge parken können."
Behörden stellen mehrere Gefahrenquellen fest
Auch der Ortstermin mit Behördenvertretern kurz nach dem tragischen Unglück ist Thema im Prozess. Gemeinde, Landkreis, Polizei und Schule stellten dabei mehrere Gefahrenquellen fest und ordneten erste Veränderungen an.
Eine davon war ein Verbot jeglichen Pkw-Verkehrs im Bereich der Bushaltestelle. Außerdem wurde das Tempo vor der Grundschule von 30 auf 10 Kilometer reduziert. Noch in der Planungsphase befindet sich der neue Busbahnhof, den die Gemeinde Wurster Nordseeküste als Konsequenz aus dem Unfall bauen will.
Die Leiterin der Nordholzer Grundschule, die ebenfalls als Zeugin aussagt, berichtete unter anderem, dass Eltern bereits im Jahr 2021 auf die aus ihrer Sicht untragbaren Zustände vor der Nordholzer Schulbushaltestelle hingewiesen hätten. Es gebe zu wenige Busse für zu viele Kinder, kritisierten Erziehungsberechtigte seinerzeit.
Rektorin: Es handelt sich um eine öffentliche Bushaltestelle
Geändert habe sich nach der Elternkritik nichts, sagt die Schulleiterin. Auch nicht, als sie selbst beim Landkreis nachgefragt habe. Nach Angaben der Rektorin handelt es sich um eine Bushaltestelle im öffentlichen Bereich.
Die Schule sei für die Sicherheit an dieser Haltestelle nicht zuständig. Insbesondere müsse sie nicht für eine Aufsicht sorgen, wenn Kinder gegen 7 Uhr vor der Nordholzer Grundschule umsteigen. Die Aufsichtspflicht der Schule für die Grundschüler beginne erst um 7.40 Uhr - 20 Minuten vor dem Unterrichtsstart.
Ein weiterer Zeuge - von der Cuxhavener Kreisverwaltung - gab an, dass die Gemeinde Wurster Nordseeküste für die Bushaltestelle am Nordweg zuständig ist.
Verantwortung nicht nur beim Busfahrer
In ihren Plädoyers sind sich Staatsanwalt und Verteidiger einig, dass der Busfahrer fahrlässig gehandelt hat. Angesichts seiner 20-jährigen Berufserfahrung hätte er die Gefahr erkennen können und umsichtiger handeln müssen.
Gleichzeitig sehen sie auch eine Verantwortung an anderer Stelle. So spricht der Staatsanwalt von einer "Verkettung vieler unglücklicher Umstände". Den Fahrlässigkeitsvorwurf sieht er "im unteren Bereich". "Aber gleichwohl ist dem Angeklagten ein Tatvorwurf zu machen."
Eine Freiheitsstrafe halten weder Staatsanwalt noch Verteidiger für den 58-jährigen Familienvater für angemessen oder erforderlich. Er sei nicht vorbestraft, und Einträge im Verkehrsregister lägen ebenfalls nicht vor.
Angeklagter Busfahrer fährt keinen Bus mehr
Der angeklagte Busfahrer wirkt mitgenommen. Mehrfach bittet er um Vergebung. Auf Nachfrage berichtet er, dass ihn der Unfall traumatisiert hat, er seinen Beruf aufgeben musste und aktuell keine Arbeit habe.
Am Ende verurteilt der Richter den 58 Jahre alten Busfahrer wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe. Sie liegt genau zwischen der Geldstrafe, die der Staatsanwalt fordert, und der Geldstrafe, für die der Verteidiger plädiert.
In seiner Urteilsbegründung betont der Richter, dass es für diesen Fall keine angemessene Strafe gibt. "Das Gericht muss eine Strafe finden für eine Tat, die nicht nur das Leben eines Kindes, sondern auch der Eltern völlig zerstört hat." Dem gegenüber stehe eine Tat, die von einem Augenblick der Unaufmerksamkeit geprägt gewesen sei, aber nicht von böser Absicht. "Es geht um einen Augenblick, der jedem, der Auto fährt, passieren kann. Dagegen ist keiner gefeit."
"Strafprozess kann nicht der Ort sein, um Frieden zu finden"
Der Busfahrer, so der Richter, sei nicht zu schnell gefahren. Er hätte aber in der Situation, die absehbar gefährlich gewesen sei, eben nicht in die Bushaltestelle hineinfahren dürfen.
Aus Sicht des Gerichts gibt es viele Umstände bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Neben entlastenden Umständen, die für den Angeklagten sprächen, beurteilt der Richter es als problematisch, dass die rund 100, auch kleinere Kinder an der Bushaltestelle nicht beaufsichtigt wurden. "So viele Kinder an einer Stelle, das geht ohne Aufsicht nicht." Auch die baulichen Mängel an der Bushaltestelle könne man dem Angeklagten nicht zur Last legen.
Er könne verstehen, dass man nicht zufrieden ist mit so einem Urteil, sagt er mit Blick auf die Eltern und Angehörigen des verstorbenen Kindes, die den Prozess im Amtsgericht Geestland in Langen mitverfolgen. "Aber ein Strafprozess kann nicht der Ort sein, um Frieden zu finden."
Von Heike Leuschner