
Prozess wegen Messerstecherei in Stade beginnt - mit höchster Sicherheitsstufe
Am Dienstag, 5. November, beginnt am Landgericht Stade der Prozess gegen einen 34-Jährigen, der im März 2024 bei einer Messerstecherei einem Mann brutal in den Kopf gestochen haben soll.
Die Staatsanwaltschaft geht bei der Tat vom 22. März 2024 von "gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Mord" aus. Dem 34 Jahre alten Angeklagten droht eine lebenslange Freiheitsstrafe. Die Anklage sieht das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt.
Das Landgericht Stade hat vorerst 16 Verhandlungstage anberaumt - bereits bis in den Februar 2025 hinein. Los geht es am Dienstag, 5. November, 10.15 Uhr vor der 1. Großen Strafkammer. Diese rechnet mit großem Medieninteresse.
Blutiger Höhepunkt eines Clankriegs
Was ist bekannt? Die Bluttat soll Höhepunkt einer Auseinandersetzung zwischen zwei rivalisierenden arabischstämmigen Großfamilien gewesen sein - dem Miri- und dem Al-Zein-Clan. Diese haben ihre Wurzeln im Libanon. Kriminelle Mitglieder werden mit Glücksspiel, Geldwäsche, Drogen- und Waffengeschäften sowie Schutzgelderpressung in Verbindung gebracht.
In diesem Fall soll es um das Abstecken von Reviergrenzen gegangen seien. Einer der Auslöser der Auseinandersetzung in der Stader Altstadt war offenbar ein Streit um einen neuen Shisha-Shop in Buchholz. Das wollte der andere Clan nicht hinnehmen.
Angehörige der Familie Al-Zein setzten in der Altstadt von Stade ein Zeichen, mit Schlagwerkzeug und Stangen beschädigten sie ein Shisha- und Sportschuh-Geschäft der Miris in der Hökerstraße.
Der Streit eskalierte. Die Miris schlugen zurück und attackierten ein schmuckes Privathaus der Al-Zeins im Altländer Viertel in Stade. Doch in dem Haus hielten sich nur Frauen und Kinder auf. Die Attacke war ein Tabubruch für den anderen Clan - ebenfalls von archaischen Strukturen und stark überhöhtem familiären Ehrbegriff geprägt. Das mündete in eine rasante Verfolgungsjagd durch die Stader Innenstadt - ohne Rücksicht auf Unbeteiligte.
Das ist laut Innenministerium typisch für Clan-Kriminalität. Die Kriminellen glauben, über Recht und Gesetz zu stehen, sie setzen auf Gewalt, Einschüchterung und Paralleljustiz mit "Friedensrichtern" in Moscheen.

Schlussendlich wurde ein Auto vor der Brücke auf Höhe eines Imbisses gerammt. Die Männer stiegen aus, es kam zu Handgreiflichkeiten. Der mutmaßliche Täter, er wird dem Miri-Clan zugerechnet, stach laut Oberstaatsanwalt Kai Thomas Breas mit einem Messer seinem "arglosen" Opfer brutal und unvermittelt in den Kopf - am helllichten Tag, auf offener Straße vor einem Imbiss und obwohl die Polizei bereits am Tatort war. Die Stader Beamten waren von einem Unfall ausgegangen und wurden selbst vom brutalen Tatverlauf überrascht. Der Angeklagte soll das Messer in dem Audi griffbereit mitgeführt haben.
Der mutmaßliche Täter flüchtete vom Tatort. Die Polizei konnte den Mann am 6. Mai in Buchholz festnehmen. Der 34-Jährige sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft erhob am 5. August die Anklage.
Es war nicht die erste Tat, die die Polizei unter dem Schlagwort Clan-Kriminalität führt. Eine Handvoll Familien mit Wurzeln in der Türkei und dem Libanon ist in und um Stade aktiv. 350 Personen werden diesen Kreisen zugeordnet. Mittlerweile hat auch der Remmo-Clan, bekannt durch den Juwelen-Raub im Grünen Gewölbe in Dresden und den Goldmünzen-Klau im Bode-Museum in Berlin, eine Filiale in der Altstadt.
Stade ist ein Brennpunkt der Clan-Kriminalität
Razzien und Prozesse der vergangenen Jahre zeigen, dass Drogen, Gastronomie und Glücksspiel wichtige Geschäftszweige sind. Geld waschen beziehungsweise verdienen sie mit Autohandel, Shisha-Bars oder mit Friseur-Läden. Das Opfer war wegen Drogenhandels verurteilt worden.
Rückzugsorte sind immer wieder sogenannte islamische Kulturvereine und Wohnungen im Altländer Viertel, mittlerweile gehören den Familien auch Einfamilienhäuser und Gewerbeimmobilien in guten Lagen. Die Clans, geprägt von hoher Aggression und Gewaltbereitschaft, haben in der Vergangenheit wiederholt ermittelnde Polizisten und Staatsanwälte sowie Richter und Journalisten, aber auch Ärzte und Pflegepersonal in den Elbekliniken bedroht. Laut Polizeipräsident Thomas Ring ist Stade ein "Brennpunkt" im Bereich der Clan-Kriminalität in Niedersachsen.
Die damalige Justizministerin Barbara Havliza (CDU) hatte deshalb bereits 2020 eine von vier Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften zur Clan-Kriminalität in Stade angesiedelt. Innenministerin Daniela Behrens (SPD) hatte bereits bei ihrem Besuch in Stade im April betont, dass es nicht hinnehmbar sei, dass sich kriminelle Clanstrukturen ausbreiten. Es gelte, den Rechtsstaat zu schützen und zu bewahren - durch eine Null-Toleranz-Strategie.

Nach der Auseinandersetzung ging der Streit in Social Media wie Tiktok und Instagram weiter. Al-Zeins veröffentlichten sogar Ausschnitte der Anklageschrift - eine Straftat.
Gericht spricht von besonderer Gefährdungslage
Die Hauptverhandlung wird unter hohen Sicherheitsvorkehrungen im Schwurgerichtssaal beginnen. Laut Gericht bestehe eine "besondere Gefährdungslage". Leib und Leben des Angeklagten, von Verfahrensbeteiligten oder Zuschauern seien möglicherweise gefährdet, auch bestehe "eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Fluchtversuche".

Im Vorfeld hat der Vorsitzende Richter Erik Paarmann deshalb eine 14-seitige Sitzungspolizeiliche Verfügung erlassen. Diese sieht strenge Auflagen und Einlasskontrollen vor. Offenbar schließt die Stader Justiz nicht aus, dass es vor oder im Gericht zu einer Auseinandersetzung oder Störungen zwischen den beziehungsweise durch die beiden Großfamilien kommen könnte.
Nicht nur das Mitführen von Waffen und Taschenmessern, sondern auch von Schirmen, Eiern, Büchern und Kugelschreibern ist deshalb unter anderem untersagt. Das gelte auch für Trillerpfeifen oder Glocken. Um mögliche Störer schnell identifizieren zu können, ist eine Vollverschleierung unzulässig.
Von Björn Vasel