
"Pudelwohl" gefühlt: Patienten erinnern sich an falsche Ärztin aus dem Kreis Cuxhaven
Eine falsche Ärztin aus dem Landkreis Cuxhaven hat im Meppener Krankenhaus Ludmillenstift im Jahr 2022 sieben Patienten behandelt und dabei Wunden betäubt und genäht. Die Betroffenen haben ihre Erfahrungen jetzt öffentlich geschildert.
Im Prozess gegen die falsche Ärztin aus Meppen hat eine ermittelnde Beamtin ausgesagt. Außerdem sieben Patienten, die von der Angeklagten behandelt worden waren - allesamt mit "Nadel und Faden".
In dem Verfahren vor dem Landgericht Osnabrück muss sich eine heute 23-jährige Frau aus der Nähe von Bremen verantworten, weil sie im Jahr 2022 in zwei Krankenhäusern als Ärztin gearbeitet hatte, ohne je Medizin studiert zu haben. Die beiden Kliniken in Debstedt bei Bremerhaven und Meppen täuschte sie mit einer gefälschten Arbeitserlaubnis und einem ebenfalls gefälschten Lebenslauf.
Ermittlungen im Oktober 2022 eingeleitet
Am zweiten Verhandlungstag hat nach der Befragung von Ärzten und Verwaltungsmitarbeitern auch die ermittelnde Beamtin der Polizeiinspektion Emsland/Grafschaft Bentheim ausgesagt. Sie berichtete, im Oktober 2022 seien die Ermittlungen aufgenommen worden und hätten unter anderem zu Durchsuchungen in beiden Kliniken und in der Wohnung der Angeklagten geführt.
Gefälschte Approbationsurkunde für 672 Euro gekauft
Zahlreiche Vernehmungen der jungen Frau und vieler Personen, mit denen sie gearbeitet hatte, folgten. Bei der Untersuchung von Datenträgern habe man den Kauf einer gefälschten Approbationsurkunde rekonstruieren können, die im Internet für 672 Euro erworben worden sei. Bezahlt vom Konto der Angeklagten.
Motivation: Anerkennung und familiärer Druck
Zur Motivation befragt, sagte die Beamtin, möglicherweise habe sich die junge Frau gegenüber ihrer Familie beweisen wollen. Sie habe sich in der Schule gemobbt gefühlt und wollte wohl allen zeigen, was sie leisten könne. Ihr Freund habe ihr Mut gemacht, sich bei den Kliniken zu bewerben. Allerdings habe sie den Eindruck gehabt, die Beziehung zu ihm könne "toxisch" gewesen sein. Die Rede sei von Suizid-Ankündigungen und blauen Flecken gewesen.
Die Ärzte und das Pflegepersonal in Meppen hätten sich in ihren Befragungen im Jahr 2022 im Großen und Ganzen positiv über die "falsche Ärztin" geäußert, sagte die Beamtin. Man war mit der Entwicklung und den Fähigkeiten der angeblichen Medizinerin zufrieden und schöpfte keinen Verdacht.
Patienten schildern ihre Erlebnisse im Gericht
Genau das bestätigten dann die sieben jetzt im Gerichtssaal vernommenen Patienten aus der Meppener Notaufnahme. Sie alle waren dort im Herbst 2022 entweder selbstständig erschienen oder per Krankenwagen dorthin gebracht worden. Die Polizei hatte diese Fälle ermittelt.
Eine junge Frau aus dem Emsland berichtete, sie habe nach einer zuvor andernorts behandelten Verletzung am Finger erneut Schmerzen und eine Entzündung bekommen und sei dann in die Meppener Notaufnahme gefahren. In der Obhut der angeblichen Ärztin habe sie sich "pudelwohl" gefühlt und keinen Verdacht geschöpft. Diese habe die Behandlung mit einem Oberarzt besprochen, aber alleine durchgeführt. Sie habe den Finger mit mehreren Injektionen aus einer Spritze betäubt und dann genäht.
Patienten berichten von Taubheitsgefühlen
Dass sie im Finger heute ein Taubheitsgefühl verspüre, könne sie nicht zwingend auf die Behandlung in Meppen zurückführen, sagte die Zeugin. Das könne auch von der tiefen Verletzung oder der Entzündung herrühren.
Der zweite Patient, ein 38-Jähriger Mann aus Niederlangen, hatte sich bei der Arbeit in den Finger gefräst. Aus seiner Sicht verlief die Behandlung gut, auch wenn die Stelle über der Naht ein wenig taub geblieben sei.

Ein 42 Jahre alter Schweißer aus Haren hatte sich in den linken Daumen geschnitten. In der Meppener Notaufnahme betäubte die Angeklagte den Finger, aber als sie mit dem Nähen begann, war die Betäubung schon nicht mehr wirksam genug. Sie betäubte nach und nähte. Inzwischen sei alles gut verheilt, sagte der Zeuge.
Vertrauen trotz fehlender Qualifikation
Eine 82-Jährige aus Meppen ließ sich nach einem Sturz behandeln, bei dem sie Platzwunden an Kopf und Lippe erlitten hatte. Nach Begutachtung durch einen weiteren Arzt versorgte die Angeklagte die Seniorin, die sich gut aufgehoben fühlte.
Die Aussagen ähnelten sich: Ein 28 Jahre alter Mann aus Geeste kam mit einem Schnitt in den Daumen nach Meppen, ein 33-jähriger Landmaschinenschlosser aus Haren mit einer Schnittwunde am Mittelfinger. Ein 43 Jahre alter Mann, der damals in Dortmund lebte, aber zum Angeln in Meppen weilte, hatte sich im Gesicht verletzt. Dass die Ärztin sehr jung gewesen sei, sei ihm aufgefallen, sagte er. Alle drei berichteten aber, keinen Verdacht geschöpft zu haben.
Aber eine entscheidende Frage der Richterin beantworteten die letzten sechs Zeugen (die erste wurde danach nicht gefragt) mit einem eindeutigen "nein", nämlich diese: "Hätten sie sich, wenn sie gewusst hätten, dass die Ärztin keine Ärztin war, dennoch von ihr behandeln lassen?" Einer der Zeugen meinte, in diesem Wissen hätte er eher seine Frau die Wunde nähen lassen. Ein anderer sagte: "Ich bringe mein Auto ja auch extra in eine Fachwerkstatt, weil ich davon ausgehe, dass man dort sein Handwerk versteht." (pas/NOZ)
Von Tobias Böckermann