Viele Deiche in der Region brachen bei der Sturmflut 1976, wie hier in Drochtersen-Dornbusch. Das Wasser strömte weit in die tief liegenden Landstriche. Foto: Archiv/Natureum
Viele Deiche in der Region brachen bei der Sturmflut 1976, wie hier in Drochtersen-Dornbusch. Das Wasser strömte weit in die tief liegenden Landstriche. Foto: Archiv/Natureum
Erzählsalon der AG Osteland

So erinnern sich Zeitzeugen an die Sturmflut 1976 in Hadeln und Kehdingen

von Christian Mangels | 28.11.2025

Puddingweiche Deiche, überflutete Höfe und bis zu 17 Meter hohe Wellen - im Januar 2026 jährt sich die dramatische Sturmflut von 1976 zum 50. Mal. Im Erzählsalon der Arbeitsgemeinschaft Osteland schilderten Zeitzeugen, wie sie die Flut erlebt haben.

Er ist bis heute im Gedächtnis der Nordlichter verankert: Der Orkan "Capella", der vor 50 Jahren, am 3. Januar 1976, über Norddeutschland hinwegfegte, richtete große Schäden an. Die vom Orkan ausgelöste Sturmflut ließ an der deutschen Nordseeküste die Werte der Februar-Sturmflut von 1962 sogar überschreiten.

Das Sturmtief erreichte in der Deutschen Bucht bis zu 150 Kilometer pro Stunde. Die Wellen schlugen 17 Meter hoch. Das Wasser erreichte in Cuxhaven fast die Deichkrone. Schon drei Stunden vor dem eigentlichen Hochwasser liefen die Fluten über die Steinkante. In der Wolskermarsch in Sahlenburg wurde der niedrige Damm überspült und richtete hohe Schäden auf dem Campingplatz an. In Groden und Altenbruch schlugen die Wellenberge über den sieben Meter hohen Deich. Auch das Kehdinger Land wurde großflächig überflutet. Beidseits der Elbe standen insgesamt 100.000 Hektar Land zum Teil wochenlang unter Wasser, zahlreiche Höfe wurden zerstört und unzählige Nutz- und Wildtiere ertranken in den Fluten.

Anlässlich des bevorstehenden Jahrestages der "vergessenen Flut" hat die Arbeitsgemeinschaft einen "Erzählsalon" auf die Beine gestellt, um mit Zeitzeugen aus Kehdingen und Hadeln auf die Ereignisse von 1976 zurückzublicken. Um es vorwegzunehmen: Die Flutkatastrophe prägt sie alle noch immer und hat bei der von Sebastian Bertram moderierten Veranstaltung im historischen Kornspeicher in Freiburg große Emotionen freigesetzt. 

"Die Flut kam heimtückisch und leise", berichtete Zeitzeuge Bert Frisch aus Oberndorf, der während der Naturkatastrophe in Hüll (Gemeinde Drochtersen), dem Wohnort seiner Eltern, als Helfer im Einsatz war. An das kalte Wasser in seinen Stiefeln erinnert er sich heute noch - "ein fürchterliches Gefühl". Anschaulich und lebendig erzählte er von einer tierischen Rettungsaktion per Boot: "Auf dem Sofa eines Bauernhauses saß ein erwachsenes Schwein. Wir haben versucht, das Tier durchs Fenster ins Boot zu hieven. Das fand das Schwein aber überhaupt nicht komisch." Der Vierbeiner wurde zwar gerettet, starb aber später an Unterkühlung.

Heinrich von Allwörden kämpfte mit den Tränen

Heinrich von Allwörden von der Elbinsel Krautsand kämpfte mit den Tränen, als er von den dramatischen Stunden im Januar 1976 auf seinem Bauernhof berichtete. Groß war die Sorge um die Kühe, die im Wasser kaum noch die Köpfe in die Höhe recken konnten. "Es war klar, dass wir nichts unternehmen konnten." Die Situation wurde noch dramatischer, als sich Heinrich von Allwörden in den Fluten mit einer Klinge an der Hand verletzte. Er wurde schließlich mit einem Bundeswehrhubschrauber ausgeflogen.

Im "Erzählsalon" der Arbeitsgemeinschaft Osteland blickten neun Zeitzeugen und eine Zeitzeugin auf die Sturmflut im Januar 1976 zurück und berichteten von ihren Erlebnissen. Foto: Mangels

Wenn Richard Schlichting aus Hüll an die Sturmflut 1976 zurückdenkt, dann kommt ihm vor allem eine Farbe in den Sinn - weiß. "Von dem Schaumteppich der Flut." In größter Eile wurden die Keller leer gemacht und alle eingelegten Lebensmittel herausgeholt. 

Auch Magda Bartels aus Hüll, die einzige Frau in der Zeitzeugen-Runde, erinnert sich noch genau an die dramatischen Stunden vor 50 Jahren, als sich die Familie mit Brot und Wurst in die oberen Räume des Hauses zurückzog. "Das Vieh brüllte. Es war eine schreckliche Nacht", sagte die Rentnerin. Das Telefon funktionierte nicht mehr und das Wasser stand insgesamt drei Wochen im Haus.

Eine chaotische Zeit und "eigentlich ein Fiasko" - so umriss Dieter Hinsch aus Wischhafen die Sturmfluttage im Januar 1976. Hinz war damals Marinesoldat und wurde zum Befüllen der Sandsäcke abgestellt. "Allerdings wusste niemand, wo die Sandsäcke lagen", erzählte der Wischhafener. Als Ersatz wurden notgedrungen Kohlesäcke benutzt. Das Problem: Die befüllten Säcke wogen 50 Kilogramm (statt der normalen 25-Kilo-Sandsäcke) und konnten nur mit großer Kraftanstrengung zum Deich gebracht werden.

Heinrich Ehlers aus Freiburg darf sich seit seinem Hilfseinsatz im Januar 1976 "Pferderetter" nennen. Er sorgte mit weiteren Helfern dafür, dass die Vierbeiner aus der Reithalle verladen und auf nahe gelegene Höfe verteilt wurden. "Hätten wir die Pferde nicht geholt, wären sie jämmerlich ertrunken", erzählte Ehlers.

Richard Schlichting, der einst Deichgraf war, ist fest davon überzeugt, dass es eines Tages eine neue Jahrhundertflut geben wird. Dass es mit Deichbau und -­erhöhung eher zögerlich vorangeht, sieht er kritisch. Manfred Wolff aus Himmelpforten, der beim Wasserwirtschaftsamt Stade gearbeitet hat, nahm sich den Wolf vor: "Die Schafe auf dem Deich müssen vor dem Wolf geschützt werden", sagte er. Denn Schafe seien für den Hochwasserschutz unabdingbar. 

Die Redaktion sammelt Fotos und Erlebnisberichte

Welche Erinnerungen haben Sie an die Sturmflut 1976? Schicken Sie uns Ihre persönlichen Geschichten und Bilder von der Flutkatastrophe in der Stadt und im Landkreis Cuxhaven. Wir möchten das Thema im Januar 2026 ausführlich beleuchten. Sie können uns Ihre Erinnerungen, Erlebnisberichte und Fotos per Mail an mangels@nez.de mit dem Stichwort "Sturmflut 1976" schicken. Für Postzusendungen nutzen Sie bitte die folgende Adresse: CN/NEZ-Redaktion, Abschnede 205a, 27472 Cuxhaven. Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften! 

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Christian Mangels

Redakteur
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

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