
Laudatorin Helga Trüpel würdigt das Wirken Joachim Gaucks: Ein Humanist und Realist
Joachim Gauck, Voß-Preisträger und ehemaliger Bundespräsident, wird als Fixpunkt in turbulenten Zeiten gefeiert. Seine Mischung aus Humanismus und Realismus setzt Maßstäbe für eine wehrhafte Demokratie.
Joachim Gauck sei ein sicherer Kompass in erschütternden Zeiten, ein Fixpunkt der Orientierung. Diese Zuschreibung maß Helga Trüpel dem Geehrten bei. Die Bremer Politikerin und ehemalige Abgeordnete des Europaparlaments für die Grünen hielt die Laudatio für den diesjährigen Voß-Preisträger, der sich damit einreiht in die Riege der Geehrten, die im Jahr 2000 mit dem Lyriker Peter Rühmkorf ihren Anfang nahm. Es folgten Bundespräsident a. D. Richard von Weizsäcker, die Autorin Sarah Kirsch, Bundesaußenminister a. D. Hans-Dietrich Genscher, Intendant Jürgen Flimm und Bundesminister Wolfgang Schäuble.
Helga Trüpel stellte eine aus den Fugen geratene Welt der Konflikte der offenen Zivilgesellschaft, in der wir leben, gegenüber. Es gehe heute um nicht mehr und nicht weniger darum, den "politischen Westen" zu verteidigen und damit auch dessen Freiheit und seine regelbasierte Ordnung. Und dafür brauche es Menschen wie Joachim Gauck als Vorbild und Anker.
Gauck ist "Citoyen", kein "Bourgeois"
Der ehemalige Bundespräsident sei einfühlsam, aber mache sich nicht gemein. Er leiste geistige Führerschaft, die sich aus seiner Lebensgeschichte aber auch aus seinen gelebten Überzeugungen speist. Joachim Gauck sei "selbstreflektiv und reflektierend", Eigenschaften, die im politischen Alltagsgeschäft nicht mehr im Übermaß anzutreffen sind. Und er sei ein "Citoyen", kein "Bourgeois", also jemand, der als Staatsbürger seine staatsbürgerlichen Pflichten wahrnimmt und nicht nur seine eigenen Interessen schützt.
Joachim Gauck hat sich selbst einmal als "linken liberalen Konservativen" bezeichnet, was ihn letztlich für eine Parteimitgliedschaft ungeeignet macht, ihm aber die Freiheit verleiht, unabhängig zu denken und zu handeln. "Eine lebendige und wehrhafte Demokratie braucht mündige Bürger und eine intakte Zivilgesellschaft", sagte Helga Trüpel. Joachim Gauck gebe das Beispiel dafür, dass man sich "von der Macht der anderen nicht dumm machen lassen" dürfe.
Gauck sorgt sich um mentale Schwäche Deutschlands
Der Tausch der Freiheit in der Demokratie gegen die Sicherheit in der Autokratie ist kein gutes Geschäft. Dennoch werde genau dieses von unterschiedlichen Kräften in Deutschland betrieben. Gaucks Sorge gelte daher der aktuellen mentalen Schwäche Deutschlands, der politisch-moralischen Insuffizienz. Der Alt-Bundespräsident sei stets auf der Höhe der Zeit, vertrete mit Nachdruck seine humanistische Position, aber er sei kein "Traumtänzer".
Der von ihm als Bundespräsident in der Debatte während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 geprägte Satz "Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten, sie sind endlich" ist Ausdruck jener reflektierenden Ratio, die Humanismus mit Realismus vereint.
"Ein Land der Zuversicht"
Am Schluss seiner Rede, die Gauck im Herbst vor zehn Jahren in Mainz gehalten hat, sagt er folgendes: "Wenn wir Probleme benennen und Schwierigkeiten aufzählen, so soll das nicht, so soll das niemals unser Mitgefühl - unser Herz - schwächen. Es soll vielmehr unseren Verstand und unsere politische Ratio aktivieren. Wir werden also weiter wahrnehmen, was ist - ohne zu beschönigen oder zu verschweigen. Wir werden weiter helfen, so wie wir es tun - ohne unsere Kräfte zu überschätzen. So werden wir bleiben, was wir geworden sind: Ein Land der Zuversicht." Und der Hoffnung. Helga Trüpel zitierte dazu den früheren tschechischen Präsidenten Václav Havel: "Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht."
